Kino:Eine Frau, kein Wunder

Sie ist hart wie Stahl und legt jeden Mann aufs Kreuz. Wieso funktioniert "Wonder Woman" als erste weibliche Comic-Heldin auf der Leinwand - und das auch für Männer?

Von David Pfeifer

Über den Film "Wonder Woman", der erfolgreich in den USA läuft und seit vergangener Woche auch die deutschen Kinokassen klingeln lässt, ist viel geschrieben worden. In erster Linie darüber, was der Film für Frauen bedeutet. Doch was bedeutet er für Männer?

Erst mal, dass man als mittelalter ehemaliger Comic-Leser nicht nur zwischen 16-jährigen Nerds im Kino sitzt, sondern mehr als die Hälfte der Besucher an einem heißen Sommernachmittag in München Frauen sind, was ja schon eine Verbesserung darstellt. Die älteste Besucherin ist alleine da, vergnügt, akkurat gekleidet und etwa 80 Jahre alt. Nicht völlig ungewöhnlich, denn "Wonder Woman" wurde bereits 1941 erfunden und war als Comic-Figur eine Ikone der Frauenbewegung.

Die Hauptdarstellerin im neuen Film war israelische Soldatin. Das merkt man ihr auch an

Das Publikum ist erwähnenswert, denn der Film hebt sich sonst kaum vom üblichen Superhelden-Klamauk ab. Besonders die Verfilmungen der Helden aus dem Comic-Verlag "DC" ("Superman", "Batman" usw.) haben immer mit dem übermäßigen Pathos ihrer Vorlagen zu ringen, im Gegensatz zur Konkurrenz von "Marvel" ("Iron Man", "Avengers"). Erst einmal war man also erleichtert, dass man sich nicht so einen grauenvollen Schrott ansehen musste wie "Superman vs. Batman" aus dem vergangenen Jahr, in dem "Wonder Woman" einen Gastauftritt hatte - den Film aber nicht retten konnte.

Ihr erster Solo-Auftritt gelingt hingegen, wenn man das Genre mag, überzeugend. Die Kampfszenen sind spektakulär, der Pathos halbwegs gezügelt, die Gags - vor allem die auf Kosten der Männer - zünden. In erster Linie funktioniert der Film also als das, was er sein soll: Popcorn-Kino mit Überwältigungseffekten.

In der Vergangenheit war mehrmals versucht worden war, eine weibliche Superheldin im Blockbuster-Kino zu etablieren. Halle Barry wurde 2004 in ein "Catwoman"-Kostüm gesteckt und musste sich katzenhaft räkeln. Kurz darauf versuchte sich Jennifer Garner im bauchfreien Top als "Elektra" - beide Filme floppten.

Das erklärten die Produzenten hinterher damit, dass hormongepeitschte junge Männer, Kernzielgruppe von Superhelden-Filmen, sich nicht mit weiblichen Helden identifizieren könnten - für das Gegenteil ist "Wonder Woman" ein guter Beleg. Gal Gadot, die Hauptdarstellerin, sieht fantastisch aus und besitzt als ehemalige israelische Soldatin auch die Nahkampf-Fertigkeiten, um in den Actionszenen zu überzeugen. Im Film sagt einer ihrer Gefährten, als er sie kämpfen sieht: "Das erregt und erschreckt mich gleichermaßen." Als Mann sitzt man im Kino, sieht einer großen, schönen, humorvollen, mächtigen Frau beim Kämpfen zu - und ist gleichzeitig ein bisschen verliebt und beeindruckt. So als wären Sophie Marceau und "Spider-Man" amalgamiert worden. Man möchte diese Frau kennenlernen und gleichzeitig so wie sie sein. Normalerweise geht nur eins von beidem.

"Wonder Woman" geht aber noch weiter, weil die Hauptdarstellerin und die Regisseurin alles richtig gemacht haben. Kein einziges Mal rutschen sie in Genderdebatten-Nähe, nie hat man das Gefühl, hier muss der Beweis geführt werden, dass Frauen etwas genauso gut können wie Männer. Es wird vorausgesetzt. Gal Gadot bewegt sich wie eine Kampfsportlerin, und die bewegen sich von einem gewissen Stadium des Könnens an nicht mehr anders als männliche Kampfsportler. Körperspannung ist Körperspannung, es macht also keinen Unterschied, dass hier eine Frau kämpft. Außer vermutlich für die Frauen, die so etwas in dieser Qualität nicht so häufig im Kino sehen.

Gadot zeigt Zornesfalten - eine Mimik, die man seit Botox immer seltener im Kino sieht

Klar, es gab Sigourney Weaver, die vom zweiten Teil der "Alien"-Reihe an mit sichtbarem Bizeps und schweren Waffen gegen außerirdische Monster ins Feld zog. Und Sarah J. Connor, die sich dem "Terminator" in den Weg stellte. Aber das war es dann auch für lange Zeit, bis Jennifer Lawrence in den "Tributen von Panem" auftrat und Charlize Theron in der Neuauflage von "Mad Max" eben diesem Max die Show stahl.

Dass Kämpfe nichts für Frauen sind, war schon immer großer Unsinn

"Wonder Woman" wurde vom "DC"-Verlag entwickelt, um den US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg den Weg zum Feind zu weisen und ihre Moral zu stärken. Im Film wird sie nun in den Ersten Weltkrieg geschickt. Gal Gadot zeigt dabei zwei ziemlich ernste Zornesfalten auf der Stirn, wo andere Hollywood-Schauspielerinnen botoxbedingt seit Jahren keine Ausdrucksmöglichkeit mehr haben.

Es schadet natürlich nicht, wenn man vorher weiß, dass Gal Gadot im israelischen Militär gedient hat, wo Frauen an der Waffe völlig normal sind. Weil sich die Darstellerin und die Comic-Ikone hier so gut überlagern, stellt sich "Wonder Woman" einerseits in eine Reihe von weiblichen Kombattantinnen, die häufig symbolisch für Konflikte standen, wie Johanna von Orleans und die französische Marianne. Und andererseits auch in die Ahnenreihe realer Frauen im Krieg, von den Napoleonischen Befreiungskriegen bis zum Spanischen Bürgerkrieg, in dem aufseiten der Republik ganze weibliche Bataillone gegen die Faschisten zur Waffe griffen - und bei diesen gefürchtet und verhasst waren. In beiden Weltkriegen schlichen sich Frauen als Männer verkleidet an die Front, die Rote Armee setzte Frauen offiziell als Kampfpilotinnen oder Scharfschützinnen ein. Seit nicht mehr mit der Streitaxt gekämpft wird, sondern mit Distanzwaffen, gibt es keinen Grund mehr, warum Frauen nicht genauso viel Zerstörung anrichten sollten wie Männer. Außer vielleicht, dass sie sich für Zerstörung etwas weniger begeistern können.

Manchmal ist es doch ganz angenehm, einer starken Frau beim Kämpfen zuzusehen

Dass Kämpfen nichts für Frauen ist, war natürlich immer großer Unsinn, gesellschaftlich vorgegeben und bedarfsweise variiert. Die Amazonen (die "Wonder Woman" in der Comic-Vorlage als Herkunftsvolk dienen, so wie "Superman" vom Planeten Krypton stammt), hat es zwar so nie gegeben, aber Grabfunde von mit Waffen beigesetzten Frauen aus der Zeit um 700 Jahre vor Christi Geburt legen nahe, dass der Mythos einen konkreten Ursprung hatte (und belegen, dass es immer kämpfende Frauen gab). Homer beschrieb die Amazonen als geheimnisvolles Kriegervolk, als "männergleich" - wobei hier kein Bürstenhaarschnitt gemeint war, die Darstellung auf alten Tonkrügen gerieten stets sehr anmutig und weiblich. Von Herodot wurden sie in der Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christi als "Männer tötend" beschrieben. Da zeigte sich bereits eine Nähe zum späteren "Flintenweib", einem Begriff, den rechte Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg verwendeten, wenn sie Frauen, die in den linken Kampfgruppen viel präsenter waren, diffamieren wollten. Die Rechten hatten Angst, es würden ihnen von diesen fordernden Frauen "die Eier abgeschnitten werden" (wobei kein solcher Fall überliefert ist, hingegen viele, sehr brutale Angriffe gegen die sogenannten Flintenweiber).

In "Wonder Woman" reiten, kämpfen und trainieren die Amazonen vorwiegend, darunter weitere tolle Schauspielerinnen wie Robin Wright. Überhaupt bestehen die Amazonen in dem Film nicht aus 21-jährigen Casting-Show-Dropouts, sondern sehen lebenserfahren, selbstbewusst und aufgrund der Kostümierung auch ein wenig albern aus.

Wonder Woman -- Film Still. Pressematerial bezogen über Warner Bros. Entertainment

Robin Wright spielt Gal Gardots Ausbilderin, eine Amazone.

(Foto: Clay Enos)

Starken Frauen tut es natürlich genauso gut wie Männern, wenn sie sich selbst nicht zu ernst nehmen. Als Mann möchte man sich auf ihrer Insel sofort freiwillig zum Dienst verpflichten ("Darf ich bei euch einziehen? Ich kann gut kochen!"). Wenn man eher nicht zur Gruppe der Männer gehört, die am Wochenende extradicke Steaks grillen oder zum Survival-Camping in den Wald fahren, um dabei ihre Männlichkeit auszuleben, dann ist es doch nur angenehm, sich mal zurückzulehnen, weil die Sicherung der Außengrenzen, der öffentlichen wie der privaten, von Frauen übernommen wird.

Allerdings gilt in Beziehungen immer: Beide haben die gleichen Anteile. Hinter jedem verunsicherten Mann steht ja meistens eine Frau, die ihn für ihr Unglück verantwortlich macht. Solche Gefühle helfen nicht beim großzügigen Umgang miteinander, deswegen ist es so wohltuend, in "Wonder Woman" Frauen zu sehen, die sich gar nicht über Männer definieren, diese deswegen aber auch nicht als Gegner oder Quelle ihres Unglücks wahrnehmen.

Viele Männer wünschen sich ja durchaus Frauen, die sie im Ernstfall auch umgekehrt beschützen könnten. In Kriegstagebüchern aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg - also den Konflikten, denen die "Wonder Woman"-Figur entsprungen ist - liest man immer wieder über die Sehnsucht nach der Mutter, nach der Frau oder der Verlobten, wenn es im Schlachtengetümmel wirklich duster wurde. Im Hollywood-Betrieb, traditionell eine eher sexistische Industrie, gelingt es auffallend selten, diese Sehnsucht umzusetzen.

Dieses Jahr floppte der zweite Teil der "Jack Reacher"-Reihe. In diesem wurde, wohl um weibliches Publikum anzulocken, eine Majorin an die Seite des Superermittlers gestellt, die ebenfalls zuschlagen und Feuerwaffen bedienen kann. Doch da Reacher immer noch einen Wahnsinnstrick drauflegen muss, verpuffte der Effekt. Am Ende war die Botschaft: Egal, wie toll die Frau ist, der Mann muss es doch wieder richten. Das war nicht nur sehr schlecht für die Sache der Frau, sondern schlecht für alle, auch für Männer, weil Jack Reacher im Notfall dann doch wieder ran muss, der arme Kerl.

Vermutlich ist das die wahre Verheißung, die "Wonder Woman" für Männer birgt: Sie ist nicht nur begehrens- und bewundernswert. Man kann sich in ihrer Gegenwart wundervoll entspannen.

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