"Zimmer 212" im Kino:Betörend schön

Chambre 212

Als ihre Ehe kriselt, zieht die von Chiara Mastroianni gespielte Maria in Christophe Honorés Film "Zimmer 212" ins Hotel.

(Foto: Olymp Film)

Ein komisches Musik-Mélo: "Zimmer 212 - In einer magischen Nacht" von Christophe Honoré.

Von Susan Vahabzadeh

Das Kino ist eine eigene Welt, in jedem Film stecken tausend andere, und die großen Cineasten unter den Filmemachern sind sich dessen bewusst. Filme von Christophe Honoré beispielsweise sind ein Schachtelwerk der Referenzen, und doch unverkennbar seine eigenen, geprägt von seiner eigenen Sicht auf die Welt. "Zimmer 212 - In einer magischen Nacht" beispielsweise greift zwar die Klassiker der Ehekomödien auf, aber auch mindestens einen Horrorfilm, den er auf den Kopf stellt, und immer wieder die Filme seines größten Helden Jacques Demy, der der Meister Mélo-Musicals war: "Zimmer 212" ist beseelt von Musik, von Chansons und Barry Manilows "Could it be Magic" und dem Geist des fantastischen Komponisten Michel Legrand, und irgendwann fallen Flocken im gleißenden künstlichen Licht, bis es aussieht, als hätte Honoré in eine Schneekugel gefilmt.

Die Ehe ist am Ende, aber der Film ist kein Ratgeber

Er zeigt eine Ehe am Ende, Maria (Chiara Mastroianni, auf deren Mutter Catherine Deneuve es in Jacques Demys "Die Regenschirme von Cherbourg" herabschneite) hatte einen Liebhaber nach dem anderen, und als ihr Mann Richard (Benjamin Biolay) das herausfindet, erträgt er es nicht.

Chambre 212

Im Bett landen Figuren aus allen Lebensphasen der Jura-Professorin. Darunter auch eine jüngere Version ihres Mannes, seine ehemalige Geliebte.

(Foto: Olymp Film)

Für Chiara Mastroianni, die im Aussehen ihrem Vater Marcello immer ähnlicher wird, ist die Jura-Professorin ohne schlechtes Gewissen ein wunderbar divenhafter Auftritt, in Cannes, wo der Film Premiere hatte - noch vor der Pandemie, er gehört zu jenen, die lange in der Warteschleife ausgeharrt haben -, bekam sie dafür den Darstellerpreis der Reihe Un Certain Regard. Er wollte keine paternalistische Sicht auf die Ehe, sagt Christophe Honoré, und so ist es hier eben andersrum - hier ist es der Mann, der einsam in der Wohnung sitzen bleibt. Maria aber geht, sie überquert die Straße und mietet sich in einem Hotel ein, im Zimmer 212. Die Zahl kommt nicht von ungefähr - das ist der Paragraf im Code Civil, der besagt, dass Eheleute einander Respekt, Treue und Unterstützung schulden.

Maria bleibt nicht lang allein in ihrem Paragrafen-Zimmer. Ihr begegnen dort die Gespenster der Vergangenheit - Richard als junger Mann, die Frau, die er vor ihr geliebt hat, verflossene Affären (die Uni, in der sie arbeitet, waren ihre Jagdgründe), ihre Mutter, auch ein Charles-Aznavour-Imitator ist dabei. Es sind aber gute Geister, mit manchen von ihnen landet sie bald im Bett - Vorwürfe machen ihr allerdings alle, und Maria will nicht einsehen, was verkehrt sein soll an ihrer sexuellen Wanderlust. So entsteht eine Art Puppenhaus der Erinnerungen, in dem sie ihre Gefühle neu sortiert, und irgendwann trifft gar der alte Richard auf den jungen Richard und die ehemalige Geliebte und liebäugelt kurz mit einem ganz anderen Lebensentwurf, mit dem Kind, das Maria nicht haben wollte. Aber Maria fährt los und sucht diese Frau (Carole Bouquet) auf - es ist ganz anders gekommen, und auch in diesem Leben hätte Richard keinen Platz.

Es geht hin und her zwischen Orten und Zeiten und verschiedenen Versionen von Figuren, kurz: Es herrscht erzählerische Anarchie. Wer nach einer inneren Logik sucht, einer realen Basis, der wird nichts finden - "Zimmer 212" ist keine Ehe-Ratgeber für Paare, deren Liebe in die Jahre gekommen ist, sondern eine kleine, irre, poetische Zustandsbeschreibung. Da steht zwar nichts mit beiden Füßen auf der Erde, aber die Gefühle, die Honoré seinen Figuren zuschreibt und aus seinen Zuschauern herauslockt, sind trotzdem die richtigen, eine komische, ratlose Melancholie.

Was Richard und Maria nun tun sollen, das finden sie nicht heraus. Alle Liebe, sagt Richard, entsteht aus der Erinnerung. Es stimmt ja nicht, dass in alten Filmen immer alles wieder ins Lot kommt, die Szene in die "Regenschirme von Cherbourg", in der die Schneeflocken im gleißenden künstlichen Licht auf Catherine Deneuve herabfallen, ist ein Abschied für immer. Es muss ja nicht jeder mit der Zeit gehen. Honoré geht viel weicher mit seinen Figuren um, als hätte er sie ins Herz geschlossen. Ist das modern? Wohl eher nicht. "Zimmer 212" ist ein Film wie ein Chanson aus den Sechzigern oder eine Filmmusik von Michel Legrand: sentimental und bewegend und betörend schön.

Chambre 212, Frankreich 2019 - Regie und Buch: Christophe Honoré. Kamera: Rémy Chevrin. Mit: Chiara Mastroianni, Benjamin Biolay, Vincent Lacoste, Camille Cottin, Carole Bouquet. Verleih: Olymp Film, 86 Minuten.

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