Filmfest München:Ameisenfolter und Schlangenjagd

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Kampfloser Triumph: Werner Herzog ist für "Rescue Dawn" in den Urwald zurückgekehrt.

Tobias Kniebe

Werner Herzog hat einen teuren Hollywoodfilm gedreht, der im Juli in Amerika in die Kinos kommt. Schon das klingt wie ein kleines Wunder - aber noch erstaunlicher wird es, wenn man die Details betrachtet: Da hat doch tatsächlich eine Gruppe von Produzenten den Mann mit 60 Millionen Dollar in den Dschungel geschickt, obwohl die wahnsinnigen Dinge, die passieren, wenn Werner Herzog im Dschungel dreht, nun wirklich Legende sind. Es geht tatsächlich wieder um Leben und Tod und die Hölle auf Erden, und es war tatsächlich wieder ein Star bereit, diese Reise ins Ungewisse anzutreten, obwohl schon der große Klaus Kinski erfahren musste, dass bei vorzeitigem Ausstieg praktisch die Todesstrafe droht. Und dann lief alles, gemessen an der nach oben offenen Herzog-Skala, anscheinend erstaunlich glatt.

"Rescue Dawn" erzählt die wahre Geschichte von Dieter Dengler, dem einzigen amerikanischen Piloten in Vietnam, der je aus der Gefangenschaft der Vietcong entkommen konnte. Gleich auf seiner ersten Mission im Jahr 1966 wird er über Laos abgeschossen, gefangen, gefoltert und praktisch dem Hungertod überlassen, bis er nach einem dramatischen Ausbruch und Überlebenskampf im Dschungel von einem amerikanischen Aufklärer gefunden wird. Dieses Schicksal fasziniert Herzog schon lange.

Der Junge mit den großen Träumen

Er hat bereits vor zehn Jahren den Dokumentarfilm "Flucht aus Laos" darüber gedreht und mit Dengler die Urwaldschauplätze bereist, um sich alles vor Ort und aus erster Hand erklären zu lassen. Dazu kommt, dass Dengler zwar leidenschaftlicher Amerikaner ist, aber in Deutschland geboren wurde: Ein Junge aus einfachen Verhältnissen im Schwarzwald, der mitten im alliierten Bombenhagel den Traum vom Fliegen träumt und in zäher Arbeit auch verwirklicht. Der Mensch in unbarmherziger Natur und der Junge mit den großen Träumen, da treffen sich wieder einmal die beiden quintessentiellen Herzog-Figuren.

Am spannendsten ist dabei die intensive Begegnung Herzogs mit einer neuen angloamerikanischen Schauspielergeneration. Christian Bale, der Dieter Dengler spielt, aber auch seine Mitgefangenen Jeremy Davies und Steve Zahn sind offenbar mit den ganzen Herzog-Kinski-Legenden aufgewachsen und haben Herzogs Paradigma der exzessiven und selbstquälerischen filmischen Wahrheitssuche praktisch in Fleisch und Blut übernommen.

Für Bale ist es völlig selbstverständlich, für eine Rolle mehr als dreißig Kilo abzunehmen und sich eine Zeitlang fast zu Tode zu hungern - das hat er auch vor Herzog schon bewiesen. Davies und Zahn eifern ihm nach, bis sie alle wie Skelette aussehen, also exakt wie wirkliche Gefangene der Vietcong. Der Regisseur bekommt Bilder von jener Albtraum-Qualität, die er schon immer sucht, praktisch auf dem Silbertablett serviert - und muss nicht einmal mehr dafür kämpfen. Was ist das, wenn nicht ein später und umfassender Triumph? Man stelle sich nur vor, er hätte Kinski zu einer solchen Diät überreden wollen . . .

Paradoxe Lässigkeit

Die tiefe Übereinstimmung, die man zwischen dem Regisseur und seinen Darstellern spürt, macht "Rescue Dawn" trotz all der äußeren Qualen, trotz Ameisenfolter und Würmeressen und Schlangenjagd, auch zu einem Herzogfilm von fast paradoxer Lässigkeit. Hier wird erkennbar nicht verzweifelt um den richtigen Ausdruck gerungen, hier können Schlüsselszenen auch mit stillem Humor und großer Beiläufigkeit erzählt werden, zum Beispiel als Dengler seinem Fluchtkameraden von dem Augenblick erzählt, als er als Kind einem amerikanischen Tieffliegerpiloten in die Augen sah und wusste, dass er fliegen wollte.

"Du bist schon ein seltsamer Vogel", sagt der Freund, "ein Mann versucht dich zu töten, und du willst seinen Job." Praktisch in jedem Moment erwartet man das dramatische Tremolo von Herzogs unverkennbarer Erzählstimme, die sich einschaltet und von der unendlichen Grausamkeit der Natur berichtet, aber diese Stimme kommt nie, der Film behält eine schöne Offenheit und Nüchternheit, die er vermutlich nicht zuletzt dem echten Dieter Dengler verdankt. Der wurde einmal gefragt, ob er seinerzeit nicht Angst hatte, mit Werner Herzog in seine persönliche Hölle zurückzukehren. Ach was, sagte der Veteran: "Werner tut gern so, als wüsste er alles über den Dschungel und die Tiere und die tödlichen Insekten. Aber der Dschungel, das ist nun wirklich mein Territorium."

(Rescue Dawn läuft Samstag, 17.30 Uhr, Gasteig, und Dienstag, 22 Uhr, Maxx2. Flucht aus Laos ist am Montag, 15 Uhr, im Filmmuseum zu sehen.)

© SZ vom 23.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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