Süddeutsche Zeitung

Film:Ein Leben, zwei Länder

Gleich mehrere Filme beschäftigen sich mit der Rückkehr vieler Mexikaner von den USA in ihr Heimatland.

Von Lilla Puskás

Nach fünf Jahren der Entsagung und harter Arbeit auf den Pfirsichplantagen nimmt Lupe eines Tages all seinen Mut zusammen - und ruft zu Hause an. Jeden Dollar, den er in Kalifornien verdient hat, will der altgewordene Wanderarbeiter seiner Familie in Mexiko schicken. Aber die Ablehnung am anderen Ende der Leitung könnte nicht größer sein. Kein Wunder, nach fünf Jahren ohne Lebenszeichen - die Daheimgebliebenen haben den Mann längst verloren gegeben. "Ich hatte keine Zeit, anzurufen", ist der einzige Satz der Erklärung, den der wortkarge Lupe gegenüber seiner Frau herausbringt.

Rodrigo Reyes' "Lupe Under the Sun" ist nur einer der Filme, die man in letzter Zeit in Mexiko sehen konnte, die das Augenmerk auf ein international wenig beachtetes Phänomen lenken. "Menschen sickern über unsere südliche Grenze ein", dröhnte Donald Trump im Wahlkampf, um seinen inzwischen per Executive Order befohlenen Plan zum Bau eines "beautiful wall" entlang der mexikanisch-amerikanischen Grenze zu rechtfertigen. Tatsächlich aber verläuft die größere Migrationsbewegung längst in umgekehrter Richtung, von Norden nach Süden.

Das belegen Erhebungen des Pew Hispanic Research Center aus den Jahren 2010 bis 2014, nach denen zwar 870 000 Mexikaner die Grenze zur USA überschritten, eine Million aber in der Gegenrichtung umzog, zurück in die Heimat. Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, wie Everard Meade, Leiter des "Trans Border Institute" der Universität San Diego, erklärt: "Zugang zu einem guten Job in den USA ist viel weniger sicher als etwa während des Baubooms der Neunzigerjahre. Mexikanische Städte wie Tijuana bieten inzwischen bessere wirtschaftliche Möglichkeiten als die USA."

Diesen neuen Migranten gibt das Kino nun erstmals ein Gesicht. Da ist zum Beispiel die Art, wie der Lupe, gespielt vom Laiendarsteller Daniel Muratalla, die Nummer seiner Familie in Mexiko wählt - die Finger tippen sie immer noch wie von selbst. Es war nicht Gleichgültigkeit oder Apathie, die ihn von der Heimat so weit entfernt haben, es war die Angst des illegal Eingewanderten, die Grenze kein zweites Mal überwinden zu können. Einmal sieht man ihn im Zoo, wie er einen Grizzlybären beobachtet, der im Käfig ruhelos seine Kreise zieht. Rodrigo Reyes sensible und poetische Regie macht klar, dass Lupe in diesem Bären sich selbst erkennt.

Die große Illusion vom amerikanischen Traum hat er da schon lange verloren. Es bleibt nur ein Dollarbündel, in Alufolie eingeschlagen, im Inneren eines kalten Ofens. "Ich will zurück", sagt Lupe zu seiner Freundin, die ebenfalls Immigrantin aus Mexiko ist. Er kündigt seinen Job, verkauft seinen ganzen Besitz am Straßenrand und macht sich auf den Weg in die Heimat. Die nächste Herausforderung, seinen Empfang in Mexiko, zeigt der Film nicht mehr. "Wir müssen unser Land heilen", sagt Rodrigo Reyes, der Regisseur. "Wir müssen für die Zukunft einen Weg finden, all die Negativität zu überwinden. Ein Möglichkeit dazu wird es sein, die Schmerzen der anderen mitzufühlen."

Schon älter, aber immer noch aktuell, ist Mark Beckers Dokumentation "Romántico", die auf dem Sundance-Festival lief. In San Francisco lernt der Filmemacher den Mariachi-Musiker und Lebenskünstler Carnelo kennen, der fröhlich den schwierigen Verhältnissen trotzt. Mit seinem Partner spielt er in Restaurants und Autowaschanlagen, wo sie die immergleichen Latino-Liebeslieder für ein paar Münzen Trinkgeld zum Besten geben. "El Trio Cometa" heißt ihre Band, und die naheliegende Frage, wie ein Trio aus nur zwei Musikern bestehen kann, lässt Carnelo grinsen: Trios verkaufen sich einfach besser. Das Lied "Volver" (Zurückkehren) singen sie wieder und wieder mit besonderer Inbrunst: "Ich kann es nicht erwarten, zurückzukehren." Ihr Zimmer in San Francisco müssen sie mit sechs anderen Latinos teilen, nicht einmal ihr Hab und Gut ist sicher.

Trailer

Den Trailer des Films "Lupe Under the Sun" finden Sie auf vimeo.

Als Carnelos Mutter in Mexico schwer krank wird, kehrt er nach Hause zurück, und Beckers Kamera begleitet ihn. Aber der Heimkehrer hat nichts vorzuweisen. Zwar hat er in San Francisco in einer Nacht mehr eingenommen, als er in Guanajuato in zwei Wochen verdienen kann, aber die teure US-Metropole hat all seine Einnahmen auch sofort wieder aufgefressen. In Mexico beginnt er von vorn, als "ambulante", wie die Straßenverkäufer genannt werden. Mit einem Wägelchen verkauft er Eis, und an die barfüßigen Kinder verschenkt er seine Kugeln auch mal - eine Geste der Solidarität unter den Habenichtsen. Den Traum von Besitz und Sicherheit, der seit 1965 etwa 16 Millionen seiner Landsleute in den Norden trieb, haben die USA ihm jedenfalls nicht erfüllt.

Das verbindende Thema ist die Zerrissenheit der Familien und der Biografien

Um das Leben nach gescheiterten Träumen geht es auch in "Una Vida, Dos Países / Ein Leben, zwei Länder", eine Dokumentation über sieben Jugendliche und ihre Familien. Ihre Eltern hatten ohne Papiere in den USA gelebt, sind jetzt aber nach Oaxaca, Mexiko, zurückgekehrt. Die Regisseure Tatyana Kleyn and Ben Donnellon filmen in Ciénaga de Zimatlán and Tlacolula de Matamoros. Die jungen Menschen erinnern sich an ihr Leben außerhalb der Legalität in den USA. Die 15-jährige, zweisprachige Sharely berichtet etwa von dem Gefühl, im Schatten zu existieren, in stetiger Angst vor der Deportation und vor den Polizisten auf der Straße. Andere erzählen von Diskriminierung, von dem Wunsch, wieder mit der Familie vereint zu sein, oder von persönlichem Unglück. Die Familie des jungen Melchor etwa musste den Neuanfang in Mexiko machen, als der Vater einen Arbeitsunfall hatte - ohne Dokumente war er von jeder medizinischen Versorgung abgeschnitten.

Etwa 500 000 Kinder mit amerikanischer Staatsbürgerschaft haben sich laut Statistik seit 2010 in mexikanischen Schulen eingeschrieben. Sie werden "Tranfronterizos" (etwa: Grenzgängerkinder) genannt. Amerikaner sind sie, weil sie in den USA geboren oder als Babys über die Grenze geschmuggelt wurden - Mexiko haben die meisten bis zu ihrer Einreise nie gesehen. Einige sprechen zwar Englisch und ein lokales Idiom wie Mixteco, aber kein Spanisch. "Una Vida, Dos Países" handelt auch von dem Kulturschock und den Identitätskrisen, die dann folgen - oft mit dem Gefühl einer doppelten Zurückweisung.

Das wirklich verbindende Thema dieser Filme aber ist die schmerzhafte Zerrissenheit der Familien - eine Thema, das jede neue Schlagzeile aus Trumps Amerika nur schärfer ins Bewusstsein rückt. Oft bleiben die Väter in den USA, um dort weiter zu arbeiten, ohne die Chance, die Grenze zu überqueren - und die Kinder müssen warten, bis sie 18 Jahre alt sind, um wieder in die USA zurückzukommen. Schätzungen zufolge leben derzeit auch noch 5,1 Millionen Kinder mit amerikanischer Staatsbürgeschaft in den USA, deren Eltern oftmals keine Papiere haben. Setzt die Trump-Administration ihre angekündigten Massendeportationen in die Tat um, werden die Schicksale zerrissener Familien die Erzählungen der beiden Länder auf lange Zeit bestimmen.

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Quelle:
SZ vom 08.02.2017
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