Filme im Wettbewerb der Berlinale:Höllische Provinz

Berlinale 2013 - 'Paradies: Hoffnung'

Kinder im Diätcamp: Eine Szene aus Ulrich Seidls "Paradies: Hoffnung", zu sehen im Wettbewerb der Berlinale 2013.

(Foto: dpa)

Ländliches Elend mal drei im Wettbewerb: Ulrich Seidl schickt ein Mädchen ins Diätcamp in "Paradies: Hoffnung", Matt Damon will die Umwelt retten in "Promised Land", und bei Malkgoska Szumowska verdreht ein Pfarrer allen den Kopf.

Von Tobias Kniebe

Das seismografische Netzwerk, das wirklich jeden prominenten Gast in der Stadt registriert, funktioniert in Berlin noch immer perfekt. Wahrscheinlich ist das ein Erbe des Kalten Krieges. Damals, in der selbsternannten Frontstadt der Freiheit, brachte jeder Star von draußen auch Solidarität und Aufmunterung mit, eine heiß begehrte Lieferung Eskapismus per Luftbrücke aus dem Westen.

Das ist natürlich Vergangenheit. Aber noch immer wird in den Zeitungen sorgsam die Ankunft von Hugh Grant registriert, Charlize Theron begrüßt, Gérard Depardieu für Sonntag schon mal angekündigt. Das Rätsel gerade bei diesen drei ist nur: Was machen die hier? Bisher konnte keinerlei Verbindung zur Berlinale nachgewiesen werden.

Aber egal, jetzt geht es ja um die Filme. Und vielleicht um ihre Macht, bei Bedarf auch neue Stars zu erschaffen. In dieser Richtung legt die polnische Regisseurin Malgoska Szumowska mit "W imie. . . /In the Name of" schon mal vor. Ihren Hauptdarsteller Andrzej Chyra könnte man knapp als den polnischen Daniel Craig beschreiben, Kopfform, Augenfarbe, Ausstrahlung, alles passt. In seiner Heimat dreht er ohne Unterlass, für Volker Schlöndorff hat er auch schon Lech Walesa verkörpert, ansonsten war er international noch kaum präsent. Das könnte sich ändern.

Denn für die Regisseurin Szumowska spielt er jetzt im Wettbewerb einen wirklich gläubigen katholischen Priester, der mit seinem sexuellen Magnetismus seine ganze ländliche Umgebung verwirrt - eine schmachtende Ehefrau erniedrigt sich geradezu, um von ihm berührt zu werden. Seine Anfechtungen gehen allerdings in eine andere Richtung, die haben eher mit den kraftstrotzenden, straffällig gewordenen jungen Männerkörpern zu tun, die er in einem Sozialprojekt seiner Kirche um sich versammelt hat.

Malgoska Szumowska gelingen da wirklich packende Szenen, die in ihrer beiläufigen White-Trash-Verschwitztheit an den frühen Larry Clark erinnern - als habe auch Polen ein staubiges "Heartland" voller Begierde, Inzucht und Verlogenheit. Sie scheut auch vor der historischen Kaputtheit des Milieus nicht zurück, wenn etwa auf einem Schuppen auf Deutsch "Juden raus!" zu lesen ist. Ein Film, der gerade in der Zurückhaltung des Priesters enorm stark ist, im Ringen um seinen Weg. Leider nur verpasst Szumowska den Ausstieg, flüchtet in ein wohl tröstliches gemeintes Ende, rätselhaft schwach im Vergleich zum Rest des Films.

Gleich anschließend ging es dann wirklich ins amerikanische Herzland, und der Führer auf dieser Reise war Matt Damon. Das Drehbuch zu "Promised Land" stammt zum Großteil von ihm, ursprünglich wollte er selbst Regie führen, dann vertraute er die Sache lieber seinem alten Weggefährten Gus Van Sant an, der schon vor fünfzehn Jahren den Jungautor und Jungschauspieler Damon zum Weltruhm geleitet hatte, mit "Good Will Hunting".

Der ganze Herzschmerz der Jugend

Ein wenig ähnlich ist das Thema des Drehbuchs auch - denn wieder geht es am Ende darum, den moralischen Kompass nicht zu verlieren in einer Welt der gnadenlos operierenden Großkonzerne. Hier sind es die Erdgasförderer der USA, die den Farmern Millionen für Bohrrechte versprechen und dann beim "Fracking" Chemikalien in ihre Erde pumpen, mit möglicherweise fatalen Folgen für die Umwelt. Matt Damon spielt Steve, einen Topverhandler der Gas-Riesen - auch er war mal ein Farmjunge, er kennt diese Menschen und das unausweichliche, bittere Ende ihres Lebensstils, er will wirklich helfen. Und muss dann doch, nach einigen bösen Enthüllungen, in einer sentimentalen Turnhallen-Rede vor den Locals bekennen: Ich war ein Werkzeug des Bösen.

Solche Storys waren schon zu Frank Capras Zeiten nicht leicht zu verkaufen - heute ist es wirklich fast unmöglich. Und "Promised Land" hat noch andere Probleme: der unbeugsame Alte, der warnend seine brüchige Stimme erhebt, die herzensgute und patente Lehrerin, die aber nicht zu hübsch sein darf, das Mädchen am Limonadenstand, das nicht mal Trinkgeld annimmt - all das sind Drehbuchfiguren aus der Grabbelkiste. Man spürt durchaus, dass es Damon ernst meint mit seinem Thema, dass er ein politischer Filmemacher werden will - aber das braucht wohl noch Arbeit. Sein Buddy George Clooney, mit dem er jetzt in Berlin um die Häuser zieht, ist ihm da deutlich voraus.

Die Festivalregie will es, dass dann auch der dritte Film aus dem Wettbewerb in ländliches Elend führt, diesmal in Österreich. Mit "Paradies: Hoffnung" hat Ulrich Seidl eine Trilogie vollendet, die voriges Jahr mit "Liebe" in Cannes begann und mit "Glaube" in Venedig weiterging: ein veritabler Hattrick dieses gnadenlos konsequenten, wahrheitssuchenden und untergründig auch komischen Filmemachers. Im ersten Teil geht es um eine österreichische Durchschnittsfrau, die nach Kenia fährt und sich dort in eine fordernde, machtbewusste und zugleich verzweifelte Sextouristin verwandelt; der zweite Teil zeigt ihre erzkatholische Schwester im Ehekrieg mit ihrem behinderten muslimischen Ehemann; jetzt ist die Tochter dran.

Melanie, dreizehn Jahre alt und deutlich übergewichtig, wird für den Sommer in ein Diätcamp verfrachtet, in einem sonst leerstehenden, kasernenartigen Sport- und Tagungskomplex in den Bergen - die Vorhölle, erbaut im Stil des Arbeiter-und-Bauern-Modernismus. Dort gibt es dann täglich Sport und Disziplin mit wirklich dicken Jugendlichen, unerschöpfliche Quelle für gruselige und komische Seidl-Tableaus, die man auf Großformat aufblasen und an die Wand hängen möchte (macht er ja auch schon, zur Zeit in der Galerie c/o Berlin).

Die Überraschung sind dann aber die Diätcamp-Mädchen um Melanie, die auf ihrem Vierbettzimmer solch glaubwürdiges Leben entfalten, dass sich jeder Gedanke verflüchtigt, sie könnten hier vorgeführt werden. Melanie, grandios verkörpert von der Newcomerin Melanie Lenz, verliebt sich in den viel zu alten Camp-Arzt, ein seinerseits tragikkomischer Stenz, der aber seine Verantwortung als Erwachsener doch nie ganz vergisst. In der Folge darf der ganze Herzschmerz der Jugend blühen - und man muss schon sehr lange zurückdenken, wann man das zuletzt so glaubwürdig und berührend gesehen hat. So findet diese durchgehend starke Trilogie ein Ende, das dem Titel "Hoffnung" nicht einmal Hohn spricht.

Und zum Schluss, ach ja: Hier die neuesten Recherchen der Berliner Prominentenjäger. Charlize Theron wurde von "Cinema for Peace" eingeflogen, der große Russe Gérard Depardieu wird einen Werbeauftritt für eine Wodka-Marke absolvieren - nur von Hugh Grant weiß offenbar niemand, was er in Berlin wirklich vorhat. Das darf naturgemäß nicht so bleiben - sachdienliche Hinweise bitte an die Berliner Lokalpresse.

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