Am Anfang ist der Wind. Der Zuschauer hört ihn, spürt ihn, noch vor dem ersten Bild. Eine junge Frau sitzt auf einer Steinmauer in der Natur, ihr Kleid flattert, die Haare wehen. Von Beginn an liegt eine Leichtigkeit über diesem Film, eine Leichtigkeit, die Seelenschwere ertragen muss, da verrät man nicht zu viel. Im Zentrum der Geschichte erfühlen zwei Siebzehnjährige das bipolare Leben, die eine rein, die andere rebellisch, die eine verträumt, die andere laut. Teenager, die sich gegenseitig anziehen, mitreißen, Halt suchen, sich treiben lassen. Nur wohin?
Anatol Schuster heißt der Autor und Regisseur von "Luft". Er ist einer dieser jungen Filmemacher der Münchner Schule, auf denen Hoffnung liegt. Auch er ließ sich treiben, bis er, vorerst, angekommen zu sein scheint. Geboren 1985 in Darmstadt, verschlug es ihn nach Freiburg, dann zum Studieren nach Regensburg, Literaturwissenschaften und Philosophie. Erste Kurzfilme sind hier entstanden. Während eines Auslandsaufenthaltes in Avignon hat er sich an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) beworben. Aus dem Poetry-Slammer wurde ein Regiestudent.
"Luft" ist sein Abschlussfilm. 2016 hat er ihn gedreht, im deutsch-französischen Grenzgebiet. An diesem Donnerstag, zum offiziellen Kinostart, stellt er ihn persönlich im Arena Filmtheater vor. Nicht nur die Jury der Münchner Starter-Filmpreise, die ihn 2018 ausgezeichnet hat, nannte das Werk "ein filmisches Gedicht". "Der Regisseur offenbart sich hier als Sensibilist, stellt sich in eine Tradition, die dem deutschen Kino abhandenzukommen drohte", heißt es zur Begründung. Es gab noch andere Preise, Nominierungen und Festivaleinladungen, seit das Coming-of-Age-Drama beim Filmfest München 2017 Premiere hatte, in der Reihe "Neues deutsches Kino".
"Luft" handelt von zwei Mädchen, die sich zueinander hingezogen fühlen, seit sie im Wald ineinandergestolpert sind. Manja, der Teenager aus dem ersten Bild (Paula Hüttisch), ist eine kurzsichtige Träumerin, in sich ruhend und stets mit Lächeln im Gesicht. Louk (Lara Feith) dagegen rebelliert gegen Jäger und Schweinezüchter, gegen präpotente Jungs und den eigenen Vater. Gemeinsam erleben sie den Strudel der ersten Liebe. Louks Motto "keine Lügen, keine Spuren, keine Angst" führt sodann dazu, dass peu à peu tiefe Wunden der Vergangenheit aufklaffen, bis am Abgrund laute Urschreie erklingen.
Sich in "Luft" auflösen, das kann man als Zuschauer gut. Sich dem Rausch der sanften Bilder hingeben, die mitunter surreal wirken. Traumlandschaften mit Seifenblasenregen sind das, sonnengeflutete Nahaufnahmen, und immer wieder Sätze, die sitzen: "Das ist so ein Männerding. Dass man immer etwas hinterlassen muss." Der Film ist ein beherztes Anpusten in die Fratze des Mainstream. Anatol Schuster sagt, er haben den Film "durchkomponiert", geleitet von einer "visuellen Kraft", poetisch und musikalisch zugleich. Er weiß natürlich, dass das zarte Werk nicht jedem gefällt. Dass Überhöhungen wie filmische Klammern und eine nicht auf Anhieb erkennbare Erinnerungsebene einigen Zuschauern zu viel "meta" sein könnten, sie die Geduld nicht aufbringen. Dennoch sagt er selbstbewusst: "Ich kann Dinge nicht erzählen, die ich nicht fühle."
Das künstlerische Ziel immer im Kopf zu behalten, das hat er bei Edgar Reitz gelernt. Während seines HFF-Studiums durfte er den Münchner Profi begleiten, knapp vier Monate lang als zweiter Regieassistent bei "Die andere Heimat". "Nichts konnte ihn abbringen von seiner Vision", schwärmt Schuster. Weder die Herausforderungen, ein Dorf in Schnee zu kleiden, noch hundert Komparsen zu koordinieren. Respekt hatte offensichtlich auch der inzwischen 86-Jährige für den aufstrebenden Kollegen. So ist "Luft" in Zusammenarbeit mit der Edgar Reitz Filmstiftung (und der HFF) entstanden, in Koproduktion mit dem BR, gefördert durch zwei Filmfonds.
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Dass von dem jungen Autor und Regisseur noch einiges zu erwarten ist, zeigt das Schulterklopfen durch eine weitere Filmgröße: Als Stipendiat der Wim-Wenders-Stiftung (und mit bewilligter Produktionsförderung durch den FFF Bayern in der Tasche) arbeitet Anatol Schuster an seiner neuen Tragikomödie "Stille". Im Zentrum: eine Frau Mitte 40, die nichts mehr fühlt, die all ihren Besitzt verschenkt. Eine gesellschaftliche Totalverweigerung, getrieben von der Sehnsucht nach Stille. Weil aber der Wind unberechenbar weht, in Schusters Leben allemal, hat sich jüngst ein weiterer Film in den Vordergrund geschoben, weshalb es "ruhig geworden" sei um "Stille". Ein Film, der bereits fertig ist, kürzlich beim Festival Max-Ophüls-Preis uraufgeführt wurde und möglichst 2019 ins Kino kommen soll: "Stern" handelt von einer 90 Jahre alten Holocaust-Überlebenden (Ahuva Sommerfeld), deren Wunsch zu sterben im pulsierenden Neukölln zu verblassen scheint.
Anatol Schuster lebt seit Kurzem auch in Berlin, der Liebe wegen. Mit München verbindet ihn nach wie vor viel: "München war die erste Stadt, wo ich zuhause war", sagt er. Und freut sich auf sein Gastspiel im Arena Filmtheater.
Luft , Regie: Anatol Schuster, Vorführung und Gespräch mit dem Filmteam, Donnerstag, 14. Februar, 21 Uhr, Arena Filmtheater, Hans-Sachs-Str. 7