Film:Die Kunst des Hollywoodens

Der amerikanische Künstler Ed Ruscha hat angeblich in der Wüste einen riesigen, künstlichen Felsen versteckt. Aber gibt es ihn wirklich? Und wenn ja, wo? Eine Dokumentation auf der Suche nach "Rocky II".

Von Philipp Stadelmaier

Es gab Zeiten, da hatte die Kunst noch ihre legendären Akteure, die ein neues, aufregendes Zeitalter verhießen. Zeiten, in denen Künstler in Kalifornien gemeinsam in die Mojave-Wüste fuhren, um dort mit Kollegen und Freunden LSD zu nehmen. Um dann, unterwegs auf psychedelischen Trips, auf die irrsten Ideen für die nächsten Werke zu kommen.

Einer dieser Wüstenfreunde war der 1937 geborene Ed Ruscha. Weltberühmt wurde der von der Pop-Art inspirierte Konzeptkünstler, indem er in seinen Bildern mit Text und Typografie experimentierte. Seine vielleicht ausgefallenste Arbeit aber hat er mitten in der Wüste hinterlassen: einen künstlichen Felsen, aufgestellt zwischen anderen Felsen und ganz und gar ununterscheidbar von seiner Umgebung. Wo genau diese Skulptur steht, hat Ruscha niemals verraten.

Jahre später stellt Pierre Bismuth, ein französischer Drehbuchautor, auf einer Ruscha-Retrospektive 2009 in London den amerikanischen Künstler zur Rede: Was es denn nun mit Rocky II auf sich habe? Ruscha lässt sich nichts entlocken. Es ist diese Begegnung, mit der Bismuth "Where is Rocky II?" beginnen lässt, in dem er sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen Kunstwerk macht. Bismuth wurde vor allem durch seine Mitarbeit an dem oscarprämierten Drehbuch zu "Vergiss mein nicht!" bekannt. Dort löschten zwei Menschen in einer komplexen und nonlinearen Erzählung ihre Erinnerungen aneinander aus, um sich dann erneut zu suchen. Und auch in seiner Ruscha-Dokumentation werden nun wieder verschlungene Wege eingeschlagen, um etwas Verschwundenes wieder deutlich sichtbar zu machen.

Film: Tschuldigung, haben Sie hier irgendwo einen Fels gesehen? - Szene aus Bismuths Film, der als Dokumentation beginnt und dann immer tiefer in fiktionale Welten abdreht.

Tschuldigung, haben Sie hier irgendwo einen Fels gesehen? - Szene aus Bismuths Film, der als Dokumentation beginnt und dann immer tiefer in fiktionale Welten abdreht.

(Foto: Rapid Eye Movies)

Bismuths Film fühlt sich an wie ein Dokumentarfilm, der von der fixen Idee besessen ist, dass er eine Fiktion sei. Bismuth selbst taucht hier ebenso auf wie Ruscha, und der kalifornische Privatdetektiv, den Bismuth anheuert und der den Felsen ausfindig machen soll, als sei er eine vermisste Person, ist ebenfalls "echt". Er interviewt Kuratoren, Museumsdirektoren, Kritiker und Künstlerfreunde von Ruscha, fährt in die Wüste und schaut sich um.

Aber diese Handlung überlagert sich zunehmend mit der Arbeit zweier - echter! - Hollywood-Drehbuchautoren, die Bismuth mit dem Verfassen eines Skriptes betraut, in dem es um den Felsen, einen Detektiv und einen Künstler geht, der nicht will, dass der Fels jemals entdeckt wird. Und dann sind da noch diese rätselhaften Szenen, die aus einem Thriller zu stammen scheinen, der vielleicht aus diesem Drehbuch hervorgehen wird und in dem sich zwei Männer durch die Wüste verfolgen. So taucht man hier nach und nach in eine schiere Filmwelt ab: Ruscha selbst hatte in seiner Malerei viel mit Hollywood-Logos und verschiedensten Schrifttypen gearbeitet und seinen Felsen "Rocky II" genannt, nach dem Film mit Stallone von 1979.

Gerade das Trockene und Dokumentarische in Bismuths Ansatz macht aber klar, dass sich etwas geändert hat in der Welt der Kunst und der Welt der Hollywoodfiktionen: Sie ist fahler und unspektakulärer geworden. Bismuths Hollywood-Autoren sind mal mehr, mal weniger effiziente Arbeiter jenseits jeder Glamourwelt, die Thriller-Szenen wirken mit ihren klassischen harten und kantigen Typen und Dialogen wie ein Genrefilm, ein schnell vergessenes B-Movie. Überhaupt ist das L. A. von heute, das der Detektiv auf seiner Recherche durchquert, kalt und geschäftig. Bismuth bewegt sich in einer Welt, die mythen- und geheimnisarm geworden ist. Zumal der Detektiv gerne auch mal per Google Maps recherchiert. Alles ist längst digital komplett erschlossen - hat da nicht die Geschichte vom irgendwo versteckten Felsen selbst an Reiz eingebüßt? Und spielt es dann überhaupt noch eine Rolle, ob und wo er aufgestellt ist?

Die in der Wüste verborgene Felsskulptur zeigt die Kunst in einem Stadium, in dem sie ihre Konturen verliert, sich auflöst. Aber damit symbolisiert sie zweierlei. Zum einen eine legendäre Zeit, in der die Kunst noch ein großes Versprechen für jedermann war: "Jeder ist ein Künstler", hieß es in den Siebzigerjahren, und Ruscha meinte einst, Hollywood sei auch ein Verb, weswegen man alles "hollywooden" könne.

Zum anderen aber symbolisiert sie auch unsere heutige Zeit, in der die Kunst und die Fiktionsmaschine Hollywood keine großen Versprechen mehr darstellen. Bismuts Detektiv ermittelt auch in der Frage, wie man in solchen Zeiten noch Kunst machen, eine Fiktion erzählen kann. Die Antwort: Man muss die Realität "hollywooden", aber sich dabei auch auf die Suche nach einem verschwundenen Kunstwerk und einem mythischen Goldenen Zeitalter der Kunst und des Kinos machen. Um die entzauberte Welt der Gegenwart zu reanimieren, braucht es den Hype um ein Geheimnis von früher.

Where is Rocky II? FRA/GER/BEL/ITA, 2016. - Regie: Pierre Bismuth. Buch: Bismuth, D. V. DeVincentis, Anthony Peckham. Mit Michael Scott, Bismuth, DeVincentis. Verleih: Rapid Eye Movies, 93 Min.

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