Fifa-Film "United Passions":Sepp, der Superheld

Tim Roth als Sepp Blatter in "United Nations"

Wie der Pinguin aus den Batman-Filmen: Tim Roth spielt in "United Passions" Sepp Blatter.

(Foto: AP)

Es ist ein brutaler Selbstversuch: Als einziger Zuschauer im Fifa-Verherrlichungs-Machwerk "United Passions" zu sitzen. Aber genau das wird Sepp Blatter wohl auch bald tun.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Nein, Sepp Blatter ist nicht gekommen an diesem Nachmittag. Was dann doch erstaunlich ist, denn im Grunde ist er einzige Mensch des Planeten, für den der Film "United Passions" gedreht wurde. Ohne ihn bleibt Saal Nummer sechs des "Laemmle"-Kinos in North Hollywood leer - bis auf den einsamen deutschen Reporter, der hier eine Geschichte wittert.

Seit Freitag läuft das Werk in zehn amerikanischen Kinos. Das Einspielergebnis, das vom Startwochenende gemeldet wurde, betrug exakt 918 Dollar. Das "ACM Cherry Hill"-Kino in Philadelphia stellte sogar einen besonderen Negativrekord auf - von Freitag bis Sonntag haben sich dort exakt zwei Menschen in diesen Film verirrt.

Sepp Blatter hat es glasklar festgestellt: Das Zielpublikum dieses Films bin ich

Dabei hat Sepp Blatter nichts falsch gemacht. Wer mehr als 22 Millionen Dollar in die Hand nimmt, um die Geschichte der Fifa in einen Spielfilm verwandeln zu lassen, und dann noch Weltstars wie Gérard Depardieu, Tim Roth und Sam Neill anheuert, damit sie die Oberbosse des Weltfußballs spielen, darf bestimmte Dinge erwarten. Zum Beispiel, dass der Held am Ende Sepp Blatter heißt. Sepp Blatter hat sich knallhart gefragt, wer das Zielpublikum von "United Passions" sein könnte, und am Ende hat er glasklar festgestellt: Dieses Zielpublikum bin ich.

Und so wird jetzt die ganze Geschichte nach seinen Wünschen erzählt. Etwa wenn es um Blatters Vorgänger geht - die dürfen Dreck am Stecken haben. Der dritte Fifa-Präsident Jules Rimet (dargestellt von Gérard Depardieu) will im Jahr 1930 zum Beispiel unbedingt eine Fußball-WM veranstalten, weiß aber noch nicht genau wie. Da erinnert er sich an einen Typen im schicken Anzug und mit gegelten Haaren, der einmal zu ihm gesagt hat: "Wir in Uruguay haben unbegrenzte finanzielle Mittel. Sie brauchen das Geld, wir brauchen das Turnier." In der nächsten Einstellung verkündet Rimet, dass Uruguay der Gastgeber der ersten Fußball-Weltmeisterschaft sein werde.

Der deutsche Reporter lacht auf, gern würde er jetzt seine Sitznachbarn erregt in die Rippen stoßen: Was für eine geniale Anspielung auf die WM in Katar! Das Lachen aber verhallt in der gespenstischen Stille von 130 leeren, gut gepolsterten Kinosesseln.

"Was ist mit den Idealen?"

Es gibt auch die Szene, in der Rimets Tochter Anette den Mitgliedern der Fifa-Exekutive bereits im Jahr 1936 zuruft: "Was ist mit den Idealen? Mit dem Geist des Sports? Habt ihr das alles vergessen?" Oder wie João Havelange (Sam Neill), ein weiterer Vorgänger Blatters, einen Plastikball auf ein Tipp-Kick-Spiel fallen lässt und zu Sepp Blatter, der damals sein Adlatus ist, einen bedeutungsschweren Satz sagt: "Wenn Gott den Ball nimmt und in eine bestimmte Richtung schubst, ist es dann Betrug?" Blatter nickt gelehrig, in der nächsten Szene wird Argentinien im Jahr 1978 Weltmeister im eigenen Land.

Havelange, das wird schnell deutlich, ist der Erzbösewicht in diesem Film - ein rücksichtsloser und korrupter Drahtzieher. Diesem Mann ist es vollkommen egal, ob die Fifa mit Mao Zedong oder Fidel Castro kooperiert - solange der Rubel rollt, möglichst gleich auf Konten seiner Vertrauten. Niemals zeigt er Reue dafür, dass er den Fußball aus Selbstsucht und Gier beinahe ruiniert. Aber es braucht diesen Schurken, damit es dann auch einen Helden geben kann. Ist doch ganz klar.

Der Regisseur Frederic Auburtin stellt Blatter erst als loyalen Prügelknaben Havelanges dar, dann als genialen Deal-Einfädler, der die Fußball-Analphabeten von Coca Cola als Sponsoren gewinnt und mit Horst Dassler (Thomas Kretschmann, der deutsche Beitrag zu diesem Filmklassiker) über Ausrüstung verhandelt. Und schließlich als loyalen Patriarchen, der die große Fußballfamilie zusammenhält und gegen alle Angriffe von innen und außen verteidigt. Der Sepp im Drehbuch von "United Passions", der ist ein Segen für den Weltfußball.

Ziemlicher Egomane

Er wird von Tim Roth verkörpert, und Tim Roth ist ein Mann, der wirklich alles spielen kann. Er war Mr. Orange in "Reservoir Dogs", er war Ringo in "Pulp Fiction" und Ted in "Four Rooms". Sepp Blatter zu sein, ist überhaupt kein Problem für ihn, er scheint es sogar zu genießen. Er genießt es sogar so sehr, dass sich da plötzlich eine leise Ironie in sein Mienenspiel einschleicht - sein Gesicht konterkariert das Geschehen.

Der über die aktuellen Ereignisse informierte Zuschauer sieht plötzlich, dass auch Blatter ein ziemlicher Egomane sein muss, in dessen Gerechtigkeit auch immer ganz viel Selbst- vorkommt. Der als Nummer zwei immer schön brav die Schnauze gehalten hat und für seinen Aufstieg zahlreiche Deals mit industriellen Teufeln eingegangen ist. Roth spielt sogar noch besser als in "Reservoir Dogs". In der letzten Einstellung des Films, als Blatter Südafrika zum Gastgeber der WM 2010 erklärt und Nelson Mandela den Pokal übergibt, da gelingt es Roth, dass sein Blatter tatsächlich ein bisschen aussieht wie der Pinguin aus den Batman-Filmen. "Sie mögen dich nicht lieben, sie mögen dich sogar hassen", sagt Havelange einmal zu Blatter über die anderen Fifa-Mitglieder: "Aber wen interessiert das schon?"

Der Kinosaal war schon immer ein Ort, zu dem die Menschen flüchten konnten, wenn ihnen die Welt da draußen zu gruselig wurde. Sie bekommen dann auf der Leinwand einen Traum präsentiert. Eine Welt, in der ein Fußballverband mehr Mitglieder hat als die Vereinten Nationen und aufgrund eines fantastischen Führers Wirtschaftskrisen, Weltkriege und sogar England als Weltmeister übersteht. In der kleine Kinder in Adidas-Klamotten eine dreckige Kugel über den Bolzplatz treten und in der Pause Coca Cola trinken.

Bald wird Sepp Blatter diesen Ort brauchen. Ein luxuriöses Privatkino ganz für sich allein, in dem nichts anderes als "United Passions" läuft, von morgens früh bis abends spät. Nur nach dem Abspann gibt es fünfzehn Minuten Pause. Und dann beginnt alles von vorn.

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