Figurentheater:Zynismus des Terrors

Figurentheater: Jovial, beinahe freundlich und gelegentlich kumpelhaft gibt sich der SS-Offizier, gespielt von Alexander Baginski, beim Verhör.

Jovial, beinahe freundlich und gelegentlich kumpelhaft gibt sich der SS-Offizier, gespielt von Alexander Baginski, beim Verhör.

(Foto: Robert Haas)

In "Wenn du einmal groß bist" erzählt Alexander Baginski vom Münchner Figurentheater Pantaleon die bewegende Geschichte des jüdischen Zeichners Bedřich Fritta und seines Sohnes Tommy

Von Wolfgang Görl

Es sind fröhliche Bilder, bunte Zeichnungen, die das Leben feiern, kleine Kunstwerke, die ein liebevoller Vater für seinen dreijährigen Sohn angefertigt hat. Da sind Blumen, Vögel und Schmetterlinge, da ist eine Eisenbahn, da ist ein Flugzeug, und da sind die lustigen Gesichter eines Chinesen, eines Indianers, eines Eskimos und eines Schwarzen. Schau her, sagen die Bilder, so wunderbar ist die Welt und so vielfältig sind ihre Bewohner.

Aber der SS-Offizier, der Mann, der das Verhör führt, sieht darin etwas ganz anderes: Provokation, Subversion, Verrat. Er wittert einen geheimen Code in den Zeichnungen, verschlüsselte Botschaften, die gegen Nazi-Deutschland und die Wehrmacht gerichtet sind. Die Eisenbahn: Sie transportiert den Nachschub der Alliierten an die Front. Das Flugzeug bombardiert deutsche Städte. Und die Eskimos, die Asiaten, die Schwarzen, die Indianer, all diese "Untermenschen" beobachten feixend den Vormarsch der Feinde des Deutschen Reiches. Das steckt doch hinter den Zeichnungen: zersetzende Propaganda. Für den SS-Mann ist klar: Der Zeichner ist überführt. "Der Zug nach Osten wartet schon." Sein Opfer weiß, was das bedeutet. Der Zug geht nach Auschwitz.

Diesen Zeichner gab es wirklich. Er hieß Bedřich Fritta, er war Jude, geboren 1906 in Nordböhmen, er arbeitete als Zeichner und Werbegrafiker in Prag, wo er in den 1930er Jahren auch Karikaturen für die satirische Zeitschrift Simplicus, einer Exilausgabe des Simplicissimus, beisteuerte. Ende 1941 internierten ihn die Nazis im Ghetto Theresienstadt, wenige Tage später folgten seine Frau Johanna und der damals knapp einjährige Sohn Tommy. In Theresienstadt arbeitete Fritta zusammen mit anderen deportierten Künstlern, unter ihnen Leo Haas, in der Zeichenstube, wo sie Skizzen für technische Anlagen und gelegentlich Porträts von SS-Männern anfertigen mussten. Heimlich zeichneten sie aber auch Bilder, die den düsteren und grausamen Alltag der Ghetto-Insassen festhielten. Als die Nazis davon Wind bekamen, wurden Fritta und seine Kollegen wegen Verbreitung von "Gräuelpropaganda" verhaftet, im Gestapogefängnis "Kleine Festung" eingekerkert, verhört, gefoltert und schließlich nach Auschwitz deportiert. Dort starb Fritta am 5. November 1944. Drei Monate später starb seine Frau Johanna in der Kleinen Festung. Nur Tommy, der Sohn, überlebte den Naziterror.

Über Bedřich Fritta und Tommy hat Alexander Baginski vom Münchner Figurentheater Pantaleon soeben ein Stück geschrieben, das am nächsten Samstag, 14. Oktober, im NS-Dokumentationszentrum unter der Regie von Ioan C. Toma uraufgeführt wird. Nein, man muss es genauer sagen: Baginski hat ein Bilderbuch in ein Figurentheaterspiel verwandelt - und wie er das gemacht hat, ist brillant. Dazu muss man wissen, dass Fritta in Theresienstadt ein Kinderbuch gezeichnet hat, das er Tommy zum dritten Geburtstag schenken wollte. Diese farbenfrohen Zeichnungen sind quasi der Gegenpol zum Grau-in-Grau der Ghettoszenen. Fritta zeigte seinem Sohn, dass es jenseits der Mauern eine bunte Welt voll aufregender Möglichkeiten gibt, die Tommy, so der Wunsch und die Hoffnung, alle mal erproben möge. Fritta hat das Buch gut versteckt. Wie durch ein Wunder ist es erhalten geblieben.

Eines Tages, das ist Jahrzehnte her, hat Alexander Baginski ein Reprint dieses Buchs in einem Antiquariat entdeckt und darin herumgeblättert. Damals hat er es nicht gekauft, aber es ist ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Vor zwei Jahren hat er sich dann gedacht: "Ich will was daraus machen." Er hat sich das Buch bestellt, das gerade in einer schönen Ausgabe im Regensburger Pustet-Verlag erschienen war, hat die Zeichnungen betrachtet und überlegt: Wie wird aus den Bildern, die keine zusammenhängende Geschichte erzählen, ein Theaterstück?

Baginski hat einen grandiosen Dreh gefunden. Die Zeichnungen kommen in zweifacher Weise ins Spiel: Zum einen als Gegenstand des wunderbaren Dialogs zwischen Vater und Sohn, in dem Tommy erfährt, wie die Welt draußen aussieht und was da auf ihn wartet. Manchmal spielen die beiden das, was auf den Bildern zu sehen ist. Da wird die Schublade zum Flugzeug und der Stuhl zur Eisenbahn. In den Verhörszenen aber werden die Zeichnungen zum Belastungsmaterial, das der SS-Offizier in seiner permanent Subversion witternden Fantasie dem Häftling Fritta um die Ohren haut. "Uns hat der Kontrast interessiert", sagt Baginski. "Da macht ein Vater für seinen Sohn etwas zutiefst Menschliches, und die SS kann das nicht verstehen." Dabei ist der SS-Offizier, den Baginski - wie alle anderen Rollen auch - selbst spielt, kein dumpfer Haudrauf. Im Gegenteil, er erweist sich als gebildet, er kennt sich aus in Sachen Kunst, auch wenn sein Kunstideal dem der Nazis entspricht. So wird das Verhör scheinbar zu einem Gespräch über Kunst, bei dem aber schnell klar wird, wer das Sagen hat: "Bei uns hat die Kunst der Volksgemeinschaft zu dienen", verkündet der SS-Mann. Sein Ton ist jovial, beinahe freundlich und gelegentlich kumpelhaft, er ist ein virtuoser Zyniker des Terrors. Fritta ist in diesen Verhörszenen eine Puppe, ein kleiner Mensch in gestreifter Häftlingskleidung, tatsächlich und im übertragenen Sinn Spielzeug in den Händen der SS.

Auch Tommy ist eine Puppe, nur hat diese einen fürsorglichen Beschützer zur Seite, den Vater. Der Kleine ist ein fröhliches, neugieriges Kind, das vielleicht ahnt, aber noch nicht begreift, in welch fürchterlicher Situation es sich befindet. Tommy möchte auch einen Judenstern tragen, so wie der Vater. Der hat alle Mühe, ihm den Wunsch auszureden, und es ist komisch und rührend zugleich, wie er auf den Himmel verweist, wo Tommys persönlicher Stern leuchtet. Um den wirklichen Tommy, Tomáš Fritta, kümmerte sich nach dem Tod seiner Eltern die Frau des Freundes Leo Haas. Marie Polakowa, die ebenfalls in der Kleinen Festung inhaftiert war, erinnerte sich später: "Seinen Vater haben sie nach Auschwitz genommen, seine Mutter wurde verrückt und starb (. . . ) Tomicek war ein freundliches und intelligentes Kind, das ganze Lager hatte ihn gern. Ich erinnere mich auch heute noch an den kleinen Tommy, wie er am vergitterten Fenster sitzt, seine kleinen Füßchen außen baumelnd, glücklich der Sonne entgegenlächelnd, weil sie ihn so schön bestrahlt". Leo Haas hat die Konzentrationslager überlebt, gemeinsam mit seiner Frau Erna adoptierte er Tommy nach der Befreiung. Als Tommy seinen 18. Geburtstag feierte, überreichte ihm Haas das Bilderbuch seines Vaters. "Wenn ich dieses Buch durchblättere", sagte er einmal, "bekomme ich Gänsehaut - und wenn es zum tausendsten Mal ist." Thomas Fritta-Haas, der zuletzt in Mannheim lebte, starb im März 2015.

Alexander Baginskis Figurenspiel trägt den Titel "Wenn du einmal groß bist". Da schwingt etwas von Zukunft mit, von Hoffnung auf bessere Zeiten. Und vielleicht liegt der SS-Offizier in dem Stück ja gar nicht so falsch, wenn er das heitere Bilderbuch als Bedrohung empfindet. Regisseur Ioan C. Toma sieht das auch so: "Wenn man nur Menschliches zeigt, wenn nur das Leben gefeiert wird, dann ist dies die größte Rebellion."

Wenn du einmal groß bist; Samstag, 14. Oktober, 20 Uhr, NS-Dokumentationszentrum,; Brienner Str. 34; weitere Aufführungen: 17. und 18. Oktober, jeweils 10 Uhr

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