Figuren der "Scheibenwelt"-Reihe:Willkommen in Pratchetts Welt

Terry Pratchett/"Echt zauberhaft"/Goldmann

Stolzer "Zaubberer" mit wenig Talent: In Pratchetts 17. "Scheibenwelt"-Roman "Echt zauberhaft" (1994) spielt Rincewind abermals eine tragende Rolle.

(Foto: Goldmann)

Der Tod reitet ein Pferd namens Schnuller. Ein Hund richtet Menschen ab. Und ein Zauberer ist eine Schande für seinen Berufsstand. Zum Tod von Terry Pratchett: die kultigsten Figuren seiner "Scheibenwelt".

Von Matthias Huber, Wolfgang Luef und Daniel Wüllner

Sein bekanntestes Werk ist die Scheibenwelt-Reihe. Darin eröffnet Terry Pratchett seinen Lesern eine fantastische Welt mit Zauberern, Hexen und dem personifizierten Tod. Gut 30 "Scheibenwelt"-Romane gibt es - viele Figuren haben bei den Lesern Kultstatus. SZ.de stellt die wichtigsten vor.

Gevatter Tod

Er ist hochgewachsen, recht schlank, dürr sogar, trägt schwarze Kutte, Sanduhr und Sense. Wenn er spricht, braucht er keine Anführungszeichen. Seine Worte erscheinen in Großbuchstaben vor den Augen des Lesers.

Es mangelt ihm vielleicht an Haut, Fleisch und Herz. Trotzdem ist er die menschlichste Figur der ganzen Scheibenwelt. ICH HABE MIR KÜRZLICH VIELLEICHT EIN PAAR GEFÜHLE GELEISTET, gibt er zu. ABER ICH KANN JEDERZEIT DAMIT AUFHÖREN. Er fürchtet nichts. Außer, dass es mit dieser Furchtlosigkeit einmal vorbei sein könnte. Er wünscht sich nichts, außer vielleicht mal ein gutes Curry.

Sinn für Humor hat er nach eigener Aussage nicht, das hänge wohl mit den Drüsen zusammen, sagt er. Deshalb trägt sein stolzes Ross, auf dem er durch die Scheibenwelt-Sphären reitet, ganz ernsthaft den wenig majestätischen Namen Binky (deutsch: Schnuller). Tausende Jahre lang war er davon überzeugt, kein guter Vater oder Großvater sein zu können (ICH HABE NICHT DIE RICHTIGEN KNIE DAFÜR), mittlerweile vertritt aber Enkelin Susanne in den Schulferien den Großvater bei seinen Pflichten.

Bei vielen Scheibenwelt-Bewohnern hat er verständlicherweise keinen guten Ruf. Doch diese Vorurteile findet er absurd: MENSCHEN WERDEN ZWAR UMGEBRACHT, ABER DAS IST IHRE SACHE. ICH KOMME ERST DANACH INS SPIEL, erklärt er. Vor dem Tod muss man sich also nicht fürchten. Das wusste auch Terry Pratchett: "Ich habe keine Angst vor dem Tod", hat er einmal gesagt, "ich habe ihn so populär gemacht, dass er mir noch etwas schuldig ist."

(Matthias Huber)

Rincewind

In der Fantasy-Literatur werden Magier als imposante Figuren dargestellt. Ein Wink mit dem Zauberstab, und die Natur beugt sich ihrem Willen. Eine angedeutete Handbewegung und alle Monster weichen zurück. Pratchetts Vorzeigemagier Rincewind hingegen ist eine Schande für den ehrenwerten Berufsstand und eine Blamage für die Unsichtbare Universität von Ankh-Morpork, der Hauptstadt der Scheibenwelt.

Sein Zauberstab ist verbrannt und sein einziges überzeugendes Talent besteht darin, schnell wegzulaufen. Dennoch prangen auf seiner Berufsbekleidung, dem spitzen Zauberhut, die Lettern "Zaubberer" (englisch: "wizzard"), die Rincewind selbst dort eingestickt hat. Seit dem Band "Die Gelehrten der Scheibenwelt" trägt er außerdem den Titel: "Professor für öffentliches Missverständnis von Magie".

Ja, während die hohe Fantasy-Literatur ihre Magier mit wundersamen Kräften ausstattet, säte Pratchett konsequent das Misstrauen in die übermächtige Kraft dieser Figuren. Was natürlich nicht heißt, dass Rincewind nicht alles versuchen würde, um auch endlich so tolle Tricks wie die richtigen Zaubberer zu erlernen.

(Daniel Wüllner)

Treibe-Mich-Selbst-In-Den-Ruin-Schnapper

Er war Manager der erfolgreichsten Rockband der Stadt. Als Filmproduzent in "Holy Wood" hat er die gefragtesten Streifen herausgebracht. Er leitete den Anzeigenverkauf der Ankh-Morpok-Times, als die ersten Druckerpressen anliefen. Treibe-Mich-Selbst-In-Den-Ruin-Schnapper, benannt nach dem Satz, mit dem er seine Geschäfte abschließt ("und damit treibe ich mich selbst in den Ruin"), ist er der Prototyp eines Unternehmers.

Er hätte der Henry Ford oder der Steve Jobs der Scheibenwelt werden können. Doch am Ende jedes Bandes steht er wieder mit seinem Bauchladen an einer Straßenecke und verkauft ekelhafte Würstchen, von denen jeder Kunde schwere Verdauungsprobleme bekommt. Pratchett hat aus dem manchmal naiven Kapitalisten einen der großen Sympathieträger der Scheibenwelt gemacht. Er hat von seinem Prototyp sogar mehrere Kopien geschaffen. Da taucht in einem Buch der Verschlucke-Meinen-Eigenen-Blasrohrpfeil Schnang-Schnang im Dschungel auf, in einem anderen der Man-Stoße-Mich-In-Mein-Eigenes-Eisloch-Schnapooki.

Es liegt keine Moral in der Geschichte des Schnappers. Nur die Begeisterungfähigkeit, mit der er, wenn ihm gar nichts anderes mehr bleibt, sogar noch tote Ratten als Schnäppchen anpreist: "Vollwertratten! Ratte im Brötchen! Ratte am Stiel! Kauft sie, solange sie tot sind!"

(Wolfgang Luef)

Twoflower/Zweiblum

Ein Tourist ist in jeder Umgebung eindeutig als Fremdkörper zu erkennen: buntes Hawaii-Hemd, umgehängter Fotoapparat und eine unstillbare Neugier. Mit Twoflower (in den deutschen Romanen: Zweiblum) bedient Pratchett gnadenlos all diese Klischees. Nur sticht sein Tourist dadurch heraus, dass er der einzig Normale ist in einer Welt voller magischer Gestalten.

Im wirklichen Leben arbeitet Twoflower als Spezialist für Risikobewertung. Trotz seines Berufs sieht er in seiner Berufung, der touristischen Erkundung des Fantastischen, keine Gefahr. Twoflower schwärmt nun mal für Drachen und Feen und da ist das Urlaubsziel klar: die Scheibenwelt. Und tatsächlich reagiert er gelassen, wenn ein fauchender Drache vor ihm auftaucht - für ihn ein kleines Missverständnis, das sich in Kürze aufklären wird.

Zurück in seiner Heimat, dem Achatenen Reich, fasst er seine Reiseberichte unter dem Titel "Wie ich meine Ferien verbrachte" zusammen. Die unterdrückte Bevölkerung zeigt sich so elektrisiert von seinen Schilderung, dass der Band kurzerhand zum Pamphlet ihrer Revolution wird.

(Daniel Wüllner)

Riesenzwerg, Wunderhund, Wahnsinniger und Herrscher

Karotte Eisengießersohn

Es ist so eine Sache mit den Zwergen der Scheibenwelt. Sie sind etwa 1,40 Meter groß, tragen lange Bärte - auch die Frauen - und wenn sie zu viel getrunken haben, neigen sie dazu, mit ihren Äxten Beine in Kniehöhe abzuhacken. In Ankh-Morpork sind sie deshalb nicht besonders beliebt. Karotte Eisengießersohn ist anders. Mit fast zwei Metern ist er mindestens der größte Zwerg der Scheibenwelt. Der glattrasierteste ist er ohnehin. Wobei der Genpool des Riesenzwergs ungeklärt ist: Seine Eltern fanden ihn als Baby im Wrack einer Kutsche, auf seinem Arm trägt Karotte ein Muttermal in Form einer Krone.

Wie dem auch sei: Im Bergwerk seiner Eltern kann er nicht mehr bleiben, als er mit etwa 18 Jahren erwachsen wird - viel zu früh für ein Mitglied des langlebigen Zwergenvolks - und sich ständig an den niedrigen Stollendecken den Kopf stößt. Karotte zieht also nach Ankh-Morpork, mit gebrochenem Herzen, die Trennung von seiner Jugendliebe Minty Felsschmetterer schmerzt ("Ihr Bart ist so weich").

In der Stadt verdingt er sich als Nachtwächter. Karotte begegnet jedem Meuchelmörder, Taschendieb, Freudenmädchen oder Politiker mit einer starrsinnigen Freundlichkeit, die den Gedanken an Gegenwehr gar nicht erst aufkommen lässt. Und als ein leibhaftiger Drache die schmutzige Stadt am Ankh heimsucht, kann nur ein Thronerbe von echtem königlichen Blut die Stadt vor ihrer Zerstörung retten. Ankh-Morpork steht noch heute.

(Matthias Huber)

Gaspode, der Wunderhund

Gaspode ist nicht mehr als ein Gerücht. Die Menschen in Ankh-Morpok sind überzeugt, dass es ihn nicht gibt. Weil es so etwas nicht geben kann: einen sprechenden Hund. Der kleine Straßenköter weiß das, und er nutzt es nahezu gewerbsmäßig aus. Was er sagt, halten die Menschen um ihn für ihre innere Stimme. "Der Hund möchte ein Leckerchen", säuselt er. Und sein verdutztes menschliches Gegenüber fragt sich, warum es diesem dreckigen Köter grade sein letztes Stück Wabbel (ein kleines Gebäck aus Mürbteig) gegeben hat. Wenn er es zu bunt treibt und die Menschen misstrauisch werden, setzt Gaspode einen Hundeblick auf und sagt: "Wuff".

Vor allem aber ist Gaspode ein Zerissener: Er verachtet die Menschen, denen er überlegen ist, weil er sie manipulieren kann. Noch mehr aber hasst er andere Hunde: Während etwa Katzen ihre Menschen nur so lange tolerieren, bis ein Dosenöffner erfunden ist, den man mit Pfoten benutzen kann, sind Hunde voll und ganz auf ihre Besitzer angewiesen. "Die Menschen haben uns gemacht", sagt Gaspode. Und auch er, der große Manipulator in den dunklen Gassen von Ankh-Morpok, hat eine einzige große Angst, die sein Dasein bestimmt. Dass nämlich ein Mensch die beiden schlimmsten Worte spricht, die jeden Köter ins Mark treffen: "Böser Hund."

"Ich weiß das. Wäre mir lieber, wenn nicht, aber so ist es nun mal", sagt Gaspode im Roman "Helle Barden". "Ich habe Bücher darüber gelesen. Naja, durchgekaut."

(Wolfgang Luef)

Der Quästor

Ihn einen Wahnsinnigen zu nennen, wäre eine Untertreibung. Und auch die beliebte Interpretation, dass er einfach auf einem LSD-Trip hängengeblieben sei, greift beim Qästor zu kurz. Der Schatzmeister der Unsichtbaren Universität ist mehr als wahnsinnig, er besteht eigentlich nur aus Verrücktheit. Meist spricht er in unzusammenhängenden Sätzen, lacht an den unmöglichsten Stellen, und wenn der Rat der Universität ein drängendes Problem diskutiert, schaltet er sich nach langem Schweigen ein und sagt: "Dank herzlichen Pflaumenmus Portion zweite eine Bitte."

Trotzdem beschleicht den Leser in jeder Szene mit dem Quästor diese leise Ahnung, dass er eigentlich viel mehr weiß als alle anderen, dass seine Äußerungen in einem übergeordneten Universum Sinn ergeben, ja, genial sind. Der Quästor habe die Stromschnellen des gewöhnlichen Wahnsinns bereits vor einer ganzen Weile passiert und rudere nun auf einem friedlichen See jenseits davon, schreibt Pratchett in "Echt zauberhaft".

Der Quästor schafft es, sich selbst in einem Tresor einzuschließen, mitsamt dem Schlüssel, mit dem man den Tresor eigentlich von außen abschließen müsste. In einem Scheibenwelt-Roman kann er sogar fliegen. Weil er sich das einbildet. Der Quästor mag verrückt sein - aber er ist auch zu beneiden.

(Wolfgang Luef)

Lord Havelock Vetinari

Er ist der perfekte Politiker: Lord Havelock Vetinari, der Patrizier von Ankh-Morpork. Gut, da sind seine Vergangenheit als Meuchelmörder und dieser unerklärliche Hass auf Pantomime-Künstler. Aber dieser kalte Pragmatismus: Da wird selbst ein Wladimir Putin neidisch!

So hat er Ankh-Morpork zu einem sichereren Ort gemacht - einfach, indem er Verbrechen legalisierte, so lange sich die Täter an die mit der Stadtverwaltung vereinbarten Quoten halten. Er ist aber kein Reformer im eigentlichen Sinn. Seine goldene Regel lautet: "Wenn etwas nicht kaputt ist, dann repariere es auch nicht!"

Das Geheimnis seiner anhaltenden Herrschaft? Er achtet sorgsam darauf, dass sich seine Konkurrenten gegenseitig noch viel mehr hassen als ihn. Es wäre aber falsch, dem Patrizier Machtbesessenheit zu unterstellen. Nein, Vetinari regiert Ankh-Morpork hauptsächlich deshalb, weil er sich für den besten Mann für den Job hält. Und er hat Recht damit.

(Matthias Huber)

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