Es ist ein Bild von schöner Friedlichkeit - ein Vater sitzt an einer Kaimauer aus groben Steinen, es ist frisch, aber die Sonne scheint, sein Blick ist ernst, verkniffen, versonnen. An seinen Schoß geschmiegt schläft sein kleines Mädchen. Geborgene Kindheit, bedächtige Vaterschaft sind in diesem Bild konzentriert, es variiert das klassische Motiv einer Pietà.
Es steht im Gegensatz zu all dem, worum es in diesem Film von François Ozon geht - verlorene Jugend, Jungs in der Obhut eines Geistlichen und der Missbrauch, den dieser mit ihnen trieb, die Unerbittlichkeit, wie diese schrecklichen Erfahrungen ins Erwachsenenleben hineinwuchern, jahrzehntelang, die - persönliche - Aufarbeitung von Schuld und die - offiziellen - Reaktionen der katholischen Kirche, die eher auf vertuschendes Stillhalten ausgerichtet sind als auf Aufdeckung und Bekenntnis. Die fatale Spirale von Verdrängen, Vergeben, Glauben.
Pedro Almodóvar:Das Kino als Kirche
Wilde Geschichten, voll Leidenschaft und Schmerz: Der Regisseur Pedro Almodóvar, der vielleicht aufmerksamste Chronist der spanischen Gesellschaft, wird 70 Jahre alt.
Alexandre - so heißt der Vater - lebt mit seiner Familie in Lyon, arbeitet bei einer Bank in Paris. Im Jahr 2014 kriegt er durch Zufall mit, dass der Geistliche Bernard Preynat immer noch als Seelsorger mit Jugendlichen arbeiten darf, obwohl er in den Jahren 1986 bis 1991 in Dutzenden Fällen sexuellen Missbrauch mit den ihm anvertrauten Jungs getrieben hat. Auch Alexandre war damals eins seiner Opfer gewesen. Düstere Pfadfindernächte am Lagerfeuer, von dem - als wär's in einem Horrorfilm - einer der Jungs weggeführt wird vom schwarzen Mann.
Alexandre weist in einer E-Mail an die kirchlichen Instanzen auf diesen skandalösen Zustand hin, und gerät an die Leute, die für die Kirche den Skandal aufarbeiten, ohne großes Aufsehen, den Kardinal Barbarin, Erzbischof von Lyon, und Régine Maire, die Opferpsychologin der Kirche. Es hat den Anschein, als dominiere die Monstranz die Stadt. Auf einer Pressekonferenz hat der Kardinal Barbarin mal erklärt, die meisten Missbrauchsfälle seien inzwischen verjährt, dabei rutscht ihm ein pervers naives grâce â dieu, Gott sei Dank, heraus, und das befremdet die anwesenden Journalisten doch sehr.
Die Aura der Kirche ist immer noch mächtig, und sie ist eng verwandt mit der des Kinos
Ein eigentümlicher Suspense prägt den ersten Teil des Films, wenn er im Off die Mails zitiert, die hin- und hergingen zwischen den Parteien, Alexandres Insistieren und das Blockieren der Kirche, die Möglichkeit der Vergebung. Eine wirkliche Konfrontation kommt nicht zustande. Ich weiß, das ist ein dunkler Fleck in meinem Leben, erklärt Preynat, mehr gibt es nicht von seiner Seite an Schuldeingeständnis. Es ist ein stiller, zäher Suspense, den Ozon entwickelt, aber von der gleichen Konsequenz wie der in seinen subtilen Psychothrillern, "In ihrem Haus", "Eine neue Freundin", "Frantz", "Der andere Liebhaber". Sein großes Thema: die männliche Sensibilität und Fragilität.
"Alexandre" war der Film betitelt, als er gedreht wurde, um das brisante Thema Pädophilie nicht zu signalisieren und keine Maßnahmen der französischen Kirche zu provozieren. Die Innenaufnahmen in Kirchen wurden in Belgien und Luxemburg gedreht. Es sei ein Film, wurde in begleitenden Presseankündigungen erklärt, "über drei Jugendfreunde, die sich in ihren Vierzigern wiederbegegnen".
Melvil Poupaud ist Alexandre, er hat bereits mehrfach bei Ozon gespielt. Er ist, wie auch seine Familie, großbürgerlich, höflich, tiefgläubig, seine älteren Söhne sind mit der Firmung dran, durch den Kardinal Barbarin. Ich tue das alles nicht gegen die Kirche, sagt Alexandre, sondern für sie. Als er mit seinen Bemühungen ins Stocken gerät, kommen zwei andere Opfer Preynats ins Spiel, François und Emmanuel (Denis Ménochet, Swann Arlaud). Ein Opferverein wird gegründet mit einer Website, La parol e liberée (Das befreite Wort, die freie Rede), um all die Opfer Preynats zu finden und zu organisieren. Um ihnen das Wort zu erteilen, sie zum Erzählen zu bringen.
Es wurde versucht, gerichtlich den Kinostart von "Gelobt sei Gott" zu verhindern, um die Unschuldsvermutung gegenüber den Beteiligten nicht zu sabotieren - zivil- und kirchenrechtlich, ohne Erfolg. Bestimmte Urteile, die im Januar 2019 gegen Régine Maire und fünf katholische Amtsträger ergingen, wegen Nichtanzeige sexueller Übergriffe an Minderjährigen und unterbliebener Hilfeleistung, sind zum Teil in Revision. Dennoch lief der Film im Februar in Frankreich in den Kinos an, unmittelbar nach der Berlinale, wo er den Großen Preis der Jury erhalten hatte.
"Gelobt sei Gott" ist ein Loblied auf die Solidarität, jene natürliche Solidarität, die auch heftige Diskrepanzen und Dispute übersteht und immer wieder auftaucht im französischen Kino, von Vigo und Renoir bis zu Truffaut und Rivette. Unerwartet ist, wie der Film in der zweiten Hälfte sich öffnet - was sonst selten passiert bei Ozon, der gern von Einsamkeiten erzählt und dem Wahn, den sie auslösen mögen. François, der eine der beiden Mitstreiter Alexandres, ist ein robuster, unbeirrbarer Atheist. Den anderen, Emmanuel, hat es wirklich schlimm erwischt. Er ist ohne Familie, ohne Arbeit, ein Epileptiker. La parole liberée ist sein Leben geworden. Trotz - oder womöglich wegen - der immer wieder anfallenden Vereinsmeierei in der Opfertruppe.
Die Kirche beschwört François Ozon als bürgerliche Institution. Ihre Aura ist immer noch mächtig, schon deshalb, weil sie der des Kinos eng verwandt ist und dessen Lust an der Überwältigung. Die Kirche als ausbalanciertes Schuld-und-Nachsicht-Mobile, wo jeder seinen Platz findet, in der Harmonie des Schweigens. Das ist jetzt dreißig Jahre her, sagt Alexandres Mutter zu den Aktionen des Sohnes, der das nicht gelten lassen will als Argument. Und: Du warst schon immer gut darin, Scheiße aufzuwühlen.
Grâce à dieu, F 2019 - Regie, Buch: François Ozon. Kamera: Manuel Dacosse. Schnitt: Laure Gardette. Musik: Evgueni und Sache Galperine. Mit: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud, Éric Caravaca, François Marthouret, Bernard Verley, Josiane Balasko, Martine Erhel. Pandora, 137 Minuten.