Süddeutsche Zeitung

Film-Architektur von Ken Adam:Der fröhliche Futurist

Sir Ken Adam entwarf Visionen für "Dr. Strangelove" und James Bond, die im wirklichen Leben nicht mehr ganz so unvorstellbar wirkten. Nun widmet sich eine Ausstellung dem Lebenswerk des berühmtesten Setdesigners der Welt.

Von Felix Stephan, Berlin

Das neu eröffnete Shopping-Labyrinth "Mall of Berlin" erfüllt seine Hauptaufgabe bislang tadellos: Die Baulücke, die Weltkrieg und Mauerbau dort hinterlassen haben, wo einst der Potsdamer Platz war, ist nun weitgehend geschlossen. Und die Politiker sind froh, dass der Schutt der Geschichte endlich weggeräumt ist. Wobei schon genau hier der Irrtum liegt: das Sony Center, die Mall of Berlin - das ist der Schutt.

Selten stand einem das so klar vor Augen wie beim Besuch des 93-jährigen Sir Kenneth Adam in der Deutschen Kinemathek. Adam, der berühmteste Production Designer der Welt, war persönlich angereist, um im Filmmuseum am Potsdamer Platz seine eigene Retrospektive "Bigger than Life" zu eröffnen. In einem zuvorkommenden, federnden Bourgeoisie-Deutsch, das man in Berlin schon lange nicht mehr hört, hat er eine kleine, zehnminütige Pressekonferenz abgehalten und den Journalisten dabei unter anderem erklärt, dass die Legende wahr ist: Er hat den Reichstag tatsächlich brennen sehen, mit eigenen Augen.

Gerade einmal einen Kilometer von hier hat das vierstöckige Kaufhaus gestanden, das die Familie Adam 1934 auf der Flucht vor den Nazis zurücklassen musste: "S. Adam", Hoflieferant und "Modenhaus vornehmsten Stils", in der Leipziger-, Ecke Friedrichstraße. Ken Adam ist 1921 als Klaus Hugo Adam in eine großbürgerliche Berliner Familie assimilierter Juden geboren worden, mit Reitausflügen, Kindermädchen, Chauffeur und Sommerferien am Stettiner Haff. Nicht alle Verwandten konnten rechtzeitig aus Deutschland fliehen, einige wurden in deutschen Konzentrationslagern ermordet.

Eine Weltkarriere später sitzt Ken Adam nun wieder hier, im lachhaft hässlichen Sony Center am Potsdamer Platz. Und erklärt, dass mit dieser Ausstellung, die zugleich die Überführung seines Archivs nach Berlin feiert, nun ein Lebenstraum in Erfüllung geht. In diesem Moment kann man nicht anders, man stellt sich ein Paralleluniversum vor - eine Welt, in der er nie fliehen musste, und eine Stadt, die noch heute geprägt wäre von seiner Klasse, seiner Eleganz, seinem Stilgefühl . . . Und plötzlich erscheint diese Rückkehr als das traurigste Happy End, das man sich überhaupt vorstellen kann.

Nach der Flucht besucht Adam die besten Schulen Großbritanniens und fliegt als Pilot der Royal Air Force Angriffe gegen Deutschland. Er studiert Architektur und wendet sich dann dem Film zu. Bald stattet er zwei bis drei Filme pro Jahr aus, wobei die Budgets zusehends größer werden. Nachdem er 1962 die wegweisenden Sets für "Dr. No", den ersten James-Bond-Film, entworfen hat, ruft Stanley Kubrick bei ihm an. Beim ersten Treffen findet Adam den jungen Filmemacher naiv und anstrengend: "Für Stanley musste man immer alle Ideen intellektualisieren, was oft nicht einfach war, weil sie meistens einfach intuitiv waren." Der erste Entwurf für den berühmten "War Room" aus "Dr. Strangelove" entsteht trotzdem schon hier, beim ersten gemeinsamen Essen.

Die Zusammenarbeit beginnt eigentlich mit einem Missverständnis: Kubrick hatte in dem wahnwitzigen Hauptquartier des "Dr. No" vor allem die politische Dimension gesehen, den technologischen Größenwahn, das Wettrennen zum Mond, die Rüstungsobsession des Kalten Krieges. Ken Adam ging es eher um die klaren Formen, um Linienführung, Raumgefühl, Schattenwürfe. Der Bauhaus-Anteil in seinem Architekturverständnis stammte noch aus Berlin: Sein Vater hatte einmal Mies van der Rohe zu einem Architekturwettbewerb rund um das Kaufhaus eingeladen - und das "Universum Kino" am Kurfürstendamm, das heute die Schaubühne ist, hat der junge Ken nie mehr aus dem Kopf bekommen.

Was bei Kubrick als Überzeichnung totalitären Größenwahns ankam, hatte Adam eigentlich als aufrichtig optimistischen Futurismus gedacht. Die Raketenabschussrampen, die Laser-Satelliten, die Autos, die sich bei Bedarf in U-Boote verwandelten - all das hätte er am liebsten selbst besessen. Und der Geschwindigkeitsrausch, in dem Kubrick ungefähr das Hauptübel des 20. Jahrhunderts sah, war für den hartnäckigen Sportwagen-Besitzer Ken Adam ziemlich genau der größte Spaß. Vermutlich ist "Dr. Strangelove" deshalb gleichzeitig so schrecklich und so anschmiegsam: Kubricks Walter-Benjamin-Weltekel plus Adams technikverliebte Sets, in denen man selbst gern leben würde.

Auch deshalb hat sich Adam entschieden, lieber Filmkulissen als echte Häuser zu bauen: Die Häuser wären ihm einfach zu klein gewesen. Beim Film hingegen konnte er Gebäude und Gadgets bauen, die es in der Realität bisweilen erst Jahrzehnte später gab. Woran er selbst seinen Anteil hatte: Kaum waren seine Visionen Filmhits geworden, wirkten sie außerhalb des Kinos nicht mehr ganz so unvorstellbar. Er wollte "eine Realität erfinden, die komplett irreal ist, von der Öffentlichkeit aber trotzdem akzeptiert wird". Heute bekennen Architekten wie Daniel Libeskind ausdrücklich, dass ihre Architektur auf Ken Adams Filmsets zurückgeht.

4000 Zeichnungen umfasst sein Werk, er hat all seine Filmsets mit einem Flo-Master-Stift handgezeichnet. In der Berliner Ausstellung sieht man deshalb jetzt vor allem Zeichnungen und Skizzen, die für einen guten Teil der Vorstellungen verantwortlich sind, die sich das 20. Jahrhundert von jener grenzenlosen Zukunft gemacht hat, in der wir jetzt leben.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2014/cag
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