Film:Das andere Lebenin Auschwitz

Eine pannenreiche Premiere erlebte Regisseur Robert Thalheim, als er in Jerusalem seinen Film über Auschwitz zeigte. Wie die Israelis auf das Werk des jungen Deutschen reagieren.

Thorsten Schmitz

Jerusalem, im Dezember - Robert Thalheim sitzt in der ersten Reihe im "Cinematèque"-Kino und kann sich vor Nervosität kaum auf seinem Stuhl halten. Sein Film "Am Ende kommen Touristen" soll gleich auf dem Jüdischen Filmfestival in Jerusalem gezeigt werden. 200 Zuschauer warten darauf, dass das Licht ausgeht.

Robert Thalheim, dpa

Ende gut, alles gut: Trotz Pannen war die Israel-Premiere von Robert Thalheimers Film ein Erfolg.

(Foto: Foto: dpa)

Aber das Licht bleibt an. Eine Mitarbeiterin des Kinos sagt, es gebe leider eine Panne. Der deutsche Film könne nur mit englischen, nicht aber mit hebräischen Untertiteln gezeigt werden. Die ersten Zuschauer gehen. So hat sich der 33-jährige Thalheim die Israel-Premiere seines Films über einen Sommer in Auschwitz nicht vorgestellt. Er flucht.

Eine Mitarbeiterin der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem nimmt neben Thalheim Platz und versucht, ihn zu beruhigen. In Israel gebe es das Sprichwort, dass jede Verzögerung auch etwas Gutes habe. Eine halbe Stunde später startet der Film dann doch mit hebräischen Untertiteln. Die ersten Szenen von der Ankunft des Zivildienstleistenden Sven am Bahnhof von Oswiecim kommen ohne Ton. Thalheim brüllt: "Sound!" Das hilft.

Auschwitz blüht unerhört

Eine fürwahr pannenreiche Premiere, indes mit Happy End. Der Film, der am Ort der Judenvernichtung spielt und in dem kein einziger Jude vorkommt, brachte das Publikum sogar ein paar Mal zum Lachen und erhielt am Schluss viel Applaus. Thalheim, der zuvor noch nie in Israel war, hatte damit gerechnet, dass man ihm in der Heimat der Holocaust-Opfer erst recht die Leviten lesen werde. Er selbst, sagt er, sei manchmal noch immer unsicher, ob man einen Film drehen dürfe, der in Auschwitz spielt, in dem aber kein einziges Mal die Vernichtung und ihre jüdischen Opfer erwähnt werden.

Als nach dem Film die Fragestunde beginnt, meldet sich zuerst ein älterer Herr zu Wort. Weshalb denn keine Juden in dem Film vorkämen, fragt er. Thalheim sagt, er habe keinen Dokumentarfilm über Auschwitz gedreht. Und außerdem kämen Juden als Chiffren vor, über ihre Koffer, die sie bei der Ankunft haben abgeben müssen und die von einer der Hauptfiguren repariert werden. Es bleibt bei dieser einen kritischen Frage.

Ein Zuschauer sagt sogar: "Vielen Dank, dass Sie uns ein anderes Auschwitz gezeigt haben, das man hier in Israel nicht kennt und auch nicht gezeigt bekommt." Ein anderer dankte Thalheim für den "frischen Blick auf Auschwitz". In Israel wird die Erinnerung an Auschwitz fast ausschließlich in Schwarzweiß-Bildern und in Ritualen der 1,1 Millionen vorwiegend jüdischen Opfer wachgehalten, die in den Vernichtungslagern dort ermordet wurden.

In Thalheims Film dagegen blüht Auschwitz in unerhörter Weise: Die Sommersonne scheint, der Himmel ist blau, Bäume und Blumen stehen in voller Pracht, die Altstadthäuser von Auschwitz sind in hübschen Pastellfarben gestrichen. Und Sven, der seinen Zivildienst in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte von Auschwitz leistet, radelt in seiner Freizeit auf Feldwegen, geht mit polnischen Freunden zum Schwimmen. In Thalheims Auschwitz wird Bier getrunken, in Discos getanzt und geküsst.

Für Filmaufnahmen auf dem Museumsgelände von Auschwitz erhielt Thalheim keine Genehmigung. Auch Steven Spielberg durfte für seinen Film über den Judenretter Oskar Schindler nicht in den Vernichtungslagern drehen. So kommt der Ort der Vernichtung, den alle Israelis von Polenreisen und Unterrichtsstunden kennen, bei Thalheim nur in Andeutungen vor. Den Zuschauern in Jerusalem gefällt das. Am Eingang wird der Regisseur von Besuchern umringt. Sie gratulieren ihm, laden ihn ein, wieder nach Israel zu kommen, bitten um Ratschläge. Ob es etwa richtig sei, fragt eine ältere Frau, dass man von "den Deutschen" rede, wenn man die Holocaust-Täter meine, oder ob man nicht differenzieren und von "den deutschen Nazis" sprechen müsse.

Eine Mitarbeiterin aus der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem ist so begeistert, dass sie Thalheim ihre Visitenkarte in die Hand drückt. Sie möchte den Film Schülergruppen zeigen, die die Gedenkstätte besuchen. "Glauben Sie mir", sagt sie, "Ihr Film ist ein Meisterwerk."

Geduldig wartet ein älteres jüdisches Ehepaar eine Viertelstunde, bis Thalheim sich ihnen zuwendet. Die Frau sagt, ihr Vater sei in Auschwitz geboren, und bis heute habe sie keine Vorstellung davon gehabt, wie die 40.000-Einwohner-Stadt aussieht. In den Museen und in den Büchern sehe man "ja nur Bilder von früher". Sie bedankt sich für "die schönen Aufnahmen von Auschwitz".

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