Film: "Brokeback Mountain":Der Himmel über Wyoming

Tabubruch im Wilden Westen: Ang Lees Film über zwei verliebte Cowboys ist so traurig, dass einem das Herz eng wird.

Silke Lode

Oft sind im Kino die hinteren Plätze teurer als die vorderen. Sparer kommen in "Brokeback Mountain" aber voll auf ihre Kosten: Je weiter vorne man sitzt, desto besser kann man den Kopf zurücklegen, im Sessel tieferrutschen und in den ewig weiten Himmeln von Wyoming versinken.

Film: "Brokeback Mountain": Jake Gyllenhaal und Heath Ledger spielen die Cowboys Jack Twist und Ennis Del Mar.

Jake Gyllenhaal und Heath Ledger spielen die Cowboys Jack Twist und Ennis Del Mar.

(Foto: Foto: Tobis Film)

Die wunderbaren, nur selten melancholischen Naturaufnahmen täuschen für Momente darüber hinweg, dass Regisseur Ang Lee eine Geschichte der Pullitzerpreisträgerin Annie Proulx verfilmt hat, die so traurig ist, dass einem das Herz eng wird.

Ennis Del Mar (Heath Ledger) und Jack Twist (Jake Gyllenhaal) werden von Schafhalter Joe Aguirre (Randy Quaid) im Sommer 1963 angeheuert. Ennis, der Ranch-Helfer und Jack, der Rodeo-Reiter, sollen seine Tiere vor Wilderern und Kojoten beschützen. Ob sie dabei den Naturschutz missachten oder nicht, ist Aguirre nicht nur egal, er fordert sie gar dazu auf. Profit alleine zählt.

Auf dem Brokeback sind zwei echte Männer zusammen: Viele Worte fallen nicht zwischen den beiden. Sie reiten durch die Berge und glauben, dass eine Stute sie nie abwerfen könne. Sie kochen zwangsweise selbst, aber lausig. Sie trinken Whiskey, als wäre es warmer Tee. Und als ihnen die ewigen Dosenbohnen zuviel werden, schießen sie einen Elch und grillen ihn über dem offenen Feuer.

Aus dem zufällig zusammengewürfelten Duo werden allmählich Kameraden. Der schweigsame Ennis vertraut Jack an, dass seine Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen und er von den Geschwistern aufgezogen wurde. Der etwas selbstbewusstere Jack gesteht, wie enttäuscht er über seinen Vater ist: Der war selbst eine Rodeo-Legende, verriet dem Sohn aber weder Tricks, noch kam er je zu einer Show.

Und an einem kalten Abend mit viel Whiskey wird aus Kameraden ein Liebespaar. Auf die ersten Berührungen reagieren die Cowboys mit Verwirrung - Jack nimmt Ennis' Hand und legt sie um seine Schulter. Beide springen wie zu Tode erschrocken auf. Prügeln sich. Lieben sich. Zeigen Gefühle, die zwischen Kampf und Zärtlichkeit, Verschämtheit und Lust, Abweisung und Hingabe pendeln.

Die Verlegenheit nach der ersten Annäherung zeigen Heath Ledger und Jake Gyllenhaal so plastisch, dass man als Zuschauer dankbar für die Kameraführung Rodrigo Pietros ist, die den beiden nur zögerlich ins Gesicht schaut. Jack und Ennis versichern sich gegenseitig: "I ain't queer" - ich bin nicht schwul. Aber sie können nicht voneinander lassen, für den Rest ihres Lebens nicht.

Der verfrühte Abschied nach einem Schlechtwettereinbruch verläuft betont cool, doch kaum ist Jacks Pick-up außer Sicht, wird Ennis von der Situation überwältigt.

Er bricht an der Wand eines Holzschuppen zusammen, heult und kotzt sich seine Gefühle aus dem Leib. Unbekümmert kratzt Ang Lee an Tabus: Cowboys sind nicht schwul. Cowboys weinen nicht. Das weiß Ennis. Doch weder mit der Liebe noch mit den Tränen darf er alleine sein, der kontrollierende Blick des Schafzüchters Aguirre ist überall.

Der Himmel über Wyoming

In den folgenden vier Jahren errichten die Männer sich eine Fassade, hinter der sie in der Gesellschaft bestehen können. Jeder für sich. Jack findet mit der energiesprühenden Laureen (Anne Hathaway), einem Rodeo-Girl aus Texas, eine tolle Frau. Ennis heiratet seine selbstbewusste Freundin Alma (Michelle Williams).

Film: "Brokeback Mountain": Liebe oder ein Ausrutscher? Ratlosigkeit auf dem Brokeback Mountain.

Liebe oder ein Ausrutscher? Ratlosigkeit auf dem Brokeback Mountain.

(Foto: Foto: Tobis Film)

Doch mit einem Schlag so mächtig wie die Unwetter auf dem Brokeback Mountain wird diese Fassade in ihren Grundfesten erschüttert. Nach vier Jahren erreicht Ennis eine Karte, die Jack mit einem erneuten gewaltigen Gefühlsausbruch wieder in sein Leben bringt. Jack träumt von einer gemeinsamen Ranch.

Doch die ungeschriebenen aber gnadenlosen Regeln der Gesellschaft sind Ennis in Kopf und Bauch gebrannt, Verstand und Gefühl verbieten ihm einen Ausbruch aus dieser Zwangsjacke.

Als Neunjähriger musste er seinem Vater folgen, der ihm und dem Bruder die verstümmelte Leiche eines Mannes zeigte. Er war mit einem Montiereisen gelyncht worden, weil er als schwul galt. Und so treffen sich Jack und Ennis für Jahre im Geheimen, draußen in der Freiheit der Natur.

Multitalent Ang Lee, dessen Spektrum von Martial-Arts-Filmen (brilliant: "Tiger&Dragon") bis zu Western reicht, und den Hauptdarstellern Heath Ledger und Jake Gyllenhaal gelingt der Balanceakt, Mitgefühl, aber kein Mitleid zu wecken.

Vor allem Heath Ledger als Ennis Del Mar ist wahrhaftig kein Engel: In seiner Ehe mit Alma ist er der Boss. Wenn beide arbeiten, muss Alma sehen, wer die Kinder betreut. Als Alma in die Stadt ziehen möchte, muss sie ihn umsäuseln. Und wenn sie das Essen nicht serviert, bekommt Ennis einen Tobsuchtsanfall. Sein abendliches Revier ist die von Bierflachen umringte Couch, seine Fluchten mit Jack bedürfen keiner Erklärung.

Ennis' Töchter, vor allem Alma junior, finden ihn dennoch liebenswert. Doch seine Gefühle sind gequält, versteckt und zerrissen. Seine Ehe scheitert. Seine neuen Beziehungsversuche scheitern. Er wagt es nicht, ein neues Leben mit Jack anzufangen. Selbst auf ein Zusammenleben mit Alma junior will oder kann Ennis sich nicht einlassen.

Jahre voller Heimlichkeit und Verleugnung seit dem verwirrenden, aber unbeschwerten Anfang seiner Liebe zu Jack haben ihre Spur hinterlassen. Wie ein Einsiedler lebt Ennis in einem Wohnwagen, fern der Gesellschaft und ihren Konventionen. Ganz alleine unter dem weiten Himmel von Wyoming.

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