Süddeutsche Zeitung

Film:Sehfahrer

Mehr Dampf für das Fünf-Seen-Filmfestival: An Bord der "MS Starnberg" kann man mutiges Kino und allerlei Kurioses erleben

Von Bernhard Blöchl

Zwischenzeitlich fragt man sich, ob der schönste Film des Abends nicht doch neben der Leinwand an einem vorbeizieht. Sanft schiebt sich der zum Kino aufgemotzte Katamaran von Starnberg in Richtung Seeshaupt. Gut eine Stunde ist das Schiff unterwegs, als die Augustsonne hinter die Seitenmoränen des Sees rutscht. Der Sog der Landschaftsbilder ist unwiderstehlich: Am Ufer funkelt das Midgardhaus in Tutzing, am Horizont protzen die Berge im Dämmerlicht. Und wäre diese Dampferfahrt ein Film, Rosamunde Pilcher hätte gewiss ihren Segen dazu gegeben, zur Szenerie auf alle Fälle.

Dann aber wird der Gast von Matthias Helwig freundlich daran erinnert, weshalb er eigentlich hier ist: nicht zum Schifferlfahren und Romantisieren, sondern zum Filmschauen und Applaudieren. Und zum Reden mit Regisseuren. Gerne auch alles, denn das ist das Konzept der Veranstaltung, die es seit 2010 gibt. "Der Höhepunkt des Festivals", wie der Initiator und Leiter sagt. Helwig ist der kulturelle Kapitän dieser Dampferfahrt mit Open-Air-Kino. Im Gespräch mit der Bayern-2-Moderatorin Daniela Arnu zieht er während des Sonnenuntergangs eine erste Zwischenbilanz seines zehnten Fünf-Seen-Filmfestivals, das noch bis Sonntag läuft. Dann freilich nicht mehr an Bord, sondern in den Kinos der Region. Helwig gibt sich zufrieden, lässt aber auch kritische Töne anklingen, wählt gar das Wort Enttäuschung. Bei französischen Komödien kämen 150 Leute, bei serbischen Filmen - die in der Jubiläumsausgabe im Fokus stehen - nur 30. "So ist das Leben", resümiert der Leiter und motiviert das Publikum, sich gerne auch für schwerere Stoffe zu begeistern. Ein großer Teil der 400 Mitreisenden sitzt hier auf dem Oberdeck und lässt sich durch Helwigs Ausführungen vom Sightseeing ablenken.

Danach passiert erst mal wieder nichts, doch, die Wellen schwappen. Sie haben alle Zeit der Welt, im Gegensatz zu einigen Passagieren. Manchen Gästen sind die Warteschlangen an Bar und Speisetheke zu lang, andere beschweren sich über die Preise. Das übliche Gezeter bei Freizeit-Events. Hier kleckert sich ein Leberkäs-Esser süßen Senf auf die Sonntagshose, dort breiten ein paar Damen ihre Jacken auf den guten Plätzen aus, um sich in Ruhe einen Aperol Spritz zu holen. Szenen wie aus einer Mainstream-Urlaubskomödie.

Alles andere als Mainstream ist das Filmprogramm, also das echte. Es beginnt beim Wendepunkt in Seeshaupt, dann, wenn das Tageslicht erloschen ist. Der Landschaftsfilm verschwindet in der Dunkelheit, das wahre Kino flimmert über die zwei Leinwände. Eine steht auf dem Oberdeck, eine im Hauptdecksalon, wo zwischendurch Live-Musik erklingt. Drei Kurzfilme kommen hier zur Aufführung, es sind die Gewinner der ersten Festivalrunde. Beiträge von jungen Filmemachern, die die 30 noch nicht überschritten haben. Ihre Themen und Genres sind so unterschiedlich wie das bei einem Festival sein soll. Das Minidrama "Samira" handelt von einer verzweifelten Afrikanerin und einem Dolmetscher, der bei einem Polizeieinsatz am Hamburger Hafen helfen soll. Charlotte A. Rolfes' Zweitsemesterfilm an der Hamburg Media School ist das ernsthafteste Werk, reif und gesellschaftskritisch. Um einiges kürzer und ganz in Schwarzweiß gehalten ist "Wert der Arbeit" von dem Münchner Matthias Koßmehl. Sein dichter, fein komponierter Film ist eine Parabel auf die Kunst und auf die Arbeit. Verschroben und formal am mutigsten, verblüfft die verrückte Coming-of-Age-Miniatur "Out of (Fra)me" von Sophie Linnenbaum. In dem surrealen Psychospiel fällt der Ich-Erzähler vor lauter Einsamkeit aus dem Bild. Bei seinem Kampf, wieder gesehen zu werden, lernt er die Outtakes kennen - eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Filmfehlern. Paul sagt schöne Sätze wie: "Wenn ich nicht im Bild bin, könnte ich überall sein."

Was nun das Sehen auf See betrifft, so braucht man sich nichts vorzumachen: Es gibt bequemere, bessere Spielstätten für Filmprojektionen als das Flaggschiff der Bayerischen Seenschifffahrt, die MS Starnberg. So sind die Untertitel nur von den vorderen Reihen lesbar, und auch die Tonqualität ist nicht überall gut. Aber klar: Eine Dampferfahrt ist eine Dampferfahrt ist eine Dampferfahrt. Diese halt mit cineastischem Bordprogramm. Und zum Alleinstellungsmerkmal des Fünf-Seen-Filmfestivals trägt der amüsante Abend allemal bei. Beim Filmfest München zelebrieren sie den Kinosommer in der City, darüber hinaus locken viele Open-Airs. Es gibt die glühwürmchenumschwärmten Musikfilmtage in Oberaudorf und eben die Film(kunst)revue mit dem lässigen Dampfer-Event im Fünf-Seen-Land. Das ist doch was.

Apropos Glühwürmchen. Eines davon kommt auch hier groß heraus, wenngleich in Form eines Preises: Das "Goldene Glühwürmchen", entworfen von der Starnberger Künstlerin Erika Schalper, bekommt der Problemfilm "Samira". Die Passagiere haben ihn gewählt, mit bunten Chips durfte jeder abstimmen. Und noch zwei weitere Festivalauszeichnungen werden an Bord überreicht: Der "Short-Plus-Award" geht an Manuela Federl für "100 Stunden Lesbos"; den mit 3000 Euro dotierten Dokumentarfilmpreis bekommt Stefan Ludwig für "Der zornige Buddha".

"Der Sieger wird um dreiviertel eins, äh, dreiviertel elf verkündet", so hatte sich Matthias Helwig gleich zu Beginn verhaspelt. Diese Fahrt ist zwar lang, aber so lang dann doch nicht. Der schönste Film des Abends hat seine dunkelsten Nachtaufnahmen erreicht, als das Schiff wieder in Starnberg anlegt. Der Abspann gehört den Glühwürmchen, den echten.

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SZ vom 05.08.2016
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