"T2" im Kino:Was passiert, wenn aus Junkies alte Säcke werden?

film trainspotting

Die Kloszene im ersten Teil revolutionierte das britische Kino. Im zweiten Teil beschleunigt sie die Dauerschleife der Erinnerungen.

(Foto: Verleih)

Regisseur Danny Boyle hat mit "T2" die Fortsetzung von "Trainspotting" vorgelegt. Ein Wagnis, das gelingt - auch wegen einer Toilettenszene.

Filmkritik von David Steinitz

Auch wenn der Film "T2 Trainspotting" seine internationale Premiere an diesem Freitagabend im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz feiert, darf diese Geschichte natürlich nirgendwo anders beginnen als in der schlimmsten Toilette Schottlands.

In diesem fäkalienverschmierten Klo des Schreckens, in das sich nur ein komplett verzweifelter Mensch mit Magenkrämpfen hineintrauen konnte, hatte das britische Kino vor über zwanzig Jahren ein Erweckungserlebnis. Damals tauchte der Schauspieler Ewan McGregor als Junkie im ersten Teil von "Trainspotting" im Abort nach zwei verlorenen Opiumzäpfchen, und sein Notfall entwickelte sich zur transzendentalen Erfahrung. Erst verschwanden seine Hände in der Schüssel, dann der Kopf und schließlich der ganze Körper. Aber, oh Wunder, er glitt durch die braune Suppe einfach hindurch und kam auf der anderen Seite in einem azurblauen Meer wieder heraus, als sei er durch eine himmlische Pforte ins Paradies eingetreten. Dazu klimperte Damon Albarns Instrumentalsong "Closet Romantic".

Die Nadel spielt immer noch eine wichtige Rolle, aber nicht mehr als Spritze, sondern als Plattennadel

Das ganze Elend der Drogenabhängigkeit weggespült und abgewaschen in einer surrealistischen Filmszene? Das löste einen kleinen Skandal aus, als der Film 1996 ins Kino kam und die Aufklärungsbroschüren-Mentalität früherer Drogenfilme wie "Christiane F." mit einer unverschämten Lebenslust und Coolness bloßstellte. Ein Schuss vom braunen Wunderpulver in die zerstochenen Venen war plötzlich kein Selbstmordkommando mehr, sondern eine Kunstperformance, eine Lebenseinstellung, die man sich als junger Mensch nicht entgehen lassen konnte. "Nimm den besten Orgasmus, den du jemals hattest, multiplizier ihn mal tausend, und du bist noch nicht mal ansatzweise dran", sagte Ewan McGregor in seiner Rolle als Mark Renton, Junkie aus Überzeugung.

Die Geschichte über die Abenteuer, Halluzinationen und schließlich auch Nahtoderfahrungen einer Junkie-Clique in Edinburgh sah aber nur auf den ersten Blick wie Heroinwerbung im MTV-Look aus. In Wahrheit war sie ein tragikomischer Kommentar zur Tristesse, in die Margaret Thatcher das Vereinigte Königreich hineingewirtschaftet hatte. Mit ihren Moralvorstellungen und ihrer Sozialpolitik hängte sie eine ganze Generation von jungen Menschen ab. Sie hatten keine Lust, sich durch Ausbildung und Arbeit für einen Staat zu engagieren, der seine Arbeitslosen den Pubs überließ und kein Problem damit hatte, dass die Städte zu grauen Trabantensiedlungen verkamen, in denen man alles, nur nicht nüchtern sein wollte.

Diese Post-Achtzigerjahre-Depression, und die Sehnsucht nach Eskapismus, die dann die frühen Neunziger beseelte, machte schon den Roman "Trainspotting" des schottischen Schriftstellers Irvine Welsh 1993 zu einem Hit. Noch viel mehr wurde aber die Kinoadaption des englischen Regisseurs Danny Boyle zum zentralen Kunstwerk der "Cool Britannia"-Jahre. Die kleine, billig und schnell gedrehte Independent-Produktion belebte nicht nur das scheintote britische Kino wieder, sondern befreite eigentlich das komplette Königreich ein bisschen vom staubigen Image. Der Film profitierte auch davon, dass er zur Hochzeit des Britpop ins Kino kam, als Bands wie Oasis und Blur sich mit Backstage-Orgien um die hedonistischere Lebenseinstellung stritten, und die Songs "Champagne Supernova" und "She's so high" hießen. Sogar in 10 Downing Street zog bald der junge Tony Blair ein, der das Amt des Premierministers auch als Party verstand.

Weil diese Stimmung auch jenseits der britischen Arbeiterklasse sehr gut ankam, schwappte die Euphoriewelle weit über Großbritannien hinweg. "Trainspotting" wurde ein weltweiter Hit, machte Regisseur Danny Boyle und Hauptdarsteller Ewan McGregor zu Superstars und trug dazu bei, das Vereinigte Königreich für ein paar Jahre wieder zum Standard des Cool zu machen.

"Neue Helden" lautete 1996 der Zusatztitel der deutschen Kinofassung. Aber wenn nun die Filmemacher in Berlin über den roten Teppich schreiten, um 21 Jahre später die Fortsetzung "T2 Trainspotting" vorzustellen, dann kann man schon in der faltigeren Physiognomie der Darsteller erkennen, dass mit dem Adjektiv neu jetzt nicht mehr gearbeitet werden kann. Mit Mitte vierzig ist man zwar nicht alt, aber in der Leb-schnell-stirb-jung-Ideologie von "Trainspotting" natürlich trotzdem ein alter Sack.

Eine tragikomische Geschichte über die Melancholie der Midlife-Crisis

Dass es ziemlich schwer ist, aus dieser biologischen Problematik heraus eine würdige Fortsetzung zu schreiben, hat bereits der "Trainspotting"-Erfinder Irvine Welsh feststellen müssen. Er hatte sich schon 2002 mit dem Roman "Porno" an einer Fortschreibung seiner berühmtesten Kreation versucht, in der seine Helden ins schottische Sexfilmgeschäft einsteigen. Das Ergebnis war eine knapp sechshundert Seiten lange Sexfantasie, was zwar kein künstlerischer Straftatbestand ist, weil ja sonst die Buchhandlungen leer stünden, aber glücklich hat dieses Werk vermutlich keinen Fan gemacht.

Trotzdem ist das kein schlechtes Vorzeichen für den neuen Film, weil schon das Original nur eine sehr lose Adaption des Romans war, und Regisseur Danny Boyle und Drehbuchautor John Hodge immer darauf bestanden haben, ihre eigene Kinovision zu erzählen. Sie versuchten sich kurz nach Erscheinen von "Porno" zwar an ein paar Drehbuchentwürfen, aber die erschienen ihnen nie gut genug, um die ganze Crew wieder zusammenzutrommeln.

Zwanzig verstrichene Lebensjahre in einem einzigen Beat zusammengefasst

Und dann? Dann war irgendwann so viel Zeit vergangen, dass sie Lust bekamen, genau darüber einen Film zu machen. "T2 Trainspotting" sollte eine tragikomische Geschichte über die Melancholie der Midlife-Crisis werden. Jetzt ist der zweite Teil also premierenfertig, und es ist ein Glück für die Berlinale, ihn im Programm zu haben, denn es kann mit großer Erleichterung vermeldet werden: Es ist ein sehr schöner Film geworden, weil er in der Tradition des Originals steht, das vertraute Terrain aber auch verlässt.

Der erste Film endete damit, dass Mark Renton (McGregor) seine Kumpels bei einem Heroin-Deal über den Tisch zog und mit 16 000 Pfund in der Tasche verschwand. Der zweite Teil beginnt, als Mark nach zwei Jahrzehnten, in denen er in Amsterdam untergetaucht war, nach Edinburgh zurückkehrt.

Die Nadel spielt immer noch eine wichtige Rolle, aber nicht mehr als Spritze, sondern als Plattennadel. Er hat es geschafft, vom Stoff wegzukommen, aber glücklich ist er in seinem Exil nicht geworden, deshalb treibt es ihn in die Heimat zurück. Er besucht seine Eltern, wirft einen Blick in sein altes Teenager-Zimmer und legt Musik auf. Nur eine Sekunde hat die Nadel den Plattenteller berührt, ein lautes "Bämm!" ist zu hören, und Fans wissen sofort, dass es sich um den ersten Schlagzeugtakt von Iggy Pops "Lust for Life" handelt, der Hymne des ersten Films. Aber das ist Mark zu viel der Erinnerung, zwanzig verstrichene Lebensjahre in einem einzigen Beat zusammengefasst, er zieht die Nadel schnell wieder von der Platte weg.

So klingt dieses vereinzelte Bämm erst mal nach, während er sich aufmacht, seinen alten besten Kumpel Sick Boy (Jonny Lee Miller) aufzusuchen. Was schnell zum nächsten Bämm führt, weil der ihm im Pub erst mal seinen Billard-Queue über den Schädel zieht. Mit der Kohle abhauen, zwanzig Jahre verschwinden und jetzt plötzlich wieder auftauchen, geht's noch, Alter?

Wie ein "Trainspotting"-Themenpark

Aber die Erinnerung an die alten Freundschaften lauert überall in den Straßen von Edinburgh, die Danny Boyle in wohlkalkulierten Melancholie-Dosierungen wie einen "Trainspotting"-Themenpark inszeniert. In einer Szene schauen die Jungs sogar ihren früheren, jüngeren Ichs dabei zu, wie sie vor zwei Ladendetektiven fliehen - die Anfangssequenz des ersten Films. Also raufen sich Mark und Sick Boy und ihr dritter Kumpel Spud (Ewan Bremner) bald wieder zusammen, in Nostalgie vereint. Und sie beschließen, einen großen Betrug mit EU-Fördergeldern abzuziehen, solange diese noch nach Schottland fließen.

EU-Fördergelder? Die Handlung von "T2 Trainspotting" ist zugegebenermaßen ein bizarres Konstrukt, und ob Zuschauer, die den ersten Teil nicht gesehen haben, daran Spaß haben werden, ist fraglich. Aber die Geschichte hat Danny Boyle auch nur als Alibiveranstaltung angelegt, für ein Kinoexperiment, bei dem es vor allem die Zuschauer selbst sind, die zu Spannung, Melancholie und Humor des Films beitragen. Weil sie mit den Figuren aufgewachsen und gealtert sind, und die vergangene Zeit im Film auch mit der Strecke abgleichen, die sie in ihrer eigenen Biografie zurückgelegt haben. So wie zum Beispiel auch François Truffaut in seinem Antoine-Doinel-Zyklus oder Richard Linklater in "Before Sunrise" die Zeit selbst zum zentralen Akteur gemacht haben.

Und, um die Sache nicht zu philosophisch zu halten, ja, es gibt auch wieder eine Toilettenszene. Denn wer noch gefehlt hat, in der Wiedervereinigung der alten "Trainspotting"-Crew, ist der Kneipenschläger Begbie (Robert Carlyle), der dem Rückkehrer Mark die Sache mit den 16 000 Pfund nicht verziehen hat, und dafür sorgt, dass Mark sich wünscht, er wäre damals erst gar nicht mehr aus der Kloschüssel zurück ins echte Leben geklettert.

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