Süddeutsche Zeitung

Filmemacher Michael Glawogger gestorben:Grenzgänger zwischen Fiktion und Realität

Für seine Filme bereiste Michael Glawogger die ganze Welt. Von seiner letzten Recherchetour schrieb er regelmäßig Beiträge für den Doku-Blog auf Süddeutsche.de. Nun ist der Filmemacher überraschend im Alter von 54 Jahren bei Dreharbeiten in Afrika gestorben.

Von Paul Katzenberger

Für seine Filme bereiste Michael Glawogger die ganze Welt. Von seiner letzten Recherchetour schrieb er regelmäßig Beiträge für den Doku-Blog auf Süddeutsche.de. Nun ist der Filmemacher überraschend im Alter von 54 Jahren bei Dreharbeiten in Afrika gestorben.

Sein letzter Beitrag kam vor knapp einer Woche - aus Harper, Liberia. Darin stellte Michael Glawogger Betrachtungen über seine Kindheit an. So wie er das zuletzt schon einmal getan hatte. Afrika, dieser wilde Kontinent, schien bei dem österreichischen Dokumentarfilmer viele Erinnerungen an seine Jugend zu wecken.

Michael Glawogger lieferte seit dem vergangenen Dezember im Wochenrythmus Beiträge für den Doku-Blog auf Süddeutsche.de, in dem er von seinen Abenteuern während einer einjährigen Recherchereise erzählte. Seine letzte Mail mit der Erzählung "Groß" traf pünktlich ein, der Text war spannend und gut geschrieben. Wie immer, möchte man meinen, und doch wird die Redaktion keine weitere Nachricht von Michael Glawogger erreichen. Der Filmemacher ist plötzlich aus dem Leben gerissen worden. Er hat eine Malaria-Erkrankung nicht überlebt.

Der Österreicher war ein Grenzgänger zwischen Fiktion und Realität: Wenn es Spielfilmregisseure gibt, die ihre Geschichten möglichst realistisch darstellen, dann war Michael Glawogger ein Dokumentarfilmer, der die Realität tunlichst in ihrer Zuspitzung zeigen wollte.

Dem gebürtigen Grazer kam dabei zupass, dass er schon früh die entferntesten Winkel der Welt für sich entdeckte, in denen der Mensch noch direkter um seine Existenz kämpft als in den hochentwickelten Industrieländern.

Schon kurz nach dem Abitur zog es Glawogger Anfang der Achtzigerjahre nach San Francisco, wo er sein Filmstudium aufnahm, das er einige Jahre später an der Wiener Filmakademie beendete. Nach einigen frühen Spielfilmen fand der Österreicher zu seinem Metier - den "essayistischen Dokumentarfilmen", die sich durch eine Mischung aus Dokumentation und Inszenierung auszeichneten.

In "Megacities" von 1998 beschrieb er nicht nur die Armut sowie ihre Ursachen und Folgen in den explodierenden Riesenmetropolen Mumbai, Mexiko City, Moskau und New York, sondern auch die Improvisations- und Anpassungsfähigkeit des Menschen unter inhumanen Lebensbedingungen.

Für seine nächste große Doku "Workingman's Death", für die er 2007 den Deutschen Filmpreis bekam, drehte Glawogger über zwei Jahre lang an den verschiedensten Orten der Welt. In dem Film spürte er der schweren körperlichen Arbeit nach, die in der Moderne zunehmend verschwindet. In bildgewaltigen Einstellungen zeigt er etwa ukrainische Bergarbeiter, die aus wilden Minen in klaustrophobischer Enge minimale Mengen Kohle scharren, oder die lebensgefährliche Verschrottung von Öltankern im in Pakistan.

Ähnlich legte Glawogger seine dritte aufsehenerregende Dokumentation "Whores' Glory" von 2011 an, in der er die Prostitution in Thailand, Bangladesch und Mexiko zu seinem Thema machte, und dabei Freiern und Prostituierten sehr nahe kommt. Ihm sei ein "grandioser Film über Wirklichkeit und Mystik der Prostitution" gelungen, schrieb die Süddeutsche Zeitung damals.

Doch Glawogger, der für seine Wechselspiele zwischen Realität und Fiktion auch mit anderen Genres wie der Komödie ("Slumming", 2006) experimentierte, hatte für sich erkannt, dass die allzu starke Fixierung auf ein Thema wie die Prostitution auch viele spontane Situationsaufnahmen verhindert. Bei den Recherchen für "Whores' Glory" seien er und seine Filmcrew in Nigeria von Wegelagerern auf freier Strecke durch eine Straßenbarriere gestoppt und um illegale Maut erleichtert worden.

Der Streit, der sich dabei entzündet habe, sei auf's Schönste dokumentarisch gewesen, bilanzierte Glawogger im Rückblick. Denn Menschen, die sich beschimpften, schrien alles hinaus, was ihre Umgebung und ihr Land betreffe. Weil er aber für diese spontane Szene gerade keinen Kopf gehabt habe, sei sie nicht gefilmt worden.

Deswegen hatte sich Michael Glawogger dazu entschlossen, sich mit seiner kleinen Crew circa ein Jahr lang um die Welt treiben zu lassen und spontane Filmszenen für einen "Film ohne Namen" einzufangen. Nebenher schrieb er "fiktive Geschichten, die auf ganz realen Beobachtungen" beruhten, die er im Doku-Blog auf Süddeutsche.de und in den Glawogger-Tagebüchern bei derStandard.at veröffentlichte.

Bei den Dreharbeiten ist Michael Glawogger am Dienstag im Alter von 54 Jahren gestorben.

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