Süddeutsche Zeitung

Filmemacher vor russischem Gericht:Keine Gerechtigkeit für einen Entführten

  • Seit dem 11. Mai des vergangenen Jahres sitzt der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow in russischer Untersuchungshaft. Er soll unter anderem die Sprengung einer Lenin-Statue auf der Krim geplant haben.
  • Bei seinem Plädoyer im Gericht am vergangenen Freitag sagte Senzow, er erwarte keine Gerechtigkeit. Die Staatsanwaltschaft fordert 23 Jahre Haft.
  • Die Europäische und die Deutsche Filmakademie haben Protestbriefe wegen des Falls nach Moskau geschickt.

Von Tim Neshitov

Noch ist der Ukrainer Oleg Senzow kaum bekannt als Regisseur, er hat erst einen Film gedreht: "Gamer". Die Geschichte eines Computerspielers aus der Provinz, der die Schule schwänzt, sich schlecht mit seiner Mutter versteht - und dann doch einen Sieg über das Leben feiern darf. Er wird Zweiter bei einer Computerspiele-WM.

Senzow besaß früher einen Computerklub in Simferopol, der Hauptstadt der Krim, den "Gamer" drehte er 2011 mit Laienschauspielern und einem Budget von 20 000 Dollar. Trotzdem wurde "Gamer" auf dem Internationalen Filmfestival in Rotterdam gefeiert.

2013 ging Senzow sein neues Projekt "Nashorn" an, diesmal mit mehr Geld, er wollte einen Film über die Kinder der Neunziger drehen, über das postsowjetische Chaos, die Blütezeit der Kriminalität in der Ukraine und in Russland. Aber er konnte "Nashorn" nicht zu Ende drehen, weil in Kiew der Volksaufstand auf dem Maidan begonnen hatte.

Senzow verbrachte viele Tage auf dem Maidan, und immer wieder fuhr er nach Hause nach Simferopol und wurde dort zu einem Aktivisten des Automaidan, einer motorisierten Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und später gegen die russische Besetzung der Krim.

Seit dem 11. Mai des vergangenen Jahres sitzt Senzow in russischer Untersuchungshaft. Er wird des Terrorismus bezichtigt, unter anderem soll er eine Sprengung der Lenin-Statue vor dem Ministerrat in Simferopol geplant haben. An diesem Dienstag soll der Richter in Rostow am Don das Urteil verkünden. Die Staatsanwaltschaft fordert 23 Jahre Haft.

"Ein Gericht der Besatzer kann per definitionem nicht gerecht sein"

Es kommt selten vor, dass sich Wim Wenders oder Doris Dörrie an Wladimir Putin wenden, aber genau das taten sie nun. Die Europäische und die Deutsche Filmakademie schickten Protestbriefe nach Moskau. Offenbar sehen Filmemacher wie Fatih Akin, Mike Leigh, Andrzej Wajda und Aki Kaurismäki in Oleg Senzow einen gleichwertigen Kollegen, trotz dessen sehr kurzer Filmografie.

Die ukrainischen Kollegen protestieren bereits seit dem vergangenen Frühling. Merkwürdig, dass sogar Nikita Michalkow, Chef des Moskauer Internationalen Filmfests, ein Putinist und Staatskünstler par excellence, sich nach Senzows Verhaftung für seine Freilassung einsetzte. Er appellierte an Wladimir Putin bei der Schlusszeremonie des Moskauer Festivals. Vergebens.

Bei seinem Plädoyer im Gericht am vergangenen Freitag sagte Oleg Senzow, er erwarte keine Gerechtigkeit. "Ein Gericht der Besatzer kann per definitionem nicht gerecht sein. Nichts Persönliches, Euer Ehren!"

Von der Krim nach Russland entführt

Senzow ist ukrainischer Staatsbürger, den russischen Pass auf der annektierten Krim hat er nie angenommen. Er wurde vom russischen Geheimdienst von der Krim nach Russland entführt. Man wirft ihm vor, Mitglied der ultranationalistischen ukrainischen Organisation Prawij Sektor zu sein (was diese Organisation dementiert).

Neben der Lenin-Statue habe er die Krim-Niederlassung der Partei Einiges Russland anzünden wollen. Senzow hat ausgesagt, dass er bei Verhören geschlagen wurde, dass man ihm einen Sack über den Kopf gezogen habe.

"Auch wir hatten Verbrecher an der Macht", sagte er im Plädoyer. "Aber wir gingen gegen sie auf die Straße. Man hörte uns nicht zu - wir hauten auf die Müllcontainer. Man wollte uns nicht sehen - wir zündeten Autoreifen an. Am Ende siegten wir. Früher oder später wird das Gleiche bei euch hier passieren. Ich weiß nicht, in welcher Form, und ich will nicht, dass jemand zu Schaden kommt, ich will einfach, dass ihr nicht mehr von Verbrechern regiert werdet." Da unterbrach ihn der Richter.

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SZ vom 25.08.2015/pak
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