"Schwarze Milch" im Kino:Zwei Pole eines Ganzen

"SCHWARZE MILCH Wessi Film U. Borchu) auf Pferd"

Wie schon in ihrem letzten Film spielt Uisenma Borchu selbst eine der Hauptrollen: Wessi, die ihre mongolische Schwester Ossi besucht.

(Foto: Sven Zellner/Verleih)

In "Schwarze Milch" imaginiert Uisenma Borchu, die als kleines Kind aus der Mongolei nach Deutschland kam, eine Rückkehr zu ihrer Familie, ins Nomadenleben der Steppe.

Von Sofia Glasl

Die Tür der Jurte muss immer offen bleiben, so will es die mongolische Tradition. Für die Nomadin Ossi ist das ganz klar, denn sonst kommt das Böse nach Hause. Ihre Schwester Wessi jedoch sieht in der offenen Türe eine Gefahr, eine Einladung zum Überfall oder zur Vergewaltigung, hier so ganz allein in der Wüste.

Diese gegensätzlichen Perspektiven bestimmen die gesamte Beziehung der beiden Frauen. Wessi zog als Kind in den Westen und wuchs in Deutschland auf, Ossi blieb mit dem Stiefvater in der Mongolei. Erst nach Jahren kehrt Wessi zurück an den Ort ihrer Kindheit und trifft mit ihrer westlich geprägten Weltsicht auf das traditionsreiche Nomadenleben ihrer Schwester.

Nach dem Erfolg mit "Schau mich nicht so an" aus dem Jahr 2016 erzählt die Filmemacherin Uisenma Borchu in ihrem zweiten Spielfilm von der Zerrissenheit zwischen den beiden Kulturen, in denen sie aufwuchs. "Schwarze Milch" sei ein Film, der lange in ihr gereift ist, berichtete sie im Februar auf der Berlinale, wo der Film seine Weltpremiere feierte.

"Das Gefühl für das Drehbuch kam eigentlich mit dem Gefühl, fremd zu sein in einem Land und die Arroganz der anderen zu spüren - dass man nicht gut genug ist und nicht hierhergehört." Sowohl in Deutschland als auch bei den Verwandten in der Mongolei sei sie die Außenseiterin gewesen.

Der Film war eine Familienangelegenheit

"Schwarze Milch" ist ein sehr persönlicher Film, und deshalb war auch der gesamte Dreh eine Familienangelegenheit. Borchu selbst spielt Wessi, ihre Cousine Gunsmaa Tsogzol ihre Schwester Ossi, alle anderen Darsteller sind ebenso Freunde und Familie. Diese enge Verbindung sei wichtig gewesen, um das Leben hier authentisch rüberzubringen, so Borchu.

Das wird im Film schnell spürbar, wenn die Kamera bei einem Familienfest nicht einfach nur stille Beobachterin ist, sondern als Teilnehmerin im ausgelassenen Getümmel aufgeht. Sie kommt den Protagonistinnen dabei nicht nur visuell nah, sondern fängt die leisen Zwischentöne dieser Beziehung ein und macht die berührenden Annäherungsversuche der beiden Frauen greifbar.

Wessi und Ossi, schon die Namen der beiden Schwestern machen sie zu Polen eines Ganzen, das sie wie zwei Magneten umkreisen, aber nie ganz zusammenfügen können. Wie sähe ihr Leben jetzt aus, wenn Wessi nicht nach Deutschland gezogen wäre? Borchu erkundet in dieser immer tänzelnden Begegnung der beiden Schwestern behutsam die äußeren und inneren Spannungen, die zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und ihren Bedürfnissen entstehen. Diese sind nämlich gar nicht so verschieden, obwohl die beiden Tausende Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen sind.

Mit Tabuthemen wird gebrochen

"Du gehörst zu mir", brüllt Wessis Freund Franz ihr entgegen, als sie ihm von der geplanten Reise in die Mongolei erzählt. Ossi wartet brav zu Hause, während ihr Mann Budka mit seinen Kumpels auswärts feiert, setzt sich dabei klaglos der tatsächlichen Bedrohung von Eindringlingen aus - sexualisierte Gewalt gegen Nomadenfrauen ist ein Tabuthema, das in der Mongolei erst in den letzten Jahren langsam aufbricht.

Ossi ist schicksalsergeben und schlichtweg froh, dass sie endlich schwanger ist, denn mit 30 galt sie schon fast als hoffnungsloser Fall, und sie will nicht enden wie der alleinstehende Terbish, den alle für einen Sonderling halten. Die renitente Wessi antwortet auf die Frage nach Mann und Kindern patzig "Männer gibt es überall" und interessiert sich nun erst recht für den zurückhaltenden Terbish, um die Familie gegen sich aufzubringen.

Nur langsam nähern sich die beiden Schwestern einander an und gestehen sich selbst ein, dass sie von ihrem Gegenüber mehr für ihr eigenes Leben lernen können als ihnen zunächst lieb ist - wenn sie nur ihre Arroganz dem Fremden gegenüber ablegen. "Kennst du dich eigentlich selbst? Willst du dich nicht kennen?", fragt Wessi ihre Schwester und meint gleichzeitig auch sich selbst. "Schwarze Milch" ist ein wichtiger Film, weil er zeigt, dass es nicht den einen weiblichen Blick gibt, sondern unzählige, die alle gleich viel wert sind.

Der weibliche Blick ist in "Schwarze Milch" ein geerdeter Blick. Auf Augenhöhe mit den Menschen, nah bei den Tieren und auf der trockenen Erde - beim Schlachten der Ziegen, beim Wasserschöpfen am Brunnen. Dieses Zurückfinden in eine längst vergessene Naturverbundenheit lässt Wessi ihre Arroganz gegenüber der anderen Kultur erkennen und neu bewerten. Als sie das erste Mal eine Stute melken soll, umklammert sie das Tier erst unbeholfen und lehnt sich dann doch entspannt gegen dessen Seite - sie sieht erleichtert aus.

Jenseits von romantisierenden Selbstfindungstrips und Postkartenansichten der Wüste Gobi entwickelt Uisenma Borchu gemeinsam mit ihrem Kameramann Sven Zeller eine kraftvolle Bildsprache, die intimen Einblick in diese beiden Leben gibt. Nahezu ohne Musik kommen die Bilder aus, und die Geräusche der Wüste machen die Ruhe besonders eindrücklich. Das Rauschen und Tosen des Windes wirkt je nach Stimmung beklemmend, bedrohlich oder beruhigend.

Ossis Jurte wird für die beiden Frauen in diesem Umfeld zum kulturellen wie spirituellen Transformationsraum, in dem jede auf ihre Weise über die ihr zugeschriebene Rolle hinauswächst. Den Angriff eines nächtlichen Eindringlings inszeniert Borchu als surrealen Traumtanz zwischen Wessi und dem Mann. In einem Akt der Selbstermächtigung versucht sie, die Kontrolle über eine unkontrollierbare Situation zu erlangen und die Opferrolle nicht einfach zu akzeptieren.

Schwarze Milch, D 2020 - Drehbuch und Regie: Uisenma Borchu. Mit Uisenma Borchu, Gunsmaa Tsogzol. Alpenrepublik, 91 Minuten.

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