Süddeutsche Zeitung

Film über Benedikt XVI.:Wie sexuelle Gewalt verharmlost wurde

Der Dokumentarfilm "Verteidiger des Glaubens" über die Kirchenpolitik von Benedikt XVI. vertritt die These, dass der Papst emeritus mit seinem Anspruch auf Wahrheit an seinen eigenen Grundsätzen gescheitert ist.

Von Matthias Drobinski

Der Kardinal ist ungehalten. Gerade ist er aus dem Appartementhaus gekommen, in dem er wohnt, Joseph Ratzinger, der Präfekt der Glaubenskongregation. Und dann tritt dieser Journalist einfach auf ihn zu und möchte den Kardinal über die Männer ausfragen, die Marcial Maciel, dem Gründer der stramm konservativen "Legionäre Christi", vorwerfen, er habe sie als Kinder und Jugendliche vergewaltigt. "Ich bin da nicht so informiert", sagt Kardinal Ratzinger, "ich finde es auch unangebracht, dass Sie damit zu mir kommen."

Sehr wohl wusste Joseph Ratzinger Bescheid über die Vorwürfe gegen Maciel, die Informationen über das Doppelleben des angeblich so frommen Mannes lagen ihm vor. Doch erst nach dem Tod von Papst Johannes Paul II., dem großen Förderer der Legionäre, sollte er es wagen, gegen den Gewalttäter im Priestergewand vorzugehen. Über viele Jahre hinweg ist es ihm wichtiger, dass es keinen Skandal gibt, der die Gläubigen verwirren und die katholische Kirche beschmutzen könnte.

Christoph Röhls Dokumentarfilm über Benedikt XVI. ist kein Film über Joseph Ratzingers Leben und Wirken. Röhl hat eine Thesenfilm produziert, montiert; das macht die Wucht von "Verteidiger des Glaubens" aus und markiert zugleich seine Grenze. Die These lautet: Gerade weil Benedikt seine Kirche rein und unbefleckt halten wollte, steht sie nun besudelt da. Gerade weil er ihren Anspruch auf die Wahrheit verteidigen wollte, ist ihre Glaubwürdigkeit dahin. Und gerade weil er ängstlich den überlieferten Glauben gegen alle Zweifel bewahren wollte, hat er zum Glaubensverlust beigetragen.

Sein Glaubens- und Kirchenverständnis hat ihn zum Vertuscher und Verharmloser der sexuellen Gewalt gegen Kinder, Jugendliche, Frauen in der katholischen Kirche gemacht. Der Bewahrer ist dramatisch an seinen Grundsätzen gescheitert.

Röhl hat sich, bevor er sich dem Papst zuwandte, mit dem linksliberal inszenierten Missbrauch auseinandergesetzt. Von 1989 bis 1991 war er Tutor an der Odenwaldschule; sein preisgekröntes Drama "Die Auserwählten" dreht sich um die Gewalt in der Vorzeigeeinrichtung der Reformpädagogik. Jetzt hat er sich die katholische Kirche vorgenommen und den Mann, der ihr oberster Vertreter war, als 2010 die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Odenwaldschule wie in der Kirche zum Skandal wurde.

Es bleibt die beklemmende Tatsache, dass ein hochgelehrter Kirchenmann das Leid ignorierte

Röhl kommentiert dabei nicht selbst, er montiert historische Filmaufnahmen und die Aussagen seiner Interviewpartner aneinander. Zu ihnen gehören Georg Gänswein, der Privatsekretär Benedikts, und der Theologe Wolfgang Beinert, ein kritischer Wegbegleiter und Freund Ratzingers. Es treten auf: der alte Ratzinger-Kritiker Hermann Häring und der Jesuitenpater Klaus Mertes, der den Missbrauch am Canisius-Kolleg in Berlin offenbar machte, die ehemalige Nonne Doris Wagner und der suspendierte irische Priester Tony Flannery.

Nicht immer erschließt sich sofort, wer warum befragt wird, der Zuschauer muss sich schon ein bisschen im Thema auskennen, sonst bleibt er manchmal ratlos. Zweifel, Grautöne und Zweideutigkeiten vermeidet Röhl zugunsten der Thesenstärke.

Manchmal leidet darunter die Genauigkeit. So förderte vor allem Papst Johannes Paul II. den kriminellen Legionäre-Gründer Marcial Maciel. Der Papst aus Polen setzte auf glaubensstrenge, kampfstarke Vereinigungen; Benedikts intellektuellem Konservatismus blieb das Martialische der Legionäre Christi fremd.

Und doch bleibt die beklemmende Tatsache, dass da ein hochgelehrter Kirchenmann verdrängte, wegdrückte, das Leid ignorierte, damit die Kirche weiterhin als Hüterin des Wahren und Guten erschien. Der Papa emeritus scheint bis heute unfähig, dies zu erkennen - seine jüngst aufgestellte These, die 68er seien am Missbrauch in der Kirche schuld, bestätigt dies. Das ist die große Stärke des Films: Er ist nicht zynisch oder hämisch. Er ist traurig über das, was er zeigen muss: wie Joseph Ratzinger durch die Gefangenschaft in seinem Denksystem zum Mitschuldigen wurde.

Verteidiger des Glaubens, D 2019 - Regie, Buch: Christoph Röhl. Realfiction, 95 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2019
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