"Jim Knopf" kommt ins Kino:Eher Weltkino als Augsburger Puppenkiste

jim & Lukas

Jim & Lukas: Links die Zeichnung aus dem Kinderbuch, rechts der Film mit den Schauspielern Solomon Gordon (v.) und Henning Baum. Illustration: Franz Josef Tripp/Thienemann Verlag, Foto: Warner Bros.

Mit "Jim Knopf" kommt der teuerste deutsche Kinderfilm ins Kino, den es je gab. Ein Großprojekt, ebenso rekordverdächtig wie riskant.

Von Christian Mayer

Es gibt Bücher, die auf geheimnisvolle Weise alterslos bleiben, man liest sie in verschiedenen Lebensphasen, idealerweise vor Publikum. So ist es auch mit dieser Geschichte über einen kleinen, dunkelhäutigen Jungen, der in eine Kiste verpackt auf einer Insel namens Lummerland landet. Jim Knopf heißt der Held, der sich mit Lukas dem Lokomotivführer und der Lok Emma auf Abenteuerfahrt begibt, bei der sie einen oberlehrerhaften Drachen, einen einsamen Scheinriesen, eine chinesische Prinzessin und eine Horde Piraten treffen.

In manchen Familien ist dieses Buch eine Art Initialzündung des Lesens, es wird von Generation zu Generation weitergetragen, bis die Seiten speckig und voller Eselsohren sind. Vier Millionen Mal haben sich die Jim-Knopf-Bände in Deutschland verkauft. Michael Ende starb 1995 im Alter von 65 Jahren. Kinder hat er nicht hinterlassen, aber einen Schatz, der immer wieder neu gehoben wird. Doch wer hütet diesen Schatz, wer verteidigt sein Erbe?

Diese Frage stellt man am besten Christian Becker. Der Filmproduzent sitzt leicht ermattet im "Mariandl" in der Münchner Goethestraße, ein herrlich altmodisches Café, der 45-Jährige findet kaum Zeit zum Essen. Ende März kommt sein Film "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" ins Kino. 25 Millionen Euro für einen Kinderfilm aus Deutschland, davon acht Millionen allein für die Digitaleffekte: Dieses Großprojekt ist rekordverdächtig und fast so riskant wie Jim Knopfs Fahrt durchs Tal der Dämmerung, das vor lauter Echos in einem gewaltigen Brausen untergeht.

Die Gesamtauflage von Michael Ende liegt bei 35 Millionen Büchern

Im Grunde ist es eine unendliche Geschichte, die Geschichte eines Films, der lange wie eine Fata Morgana wirkte. Becker erzählt, wie er als Schüler die Bücher von Michael Ende verschlungen hat. Der Absolvent der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, der mit der Komödie "Bang Boom Bang" einen rasanten Karrierestart hinlegte, ist noch keine 30, als er Jim Knopf, dem Jungen im roten Rollkragenpullover, ein Denkmal setzen möchte. Etwas Größenwahn war wohl dabei, es war die Zeit des Millenniumswechsels. "Ich hatte als Produzent bereits etwas Erfahrung. Aber Jim Knopf war eine andere Nummer." Im Café legt Becker die Unterlagen vor sich auf den Tisch: ein 150-seitiges Bewerbungsschreiben, das er damals dem Testamentsvollstrecker von Michael Ende schickte.

Seine Hartnäckigkeit zeigt Wirkung: Nach langwierigen Verhandlungen kann er 2005 die Filmrechte erwerben. Für 400 000 Euro, eine Menge Geld, aber Becker hat inzwischen in der Constantin Film einen mächtigen Partner im Rücken, der 51 Prozent an seiner Firma Ratpack hält: "Ich dachte, das wird ja jetzt nicht so schwer sein, das Projekt zu finanzieren."

Doch das Erbe berühmter Künstler hat oft seine Tücken. Egal ob es um die Dramen von Bert Brecht, die Filme von Rainer Werner Fassbinder, die Songs von Michael Jackson oder die Krimis von Stieg Larsson geht: Wichtige Werke brauchen Hüter, sie wollen gepflegt und manchmal gegen Geschäftemacher verteidigt werden.

Wolf-Dieter von Gronau ist der Mann, der über Michael Endes Urheberrechte wacht. Der Wirtschaftsanwalt vertritt sonst höchst diskret Bank- und Konzernmanager, über die er in der Öffentlichkeit eisern schweigt - anders als über Michael Ende. Der 66-jährige Herr im dunklen Anzug empfängt in seiner Kanzlei über einem Kinderspielzeugladen am Münchner Stachus. "Ich habe es immer genossen, Michael Ende zuzuhören", sagt er. Obwohl sein Lieblingsklient enervierend viel rauchte, "fast so viel wie die grauen Herren in ,Momo'". Ende der Achtzigerjahre sitzt Michael Ende erstmals in Gronaus Kanzlei. Es geht ihm nicht gut. Sein Steuerberater hat ihm millionenschwere Investments aufgedrängt - und alles versenkt.

Endes Werk lebendig halten

Michael Ende leidet darunter, dass er trotz seines Erfolges vor einem Scherbenhaufen steht. Zumal er nie verkraftet hat, dass manche ihn als weltfremden Märchenonkel belächeln: Popularität ist im deutschen Kulturbetrieb immer verdächtig, und manchen Kritikern reicht es, seinen sperrigsten Romantitel zu zitieren, um ihn abzukanzeln: "Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch" - entstanden in einer Zeit, als Ende dringend Geld brauchte. Genauso schlimm wie der Spott ist für ihn die Verfilmung der "Unendlichen Geschichte" von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 1984. Ende, der das Projekt des Produzenten Bernd Eichinger erst wohlwollend verfolgt, fällt in eine Art Schockstarre, als er den fertigen Film sieht: Seine Traumwelt Phantásien scheint ihm nur noch ein müder Abklatsch zu sein, eine kindische Heldengeschichte mit grobmotorischen Fantasiewesen. Freunde erzählen, wie Endes erste Ehefrau Ingeborg 1985 den Film sah und wie sie, schwer krank, am Tag darauf starb.

Wichtigste Aufgabe für den Wirtschaftsanwalt ist es, die finanziellen Verhältnisse seines Klienten zu ordnen. "1990 war er wieder schuldenfrei." Gläubiger für Gläubiger klappert Gronau ab. "Da gab es auf einmal mehrere Banken, die bereit waren, auf Ansprüche zu verzichten, unter einer Voraussetzung: Sie wollten Michael Ende persönlich kennenlernen."

Seit dem Tod des Autors fungiert Gronau als Testamentsvollstrecker. "Meine Aufgabe ist es nicht, Geld einzutreiben, sondern das Werk von Michael Ende lebendig zu halten", sagt er. Es gibt zwar noch Endes zweite Ehefrau, eine japanische Übersetzerin, doch diese lebt zurückgezogen in einem Münchner Heim. Als künftiger Alleinerbe spielt Roman Hocke, 64, eine wichtige Rolle. Hocke, Inhaber einer Literaturagentur, die Autoren wie Sebastian Fitzek betreut, kennt das Werk von Michael Ende wie kein Zweiter. Er ist ihm persönlich verbunden, denn der Schriftsteller machte seinen jungen Lektor Hocke kurz vor seinem Tod zum Adoptivsohn. Ende suchte nach einem Erben, der ihn versteht und verteidigt.

Das Sagen hat aber offiziell der Anwalt. Wolf-Dieter von Gronau entscheidet mit einer gewissen Pedanterie, unter welchen Voraussetzungen sich eine Schule "Michael-Ende-Gymnasium" nennen darf und was der Europa-Park Rust alles beachten muss, bevor dort die Themenfahrt durch Lummerland ihren Betrieb aufnahmen darf. Gronau erhebt auch Einspruch, wenn irgendwelche Fanartikel auftauchen: "Gerade erst hat eine Firma einen Michael-Ende-Tee auf den Markt bringen wollen, denen hauen wir dann auf die Finger."

Roman Hocke wiederum tourt in diesen Tagen für die neue Jim Button-Stiftung durchs Land, die benachteiligte Kinder in Afrika unterstützen soll. "Jim Knopf" passe doch hervorragend in unsere Zeit, erzählt er kurz vor Filmstart: die Geschichte eines Jungen, "der auf der Suche ist nach seiner eigenen Identität", dafür um die halbe Welt reist und überall Freundschaften knüpft. Ende sei als Autor heute noch bedeutend, weil er sich so viel Zeit genommen habe, um seine Geschichten immer weiterzuspinnen. "Er hat Kinder ernst genommen, aber auch nicht bevorzugt behandelt oder sie bevormundet. Das spürt man in seinen Büchern", sagt Hocke. Seine eigene Beziehung zu Ende ist familiär: Der Autor wohnte in den Siebzigerjahren in den Albaner Bergen bei Rom, Hockes Eltern waren seine Nachbarn. Es war ein selbst gewähltes Exil, oft kampierten Fans vor Endes Haus. "Nach dem Tod seiner Frau hat er Unterlagen und Briefe draußen auf einen Haufen geworfen und angezündet. Er wollte zurück nach Deutschland, aber vorher die Vergangenheit abstreifen. Meine Mutter hat die Papiere aus den Flammen gerettet."

Dieser Bruch mit der Vergangenheit ist einer der Gründe, warum die Erinnerung an Michael Ende heute eher fragil ist - ein kleines Museum in Garmisch, wo er bis zu seinem Tode lebte, musste 2017 schließen, weil kein Geld mehr da war für eine zeitgemäße Ausstattung. Und was soll man auch zeigen bei einem Autor, der vor allem in der Fantasie seiner Leser weiterlebt? Zumal man immer das Einverständnis der Erben-Vertreter braucht - und die sind streng.

Nur Ochsenknecht zeigt etwas zu selbstverliebt seine Unterhosen

Als Longseller ist Ende dagegen ein Phänomen des Buchmarkts. Gerade ist die Aufmerksamkeit besonders hoch. Der Thienemann-Verlag, der den literarischen Schatz von Michael Ende (Gesamtauflage: 35 Millionen Bücher) hütet, hat schon mal eine Neuauflage von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" gedruckt. Die alten, von vielen geliebten Zeichnungen des Illustrators Franz Josef Tripp aus der Originalausgabe von 1960 sind verschwunden, dafür gibt es jetzt Filmbilder. Muss man mögen.

Der Testamentsvollstrecker Wolf-Dieter von Gronau ist froh darüber, dass der Film relativ viel Ähnlichkeit mit dem Buch aufweist. Was auch eine Leistung des jungen britischen Hauptdarstellers Solomon Gordon und des deutschen Schauspielers Henning Baum ist - im Film bilden die beiden ein harmonisches Paar, dem man nicht ohne Rührung zusieht. Werktreue ist den Erben wichtig, das sieht Endes Adoptivsohn Roman Hocke genauso. Der zappelige Auftritt von Uwe Ochsenknecht als König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte ist dagegen nicht ganz nach ihrem Geschmack, weil Ochsenknecht dem König eine ungebührliche Trotteligkeit verleiht und etwas zu selbstverliebt seine Unterhosen vorzeigt.

Aber das sind Kleinigkeiten. Angesichts der Vorgeschichte ist es ohnehin ein Wunder, dass der Film ins Kino kommt. Nach 15 Jahren, die der Produzent Christian Becker als wahre Achterbahnfahrt erlebt hat. Von Beginn an schwebt ihm ein richtiges "Ereignis" vor: weniger die Augsburger Puppenkiste, die zum landesweiten Ruhm von "Jim Knopf" beigetragen hat, sondern Weltkino, so wie die "Harry Potter"-Filme: John Goodman oder Tom Hanks als Lukas der Lokomotivführer, Kathy Bates als Frau Waas und John Cleese als Scheinriese Tur Tur sollen dem Film Glamour verleihen. Der Produzent träumt von grandiosen Kulissen: "Jim Knopf" ist ja kein Kammerspiel, sondern Stoff für die Großleinwand - man muss aber schon die Mittel haben, um ganze Gebirge zum Einsturz zu bringen.

Am abenteuerlichsten ist die Episode mit den australischen Investoren, die versprechen, mit einem Millioneninvestment bei "Jim Knopf" einzusteigen. Aber nur unter der Voraussetzung, dass Shirley McLaine eine tragende Rolle bekommt. Produzent Christian Becker verfällt auf die verwegene Idee, die Oscar-Preisträgerin könne ja Frau Mahlzahn, dem Drachen, der im Buch die entführten Kinder gefangen hält, ihr Gesicht leihen. Doch erst mal will der Agent der Schauspielerin Cash sehen: 800 000 Dollar - Becker muss die Summe 2013 mühsam zusammenkratzen, sein Regisseur ist auch auf dem Absprung. In höchster Not übernimmt sein Freund aus WG-Zeiten, Dennis Gansel, den Dreh: Gansel liest auf dem Flug nach Australien erstmals das Drehbuch und ist so begeistert, dass er schließlich den ganzen Film übernimmt. Und Shirley McLaine? Die Aufnahmen mit ihr liegen auf Halde, sie sollen Verwendung finden, wenn ein internationales Remake produziert wird. Irgendwann.

"Jim Knopf" als Weltkino mit Starbesetzung, diese Idee war faszinierend - und lähmend

Vielleicht wäre nie etwas aus dem Film geworden, hätte Christian Becker nicht irgendwann auf den Rat von Kinobetreibern gehört: "Warum dreht ihr den Film nicht in Deutschland, mit deutschen Schauspielern? Dann müsst ihr auch nicht so viele Kompromisse machen." Und so verabschiedete sich Becker im Sommer 2016 von der Vision einer internationalen Starbesetzung. "Das war für mich wie eine Befreiung, danach ging auf einmal alles ganz schnell." Auch weil seine Partner an das Projekt glaubten, zwölf Millionen Euro steuerte allein Warner Bros. Deutschland bei.

"Was ich in den Jahren verdient habe, habe ich in diesen Film gesteckt", sagt Becker, der Kinoerfolge mit "Wickie", den "Vorstadtkrokodilen" oder Teil eins von "Fack ju Göhte" hatte. Kinkerlitzchen, im Vergleich zu "Jim Knopf". Abgeschlossen hat der Vater einer fünfjährigen Tochter und eines zweijährigen Sohnes noch längst nicht mit Michael Ende: Die Dreharbeiten für den zweiten Teil der Geschichte, "Jim Knopf und die Wilde 13", sollen im Frühjahr 2019 beginnen. Und dann ist Schluss?

Nein, ein Schluss ist bei dieser Geschichte nicht vorgesehen, das Buch funktioniert ja wie das Perpetuum mobile, das seit jeher die Leser von "Jim Knopf" fasziniert hat: Es hebt einfach ab und schwebt.

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