Süddeutsche Zeitung

Film: "The Village":Rotverbot

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Rot ist die Farbe des Schreckens, beim Gelb fühlen wir uns sicher: M. Night Shyamalan erkundet in seinem neuen Film das Territorium der Angst. Und alles beginnt auf dem Friedhof.

Von Susan Vahabzadeh

Manchmal trifft es uns wie der Blitz, und manchmal, was schlimmer ist, schleicht es sich ganz leise heran, das Gefühl der Angst... Angst kann lähmend wirken, aber auch als ein Antrieb, manchmal hindert sie uns, das zu tun was wir wollen, und manchmal bewahrt sie uns davor. Und wer überhaupt keine Angst hat, so heißt es, ist ein Dummkopf.

Ein Mann, der sich Horrorfilme in Hollywood ausdenkt, der mit dem Schrecken so erfolgreich gespielt hat wie M. Night Shyamalan, der Regisseur von "The Sixth Sense" - "Ich sehe tote Menschen!" -, muss naturgemäß ein Fachmann sein auf dem Gebiet des Angstmachens und -empfindens, er muss nicht nur wissen, wie sehr wir den Schrecken manchmal genießen, er hat auch eine Ahnung davon, wie sehr wir ihn brauchen. Sein neuer Film "The Village - Das Dorf" ist eine Liebesgeschichte im Gewand eines Horrorfilms - und eine Geschichte über das Thema Angst.

Alles beginnt auf einem Friedhof, ein kalter Morgen, eine Dorfgemeinschaft beweint ein Kind. Die Jahreszahl 1897 ist zu lesen auf dem Grabstein des kleinen Jungen. Dem Dorf scheint jede Farbe ausgetrieben zu sein, und nach einer Weile begreift man, warum die Szenerie so öde und karg wirkt: Es ist die vollständige Abwesenheit der Farbe Rot. Zwei Mädchen sieht man, die eine Veranda kehren, sie machen sich einen Spaß daraus und fahren dann plötzlich zusammen: eine kleine rote Blume wächst neben dem Haus. Die Mädchen reißen sie aus und vergraben sie...

Es geschehen seltsame Dinge hier - irgendjemand bringt Tiere um und lässt die gehäuteten Kadaver vor dem Schulhaus liegen. Und bald kommen Die-von-denen-wir-nicht-sprechen ins Spiel. Nachts tauchen sie auf, riesige rotgewandete Monster mit Klauen, die Panik auslösen und bewirken, dass das ganze Dorf sich in die Keller flüchtet. Nur einer scheint sie nicht zu fürchten - Lucius Hunt (Joaquin Phoenix).

Ein karges Kaff im neuenglischen Hinterland, die Stimmung wird bestimmt von blassem Gras und einfacher Geigenmusik, kein Orchester. Eine seltsame, abgeschiedene Dorfgemeinschaft, in der viele Leute etwas zu verbergen zu haben scheinen. Der Ältestenrat, dem Edward Walker (William Hurt) vorsteht, verbietet jedem, das Dorf zu verlassen, reagiert schroff auf den eigentlich ganz vernünftigen Antrag von Lucius: Er hat herausgefunden, dass Noah (Adrien Brody) im verbotenen Wald gewesen sein muss - und dass Die-von-denen-wir-nicht-sprechen ihm nichts getan haben.

Aus Dummheit mutig

Dabei war er nicht mal in den ockergelben Umhang gehüllt, den die Dorfbewohner zur Abschreckung des Bösen tragen. Aber Noah ist ein wenig zurückgeblieben, ein großes Kind, aus Dummheit mutig. Harmlos scheint er, aber so harmlos ist er dann doch nicht - er schwärmt für ein Mädchen, und leider ist es jenes Mädchen, das Lucius Hunt bald heiraten wird. Adrien Brody spielt diesen Noah ganz kindlich und rührend - aber plötzlich greift er Lucius an und verwundet ihn schwer. Er bringt das Böse ins Dorf, aber er ist nicht schuld.

Humorlos ist diese finstere Geschichte nicht - Shyamalan hat eine schöne Balance gefunden zwischen Witz und Romantik. Walkers ungestüme älteste Tochter hat ein Auge geworfen auf Lucius - und wie von der Szene ihres Antrags beispielsweise auf ihr lautes, heftiges Geheul im heimischen Schlafzimmer geschnitten wird, das ist gemein komisch. Es ist die jüngere, Ivy (Bryce Dallas Howard), in die sich der ernste, schweigsame Lucius verknallt hat - ein blindes Mädchen, und gerade weil sie nichts sieht, hat sie ein feines Näschen für das, was die Menschen verbergen wollen. Lucius lernt von ihr - mit ihm entdecken wir beispielsweise auch die kleinen Abwehrgesten, mit denen Walker zu verbergen sucht, dass er verliebt ist in Lucius' Mutter (Sigourney Weaver).

Auch bei Ivy wird Lucius darauf warten, dass sie mit der Tür ins Haus fällt, in einer schönen Szene, in der Nacht, als die Angst schließlich abgeklungen ist und sie einander auf den Stufen der Veranda ihre Liebe gestehen. Du hast vor nichts Angst, sagt sie, warum ist das so? Ich fürchte nur um dich, antwortet er. Es wird ihr, später, fast genauso gehen, wenn sie Hilfe holen muss, als er schwer verletzt ist - und die Angst, ihn zu verlieren, größer ist als jede andere.

Elegant und kunstvoll

Mehr kann man nicht erzählen über diesen Plot - Shyamalan hat große Freude daran, falsche Spuren zu legen, und die Auflösung in "The Village" ist ungefähr genauso überraschend wie die Erkenntnis in "The Sixth Sense", dass Bruce Willis' Kommunikationsschwierigkeiten darauf beruhen, dass er seit Beginn des Films tot ist. Shyamalans Inszenierung ist elegant, und manchmal so kunstvoll manipulativ, dass es ihm die Schelte der amerikanischen Kritik eingebracht hat - diese Versessenheit, uns etwas vorzugaukeln. Eigentlich muss man sich auch "The Village" ein zweites Mal ansehen - weil man dann die Regeln des Spiels, die Mechanik von Shyamalans Horror-Inszenierung schon kennt.

Rot ist die Farbe des Schreckens, beim Gelb fühlen wir uns sicher... "The Village" war ein Erfolg in den USA, es ist ihm aber auch eine merkwürdige Ehre widerfahren - die Geschichte ist irgendwie als Schlüsselstory zur Anti-Terror-Politik der Bush-Regierung interpretiert worden: Walker als eine Art Dorfpräsident, der die Angst seiner Gemeinde schamlos ausnutzt. Allerdings ist Shyamalan so offensichtlich auf seiner Seite, dass Walker in seinem Film widersinnig einen sehr vertrauenserweckenden Bush abgäbe.

Natürlich ist "The Village", in den letzten drei Jahren geschrieben, gedreht und nachbearbeitet, von dem Empfinden beeinflusst, was Terror, was Angst anrichten. Was dabei herauskam, könnte man als Politunterhaltung mit einem Augenzwinkern bezeichnen. Wahrscheinlich fände Shyamalan die Schlüssel-Geschichte unter seiner Würde. Er erkundet die Emotionen, die Terror weckt, erzählt von einer Gruppe von Menschen, die ihrer Angst entkommen wollen und doch lernen müssen, mit ihr zu leben - aber er teilt die Welt nicht in Gut und Böse ein, in richtig und falsch.

Jeder Film ist ein Produkt seiner Zeit, doch richtiges Kino ist nicht nur für den Augenblick gemacht - eine Geschichte darüber, wie Liebe und Furcht zusammengehören, ist langlebiger als jede politische Klimakatastrophe.

THE VILLAGE, USA 2004 - Regie, Buch: M. Night Shyamalan. Kamera: Roger Deakins. Schnitt: Christopher Tellefsen. Musik: James Newton Howard. Mit: Bryce Dallas Howard, Joaquin Phoenix, Adrien Brody, William Hurt, Sigourney Weaver, Brendan Gleeson, Cherry Jones, Jayne Atkinson. Buena Vista, 108 Min.

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Quelle:
SZ vom 8.9.2004
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