Süddeutsche Zeitung

Film :Verschwörung im Zoo

Nach über vier Jahrzehnten als Hörspielheld kommt der Deutschen liebster Elefant "Benjamin Blümchen" erstmals ins Kino.

Von Stefan Fischer

Kinder haben oft ein besseres Gespür als Erwachsene dafür, ob es einer gut meint mit ihnen. Bei Zora Zack hat Otto definitiv kein gutes Gefühl. Der beste Freund von Benjamin Blümchen steht damit im Zoo von Neustadt jedoch allein auf weiter Flur. Der Bürgermeister: größenwahnsinnig, pfauenhaft und daher zu kritischen Reflexionen sich und anderen gegenüber nicht fähig. Der Zoodirektor Tierlieb: antriebslos, gutgläubig und daher rasch breitzuschlagen. Die Journalistin Karla Kolumna: neugierig, Frauenpower-solidarisch und daher für jede Veränderung zu gewinnen. Und der Elefant? Ist schockverliebt in die geschmackvoll gekleidete, toll frisierte und wortgewandte Projektmanagerin Zack, die mindestens doppelt so schnell denken kann wie jeder andere.

Nun muss man einen naiven Elefanten nicht zwingend unter die Erwachsenen rechnen. Andererseits verfügt er über Kräfte, die ihn - zumindest in dem beschaulichen Neustadt - zu so etwas wie einem Superhelden-Dasein befähigen.

Und erlebt hat Benjamin Blümchen auch schon eine ganze Menge in mehr als 140 Hörspiel-Abenteuern, die er seit dem Jahr 1977 fleißig und eifrig besteht. Gereift ist er darüber jedoch nicht, und so ist er trotz seines Potenzials für Otto lange Zeit keine große Hilfe im erstaunlich späten ersten Kinofilm der beiden, der schlicht "Benjamin Blümchen" heißt. Ein Realfilm mit einem computeranimierten Elefanten, dem Jürgen Kluckert seine Stimme leiht. Lediglich ein Mädchen, das mit gasgefüllten Ballons davonzuschweben droht, hilft Benjamin zu retten. Das ist ehrenhaft. Der großen Verschwörung gegen seinen Zoo hat er erst einmal aber nichts entgegenzusetzen.

Heike Makatsch spielt Zora Zack,die den Zoo in einen modernen Erlebnis-Park verwandeln will

Denn Benjamin lässt sich nicht nur von Zora Zack um den Finger wickeln, albern einkleiden als Hip-Hopper - der, wie er es versteht, "Corpulent Identity" wegen - und sich von ihr überdies sein charakteristisches "Tööröö" verbieten. Sondern er lässt sich auch an den Rand der Ereignisse drängen. Auf seine ganz eigene, gemütliche Art, Otto an seiner Seite, besetzt er dennoch das Zentrum dieses Films. Der Regisseur Tim Trachte und die Drehbuchautorin Bettina Börgerding, die unter anderem schon mehrere "Bibi & Tina"-Filme geschrieben hat, haben die beiden in das Zentrum eines Wirbelsturms gesetzt. Von allen Figuren rotieren sie am wenigsten. Das hilft ihnen, nach einer Krise ihrer Freundschaft in entscheidenden Momenten eben doch zielgerichtet zu denken und geradlinig zu handeln.

Das wirbelnde Chaos um sie herum macht freilich den Spaß an diesem Film aus. Der Zoo von Neustadt ist alt, ein wenig schäbig und aus der Zeit gefallen, weder Geld noch Renommee lassen sich mit ihm noch gewinnen. Aber dem Bürgermeister kommt es nun einmal auf den Gewinn an - für sein Ansehen und für den Stadtsäckel. Uwe Ochsenknecht spielt ihn als einen Mann mit Geltungsdrang und Bedenkenlosigkeit, so wie er schon den Hitler-Tagebuch-Fälscher Kujau in "Schtonk" gespielt hat: flirrend, überhitzt und sich nicht darum scherend, dass ihm die Dinge über den Kopf wachsen.

Zoodirektor Tierlieb unterdessen ist sich nur zu klar dessen bewusst, dass er seinen Betrieb nicht mehr im Griff hat. Friedrich von Thun zögert und zaudert in dieser Rolle, bricht viele Sätze ab. Er gibt einen charmanten alten Herrn, der sich nach links dreht und nach rechts und rundherum - und der doch nicht schnell genug erfassen kann, was um ihn herum alles passiert. Zora wischt seine Einwände vom Tisch, noch ehe er sie überhaupt formulieren kann.

Natürlich darf das marktradikale Effizienzdenken in dieser Geschichte nicht siegen

Diese Zora ist eben auf Zack. Sie hat noch gar keinen Vertrag mit dem Bürgermeister unterschrieben und gestaltet dennoch bereits den Zoo um mithilfe zweier Idioten, die ihr zur Hand gehen, Hans und Franz. Heike Makatsch trägt die Energie einer Dampframme in diesen Film hinein. Und ist dabei doch extrem elegant und geschmeidig. Sie spielt den Zynismus und die Skrupellosigkeit ihrer von einer Tierhaar-Allergie geplagten Figur genüsslich aus, der es eine Wonne ist, andere zu manipulieren. Makatsch macht das mit einer beeindruckenden Grandezza. Für ein naives Elefantengemüt ist deshalb nicht zu durchschauen, dass Zora Zack nur ein Ziel hat, wenn sie sich den Nachhaltigkeitstrend zu eigen macht und von Gehege-Sharing spricht: den Zoo zu halbieren, um Platz zu schaffen für luxuriöse Immobilien.

Hilfe erhält Otto, den Manuel Santos Gelke als einen aufrechten, recht gewöhnlichen Jungen spielt, von unerwarteter Seite. Es gibt nämlich einen noch größeren Skeptiker als ihn: den ehemaligen Geheimdienstler Walter Weiß. Ein schrulliger Alter ist das, der gehörig einen an der Waffel hat. Dieter Hallervorden ist für diese Rolle noch einmal in seine alten "Nonstop Nonsens"-Charaktere geschlüpft. Paranoid sitzt Weiß unentwegt mit einem Aufnahmegerät in irgendeinem Busch und kriegt dadurch so manches mit, wovon er in hektischer Haspeligkeit berichtet. Wenn er nicht gerade in seinem Haus wie der frühe Q bei James Bond verrücktes analoges Equipment bastelt.

Und so führen schließlich klassisches Detektivhandwerk und soziales Verantwortungsbewusstsein zur Rettung des Zoos, nicht digitaler Genius und marktradikales Effizienzdenken. Die Affäre wird zu einem Triumph des Bewährten, der alten Schule. Was für den Film selbst ebenso gilt. Benjamin Blümchen und seine Crew behaupten ihren Platz beim Publikum nun auch im Kino - gerade deshalb, weil sie sich treu bleiben. Das Neue ist nicht automatisch das Bessere. Ein Futterroboter ersetzt noch lange keinen Tierpfleger. Was nicht bedeutet, dass es für diese künstliche Viertelintelligenz nicht doch eine sinnvolle Verwendung gäbe. Es ist ein Sieg der praktischen Vernunft über hochfliegende Visionen.

Benjamin Blümchen, Deutschland 2019 - Regie: Tim Trachte. Buch: Bettina Börgerding. Kamera: Fabian Rösler. Schnitt: Ana de Mier y Ortuña, Zaz Montana. Mit: Heike Makatsch, Friedrich von Thun, Manuel Santos Gelke, Jürgen Kluckert, Uwe Ochsenknecht, Dieter Hallervorden, Liane Forestieri, Tim Oliver Schultz. Studiocanal, 131 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4549998
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.