Im Kino: "Proxima":Mama fliegt zum Mars

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Darf eine Mutter für ein Jahr ins Weltall, wenn sie eine kleine Tochter hat? Eva Green (l.) als Astronautin Sarah und Zélie Boulant-Lemesle als ihre Tochter Stella. (Foto: Koch Films/dpa)

Das Astronautinnen-Drama "Proxima" mit Eva Green und Lars Eidinger ist anders als die Weltall-Filme aus Hollywood.

Von Kathleen Hildebrand

Für jede Frau, die mal ein Mädchen war, das geglaubt hat, es könne alles werden, auch Astronautin, fühlt Alice Winocours Film sich an, als würde man in einer alten russischen Raumkapsel in der kasachischen Steppe aufschlagen. Ohne Fallschirm. "Proxima" ist mit seinem Realismus und seinen grauen Farben eine Ausnahme im Weltraumfilm-Genre, das Hollywood sonst oft mit Heldentum und Knalleffekten dominiert. Schon deshalb ist dieser französisch-deutsche Film unbedingt sehenswert.

Die französische Astronautin Sarah wird ausgewählt, an der ersten internationalen Marsmission teilzunehmen. Die Mission trägt den Titel "Proxima", weil es mit dem Mars zum uns nächsten Planeten geht. Für den Film hat das Wort eine doppelte Bedeutung, denn um zum Mars fliegen zu können, muss Sarah von einer geliebten Person auf der Erde Abschied nehmen: ihrer achtjährigen Tochter Stella. In Hollywood ist auch das schon Thema gewesen, zuletzt in der Netflix-Serie "Away", in der Hilary Swank ihre Familie auf der Erde zurückließ und die Teenager-Probleme ihrer Tochter vom Raumschiff aus mit zeitverzögerten Sprachnachrichten klären musste. "Away" versetzte die klassische amerikanische Familienserie einfach in den Weltraum. Was dabei herauskam war vorhersehbarer Fernsehkitsch.

"Proxima" ist anders und wesentlich düsterer, Sarahs Situation komplizierter als die einer aufgeräumten amerikanischen Vorstadtmutter. Sie erzieht Stella allein, mit ihrem Ex-Partner Thomas (Lars Eidinger) hat sie eine nicht ganz einfache Beziehung. Er ist ein pragmatischer Astrophysiker, der in einem deprimierenden Plattenbau lebt, auf seine Küchentüren kritzelt er mathematische Formeln. Und Stella ist empfindsam, hat es in der Schule schwer. Sie leidet, als sie für die Dauer von Sarahs Training und der Mission zu ihrem Vater ziehen muss. Darunter wiederum leidet Sarah, die weit weg im graubraunen russischen "Sternenstädtchen" ein zermürbendes Trainingsprogramm absolviert. Sie weint, eine Wunde heilt nicht, draußen scheint immer November zu sein. Man will ihr nicht nur einmal in diesem Film zurufen: Lass es doch einfach, was soll das mit dem Mars, es ist alles zu schwer, bleib da!

Die Raumfahrt ist eine Welt, die Männer für Männer gemacht haben

Wie Eva Green und Zélie Boulant-Lemesle diese Mutter-Tochter-Beziehung spielen, ist intensiv und große Klasse. Sie wechseln zwischen Sprachlosigkeit, Abwehr, Wut und Verständnis. Dabei schwingt immer der unleugbare Unterschied mit, den es bedeutet, wenn eine Mutter statt eines Vaters ihr Kind verlässt, wenn auch nur für eine gewisse Zeit und eine ehrenvolle Aufgabe.

Zwischen Stolz und schlechtem Gewissen: Die Astronautin Sarah muss ein zehrendes Training absolvieren. (Foto: -/Koch Films/dpa)

Alice Winocour hat lange recherchiert für diesen europäischen Weltraumfilm. Sie hat an Originalschauplätzen gedreht, mit der Europäischen Weltraumagentur ESA zusammengearbeitet. Und sie hat mit Astronautinnen über deren Erfahrungen in der Raumfahrt gesprochen. Es sei eine Welt, die von Männern für Männer gemacht ist, sagen die. Die Raumanzüge sind so konstruiert, dass sie auf den Schultern ruhen, während bei Frauen die Hüften stärker sind. Sarahs Missionskommandant macht blöde Witze über Französinnen, ein Russe starrt ihr auf den Busen. Die Tampons werden ihr vom erlaubten Gewicht fürs Privatgepäck abgezogen. Als Frau ist sie ein Fremdkörper in dieser Welt, so wie sie bald ein Fremdkörper im All sein wird.

Warum sie sich das antut, lässt Winocour erfreulich unerklärt. Es gibt keine anrührende Erinnerung an nächtliche Teleskopausflüge mit dem Papa, wie ein US-Film sie sicher nicht ausgelassen hätte. Es gibt nur die kleinen Momente großen Stolzes. Etwa wenn Sarah für ihren eigenen Raumanzug vermessen wird oder im russischen Supermarkt Kühlschrankmagneten mit ihrem Gesicht angeboten werden. Der leicht irre Intensitätsblick, den Eva Green ihren Figuren immer verleiht, lässt sie vielleicht nicht wie eine rationale Ingenieurin wirken. Wohl aber wie eine Frau mit einem großen, ungewöhnlichen Ziel, für das sie großes Leid - ihres und das ihrer Tochter - in Kauf nimmt. Aber auch wie eine Mutter, die Regeln bricht, um ihrem Kind vor dem Abflug noch mal ihre Liebe zu beweisen. Als die kleine Stella in der letzten Szene am Weltraumflughafen Baikonur aus dem Busfenster guckt, sieht sie eine Herde Wildpferde über die Steppe rennen, zielstrebig, frei und schön.

Proxima, F/D 2020 - Regie: Alice Winocour. Buch: A. Winocour und Jean-Stéphane Bron. Mit: Eva Green, Zélie Boulant-Lemesle, Matt Dillon. Koch Films, 107 Minuten.

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