"Feuerwerk am helllichten Tage" im Kino:Sehnsucht nach der Katharsis

Szene aus Feuerwerk am hellichten Tage

Chinas neuen Helden ist der Existenzialismus nicht fremd, sie laborieren an unbestimmter Tristesse: Szene mit Liao Fan (links) und Gwei Lun-Mei.

(Foto: dpa)

Der chinesische Traum scheint ausgeträumt in "Feuerwerk am helllichten Tage", dem Noir-Krimi von Regisseur Diao Yinan. Der Held des Films orientiert sich am Westen, weil der die Fortschrittsgläubigkeit schon überwunden hat. Bei der Berlinale gewann Diao damit den "Goldenen Bären".

Von Fritz Göttler

Zusammen Schlittschuh laufen, das hat schon etwas ziemlich Trostloses. Was in diesem Film noch einmal gesteigert wird durch das dunstig-ungesunde Gelblicht, in das die Eisbahn getaucht ist. Gleichgültig ziehen Paare ihre monotonen Bahnen, Mann und Frau, nebeneinander, als würde es eine Zusammengehörigkeit für sie geben, eine Möglichkeit für Gefühle, gar fürs Glück. Aber eine Leere ist um sie her, starr blicken sie vor sich hin. Ein Paar ohne Zukunft, Mittelpunkt eines schmutzigen, wirren Kriminalfalls, der sich über Jahre hinzieht.

Ein kleiner schwarzer Film aus der chinesischen Provinz, aus dem Kohlerevier im Norden. "Städte verändern sich zu sehr", sagt der Regisseur Diao Yinan, "besonders die asiatischen. Kleine Provinzen, weil sie sich nicht so schnell entwickeln, bilden einen Kontrast - wie dieser Ort, der sich überlebt hat, in einer Welt, die sich schon weit verändert hat."

Auf einem Kohleförderband wird eine menschliche Hand entdeckt, im Jahr 1999. Ein Mörder verteilt Leichenteile im ganzen Land. Ein Versuch, einen Verdächtigen festzunehmen, endet fürchterlich, mit ein paar Toten und einem gefeuerten Kommissar.

Fünf Jahre später wird dieser dann, out of the past, wieder mit dem Fall konfrontiert. Wieder tauchen Leichenteile auf. Und er begegnet einer Frau, die mit dem ursprünglichen Fall zu tun hat, sie arbeitet in einer Reinigung, ist von scheuer Schönheit und verhält sich abweisend.

Film noir gilt generell als großstadtaffin, aber wenn man dann einmal die einzelnen Filme durchgeht, aus den amerikanischen Vierzigern und Fünfzigern, landen erstaunlich viele davon in der Provinz, wohin es Typen wie den jungen Burt Lancaster oder den stoischen Robert Mitchum verschlägt. Die wildesten Träume, wenn sie mal derart bodenständige Typen packen, produzieren die stärksten surrealen Variationen des amerikanischen Traums.

Orson Welles scheint durch

Der chinesische Traum scheint ausgeträumt zu sein in "Feuerwerk am helllichten Tage" - auch wenn bei uns im Westen die Zeitungen und Nachrichten atemlos weiter berichten von architektonischen Wunderbauten und Wirtschaftswachstums-Superzahlen.

In der Provinzstadt dieses Films zeigt sich die neue Lebensqualität ziemlich gestrig. Das unaufhörliche Rattern der Kohleförderbänder oder die aufdringliche Farbigkeit in Friseursalons oder Vergnügungslokalen erinnern hierzulande an klassisches DDR-Gefühl.

"Der dritte Mann" und "Touch of Evil" hat der Regisseur Diao Yinan als große Vorbilder für seinen Film genannt. Orson Welles, der in beiden Filmen spielte und beim zweiten auch Regie führte, scheint durch in der Figur des erfolglosen Kommissars - seine Grantigkeit, seine Härte, seine moralische Indifferenz, seine Bösartigkeit. Auch: seine Impotenz.

Reibung am provinziellen China

Diao Yinans Film spielt kokett mit dem Neo-Noir-Stil, der inzwischen weltweit durchexerziert wird, von den USA bis Frankreich, und der sich kräftig reibt mit den eintönigen Landschaften und den sinistren Alltagssituationen im provinziellen China.

Eine Koketterie, die sowohl die chinesischen Filmbürokraten und -zensoren im Blick hat wie den Weltmarkt und seine internationalen Kritiker. Auf der Berlinale hat "Feuerwerk am helllichten Tage" dieses Jahr den Goldenen Bären bekommen und sein Hauptdarsteller, Liao Fan als heruntergekommener Kommissar, einen Silbernen als bester Schauspieler.

Annäherung an den westlichen Existenzialismus

Ein Triumph der Berechenbarkeit? "Es gibt einen wachsenden Bedarf an Arthouse-Filmen bei uns", sagt Diao Yinan. "Ich glaube, mein Film ist der kommerziellste Kunstfilm. Oder vielleicht der artifiziellste Kommerzfilm."

Die großen, weltweit gerühmten Filmemacher aus Chinas Fünfter Generation hatten jahrelang auf den Festivals international gewaltigen Erfolg, Chen Kaige und Zhang Yimou. Als sie dann anfingen, populäre Filme zu machen, chinesische Blockbuster, verschwanden sie allmählich aus den Festivalkonkurrenzen.

Das Zusammengehen von Kunst und Kommerz hat den chinesischen Markt und seine Filmbürokratie radikal verändert, das werden auch die Amerikaner noch merken, die gerade auf den Markt vorstoßen - die "Transformers" haben in China aktuell schon mehr eingespielt als im Heimatland.

Jahr für Jahr wird von der Motion Picture Association of America in zähen Verhandlungen versucht, endlich die Quote zu erweitern, die für Kinoimporte gilt. Der Bauboom im Land erstreckt sich natürlich auch auf die Kinos und Cineplexe, das Expansionspotenzial ist unermesslich.

In seinen neuen Helden hat das chinesische Kino sich dem westlichen Existenzialismus angenähert. Ihr Handeln ist nicht länger im Einklang mit der Gesellschaft, von Idealen nicht mehr dirigiert. Sie sind Einsamkeitsexzessen ausgesetzt, ziehen die Nacht dem Tage vor, laborieren an unbestimmter Tristesse.

Die Zerstückelung ist ein trauriges Sinnbild dieser Situation. In einer Szene auf einem Riesenrad wiederholt sich das unproduktive Nebeneinander vom Paarlaufen, man sitzt Seite an Seite in der Gondel und schaut aus der Höhe über die Stadt. In der Ferne sieht man ein Vergnügungslokal, es heißt Feuerwerk am helllichten Tage. "Feuerwerk am helllichten Tage" ist die Übersetzung des chinesischen Originaltitels.

Die faszinierende Figur des Losers

In Berlin ließ der Regisseur seinen Film unter dem Titel "Black Coal, Thin Ice" laufen. Die Titel sind vielsagend gemeint, aber durchaus ironisch. Feuerwerk am helllichten Tage, sagt Diao Yinan, ist eine Metapher für das Verlangen des chinesischen Volkes nach Katharsis. Also eine Kontradiktion.

Das Genre des Film noir blüht immer auf in Gesellschaften, die mit Destabilisierung zu kämpfen haben, die aus dem Gleichgewicht geraten sind - damals in der amerikanischen Nachkriegszeit, nun in der übersteigerten Kapitalisierung der chinesischen Produktionsbedingungen.

Die wirtschaftlichen, politischen, ideologischen Systeme können den emotionalen Haushalt nicht mehr regulieren. Einzelgänger, Vigilanten betreten die Szene, wie man es im neuen Film von Jia Zhangke, "A Touch of Sin", erlebte. Auch China wird lernen müssen, mit der faszinierenden Figur des Losers zu leben.

Bai ri yan huo, China 2014 - Regie, Buch: Diao Yinan. Kamera: Dong Jinsong. Schnitt: Yang Hongyu. Musik: Wen Zi. Mit: Liao Fan, Gwei Lun Mei, Wang Xuebing, Yu Ailei, Wang Jingchun, Ni Jingyang. Weltkino, 106 Minuten.

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