Film-Jubiläum:Der Aufdecker

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Regisseur Michael Verhoeven, 1938 in Berlin geboren, drehte Filme wie "Die weiße Rose" und "Das scheckliche Mädchen". (Foto: dpa)

Der Regisseur Michael Verhoeven wird achtzig. Sein Lebensthema ist die Verdrängung der deutschen Vergangenheit. Mit Filmen wie "Die weiße Rose", "Das schreckliche Mädchen" und mit seinen Dokumentationen hat er viel bewirkt.

Von Rainer Gansera

Ein Hörbuch mit Hermann Hesses Betrachtungen über das Alter, gelesen von Senta Berger und Michael Verhoeven, trägt den schönen, auch für einen Geburtstagsgruß passenden Titel "Mit der Reife wird man immer jünger". Wenn es ein Leitmotiv in Michael Verhoevens Filmen gibt, dann ist es der Elan jugendlich-idealistischen Aufbruchs, also der Wille zu Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, zur Leichtigkeit des Seins noch in dunklen Augenblicken, die Unbedingtheit der Hingabe.

Als Sechzehnjähriger in seiner ersten Filmrolle bietet er ein prächtiges Bild des Hingegebenseins, wenn er mit verbundenen Augen am Klavier sitzt. Er spielt in Kurt Hoffmanns Kästner-Verfilmung "Das fliegende Klassenzimmer" (1954) den Tertianer Ferdinand, genannt "Unser Beethoven", der ganz in seiner Musik lebt und einfach nicht vom Klavier wegzuholen ist, sodass der Klassenlehrer ausruft: "Nächstens wird er noch das Atmen vergessen!" Ein Vorspiel, in dem sich Charakteristisches ankündigt.

Die beiden Figuren, die in Verhoevens Werk jugendlichen Elan und Idealismus idealtypisch verkörpern, sind die Heldinnen seiner berühmtesten Filme: Sophie Scholl im Drama der studentischen Widerstandsgruppe "Die weiße Rose" (1982) und Sonja Wegmus in der Politsatire "Das schreckliche Mädchen" (1990) - beide gespielt von Lena Stolze. An der Gestalt der Sophie Scholl fasziniert, wie sich mädchenhafte, beinahe noch kindliche Unschuld in den Ernst eines unbeugsamen Widerstands gegen den Terror der Naziherrschaft wandelt. Die Schülerin Sonja wiederum tritt keck hervor, wenn sie die verdrängte, vertuschte NS-Vergangenheit diverser Honoratioren einer bayrischen Provinzstadt aufdeckt. Sonja: ein jugendlicher Wirbelwind in aufklärerischer Mission.

Mut, List, Unkorrumpierbarkeit - das sind Tugenden, mit denen Verhoeven vor allem seine weiblichen Figuren ausstattet, auch in Geschichten jenseits ernster, gesellschaftspolitisch brisanter Themen. So setzt er Senta Berger, seine Ehefrau und Komplizin seit 1965, in der TV-Serie "Die schnelle Gerdi" als eine Taxifahrerin in Szene, die sich mit Witz und Charme im Großstadtdschungel behaupten kann.

In Teenager-Jahren findet Michael Verhoeven Fußballspielen spannender als die Schauspielerei, aber er agiert doch gerne vor der Kamera, auf der Bühne, und sein Lebensweg scheint vorherbestimmt zu sein: Er soll in die Fußstapfen seines Vaters, des renommierten Regisseurs, Schauspielers und Intendanten Paul Verhoeven, treten. Er revoltiert gegen die väterlichen Pläne, studiert Medizin, arbeitet als Assistenzarzt - parallel zum Aufbruch des Neuen Deutschen Films widmet er sich dann aber schließlich doch ganz dem Filmemachen.

Rasch findet er zum Thema, das ihn am mächtigsten umtreibt - das Verdrängte der deutschen Vergangenheit. Bei den Recherchen zu "Die weiße Rose" entdeckt er Zusammenhänge und Lebenswirklichkeiten, die in Geschichtsbüchern noch nicht beschrieben sind. Die außerordentliche Wirkkraft des Films speist sich auch aus solcher Recherche-Pionierarbeit und wird dazu beitragen, dass der Bundestag 1985 die Entscheidungen des NS-Volksgerichtshofs für nichtig erklärt.

Auch andere unbequeme Wahrheiten, Tabus und Kontroversen greifen seine Filme auf: Transsexualität, sexueller Missbrauch, die Problematik zölibatärer Priester, die Not arbeitsloser Jugendlicher in den Randzonen der Gesellschaft, auch die Frage, ob nach dem Mauerfall ein gesellschaftlicher Neubeginn möglich sein wird. Im Kern geht es ihm um die Aufdeckung von Lebenslügen als Akt der Klärung und Befreiung. Er demaskiert nicht herablassend, sondern mit der Frische eines Blicks, der des Kaisers neue Kleider durchschaut. Das hält ihn, der am Freitag seinen 80. Geburtstag feiert, jung.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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