Süddeutsche Zeitung

Film "More than Honey":Wir sind dann mal weg

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Warum weltweit die Bienen sterben, sich der Mensch deshalb Sorgen machen sollte und wie Imker Millionen verdienen, das untersucht Markus Imhoof in seinem furiosen Dokumentarfilm "More than Honey".

Martina Knoben

Eine liebliche Szenerie: Rosa blühen die Mandelbäume, dazu ist intensives Summen zu hören. "That's the sound of money", kommentiert selbstzufrieden ein Mann, dessen Hemd mit dicken rosa Blüten bedruckt ist. John Miller ist Großimker; mit seinen 15 000 Völkern reist er übers Land, um sie je nach Bedarf und Blütezeit für die Bestäubung von Mandel-, Kirsch- oder Apfelbäumen, Paprika- oder Kürbisplantagen zu vermieten. "Hello ladies", begrüßt er seine Bienen, wie ein Bauer seine Legehennen oder ein Nachtclubbetreiber seine Mädchen begrüßt.

Der idyllische Eindruck verfliegt jedenfalls schnell, als die Kamera in die Luft geht und die ungeheuerlichen Ausmaße der Mandelplantage offenbart. Lieblich ist an dieser Monokultur nichts mehr. Dass Bienen keine Wildtiere sind, dass ihr Nutzen für den Menschen im komplexen Wechselspiel mit den Pflanzen besteht und nicht zuerst in der Honigproduktion, hat man ebenfalls schnell begriffen.

Ein Drittel dessen, was wir essen, gäbe es nicht ohne die Bienen, erklärt Markus Imhoof mit charmantem Schweizer Akzent. Gelernt hat er dies von seinem Großvater, der selbst Imker war, um seine Fabrik für Obstkonserven zu unterstützten. Die Bienen halfen bei der Produktion von Kirschen, Erdbeeren und Äpfeln. Als Junge hätte er dies als produktives, friedliches Miteinander empfunden, sagt Imhoof.

Heute geht es den Bienen schlecht. Seit der Jahrtausendwende bedroht ein mysteriöses Sterben die Völker vor allem in den USA und Europa. Erwachsene Bienen verlassen die Stöcke, zurückbleiben die Brut, junge Bienen, Pollen und Honig. Colony Collapse Disorder (CCD) - Völkerkollaps - haben Fachleute das unheimliche Phänomen genannt. Die Ursache der Störung ist unbekannt.

Auch Imhoof, bekannt vor allem durch seinen Oscar-nominierten Film "Das Boot ist voll", kann das Rätsel des Bienensterbens nicht lösen - Antworten auf die Frage, was die Bienen gefährdet, hat er dennoch parat: Es seien nicht die berüchtigte Varroa-Milbe, auch nicht die Pestizide auf Obstbäumen und Gemüsekulturen, oder der Stress der Tiere - es sei die Summe dieser Faktoren. Die Bienen, so Imhoof, sterben am Menschen.

Dokumentarfilme mit einer ähnlich zivilisationskritischen Haltung, die die industrialisierte, globalisierte Nahrungsmittelproduktion und ihre Konsequenzen vor Augen führen, hat es in den letzten Jahren häufiger gegeben. "More than Honey" fügt sich intelligent und bilderstark in diese Reihe, neben Filmen wie "Darwin's Nightmare" oder "We Feed the World". Aufzuzeigen, was der Mensch den Bienen antut, und warum es eine Katastrophe wäre, wenn diese verschwänden, ist die große Leistung dieses furiosen Dokumentarfilms. Dafür ist Imhoof über mehrere Jahre um die Welt gefahren, hat Menschen wie den amerikanischen Bienenkönig Miller entdeckt, der seine Tiere mit Antibiotika behandeln muss, damit sie als Wanderarbeiter durchhalten; oder die österreichische Königinnenzüchterin, die befruchtete Tiere in 58 Länder verschickt; oder den amerikanischen Hippie-Imker, der die Arbeit mit Killerbienen als Antwort auf den weltweiten Völkerkollaps anbietet.

Wie eine Welt ohne Bienen aussieht, erfährt Imhoof in China, wo Mao die Spatzen hatte bekämpfen lassen, weil sie den Menschen das Getreide wegfraßen. Es folgte eine Ungezieferplage, die mit Pestiziden bekämpft wurde, was auch den Bienen schadete. Nun stehen Scharen von chinesischen Wanderarbeitern in Bäumen und betupfen mit großen, in Pollen getauchten Wattestäbchen Blüte um Blüte - eine bizarre Dystopie.

Ebenso eindrucksvoll ist die Annäherung an die Tiere, um die es geht. Mit Attila Boa hat Imhoof einen Kameramann speziell für die Makroaufnahmen engagiert, der spektakuläre Bilder gesammelt hat. Wollige Leiber sind da zu sehen, die planvoll herumwuseln, um ihre Königin und deren Eier zu pflegen, oder sich krümmen unter einem Pestizid-Sprühstoß. Sogar beim Honig-Sammelflug fliegt die Kamera mit einem Mini-Helikopter hinterher. Bei den Aufnahmen wurde mit ausgetüftelten Zeitdehnungen gearbeitet, die aus dem Gewimmel erst wahrnehmbare Bewegung machen. So werden die Bienen zu gleichwertigen Hauptdarstellern, was bei dem Thema ja nur angemessen ist.

More than Honey, CH/D/A 2012 - Regie, Buch: Markus Imhoof. Kamera: Jörg Jeshel, Attila Boa. Schnitt: Anne Fabini. Verleih: Senator, 94 Min. Das Buch zum Film ist bei Orange Press erschienen.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2012
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