Festspielpremiere:Im Vulkan

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Zwei Seiten: Je mehr Schönheit es gibt, desto mehr Dunkel gebe es auch, sagt Regisseur Krzysztof Warlikowski. (Foto: Wilfried Hösl)

Verfemt, vergessen, wiederentdeckt: Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" ist ein fabelhaftes Stück, das an die große Zeit jüdisch-deutsch-österreichischer Kultur erinnert.

Von Egbert Tholl

Will man sich in zehn Minuten einen Überblick über die Musik von Franz Schreker verschaffen, muss man sich nur die Ouvertüre von dessen Oper "Die Gezeichneten" anhören. Sie bildet die Atmosphäre der dreistündigen Oper ab, skizziert nicht deren Handlungsverlauf. Der Klang evoziert die Aura der Hauptfiguren. Da der Hässliche, erfüllt von der Gier nach und der Faszination für die Schönheit. Dort die schöne Kranke, zerbrechend, fragil. Und dann noch der virile Stecher, glänzend und vital. Schreker machte aus der Ouvertüre auch ein Konzertstück, das folgt dann einem traditionelleren Bauplan. In der Urform der Einleitung für die Oper aber ist das Stück ein Fließen und Schweben, ein Gerinnen von Klang, auskomponierter Freiraum mit einer Phantasmagorie der Orchesterfarben. Für Schreker war das Orchester insgesamt ein Instrument, das er virtuos beherrschte, ein Klangwerkzeug.

"Die Gezeichneten" sind der Höhepunkt von Franz Schrekers Schaffen

"Die Gezeichneten" erlebten ihre Uraufführung im April 1918 am Frankfurter Opernhaus. Die Oper ist der Höhepunkt von Schrekers Schaffen. 1919 kam sie in München heraus, es folgten zahlreiche Produktionen an vielen wichtigen Opernhäusern, Berlin, Wien, Stuttgart, Hannover. Dann kamen die Nazis, kam der Krieg, kam das Diktum des Fortschritts in der Musik im Nachkriegsdeutschland, das seltsam willkürlich bestimmte, was aufzuführen sei. Eine ganze Sphäre der Musik ging für lange Zeit verloren, als wiederholte sich die ästhetische Selektion der Nazis. Die Opern von Schreker, Korngold, Zemlinsky waren als "entartete" Musik von den Bühnen verbannt worden. Nach 1945 galten sie als überholt - tausend ältere Werke indes nicht. "Die Gezeichneten" erlebten ihre Renaissance 1979, wiederum in Frankfurt. Darauf folgten einige weitere Inszenierungen wie etwa 2005 bei den Salzburger Festspielen oder davor 2002 in Stuttgart in der Regie von Martin Kušej.

"Der Verlust des Bewusstseins historischer Kontinuität nach dem Krieg, den man so vielfach in Deutschland bemerkt hat, reicht auch in die Musik hinein. Manche Komponisten, die vor der Hitlerdiktatur erheblichen Einfluss übten, sind heute schlechterdings vergessen. Der berühmtste unter ihnen war Franz Schreker." Das schrieb Theodor W. Adorno 1959, und da es sich hierbei um einen Rundfunkbeitrag handelt, versteht man sogar unmittelbar, was er sagen will. Adorno hatte die Uraufführung in Frankfurt gesehen und gesteht in diesem Beitrag auch freimütig, dass er sich als Vierzehnjähriger einen besonderen erotischen Kitzel von der Oper erhofft hatte, der so dann aber doch nicht eintrat.

Es geht aber um Erotik. Um Verlangen, Begierde, Begehren. Alexander von Zemlinsky, Schrekers Komponistenkollege, erbat sich von diesem ein Libretto, das die "Tragödie des hässlichen Mannes" in Worte fasste. Schreker schrieb - und war dann so von der Idee begeistert, dass er das Buch bei sich behielt und selbst daraus eine Oper machte. Viele Einflüsse kommen im Textbuch zusammen. Sicherlich die Wiener Gedankenwelt von Freud, Karl Kraus oder auch dem durchgeknallten Otto Weininger, literarische Vorlagen von Oscar Wilde, Maeterlinck oder Wedekind.

Genua, 16. Jahrhundert, Renaissance. Alviano Salvago, der sich wegen seiner Hässlichkeit von der Welt abwendet, erschafft auf einer Insel ein künstliches Paradies der Schönheit, das Elysium, das er aber selbst bislang noch gar nicht besucht hat. Dafür aber seine adeligen Freunde, die aus der Grotte auf der Insel einen Ort der Lust machen; sie verschleppen dorthin die jungen Frauen Genuas. Als Alviano davon erfährt, beschließt er, die Insel mit der Grotte den Bürgern Genuas zum Geschenk zu machen. Die Adeligen sind entsetzt, intervenieren bei Fürst Adorno (nicht der oben zitierte), während es zu einer Begegnung zwischen Alviano und Carlotta, der Tochter des Podestà kommt. Gleichzeitig ist der geile Adelige Tamare hinter ihr her. Carlotta, die herzkranke Künstlerin, malt Alviano, und in dieser Szene im Atelier entsteht für einen Moment die reinste Liebe, die unerfüllt bleibt. Beim Eröffnungsfest der Insel verführt (oder vergewaltigt) Tamare Carlotta, Alviano erkennt sein Unglück, ersticht Tamare, Carlotta stirbt an ihrem Herzen, Alviano wird wahnsinnig, die Oper ist aus.

"Es gibt sehr viele Fragen, bezüglich der Szene im Atelier oder der Vorgänge in der Grotte. Ich habe eine Lösung dafür gefunden. Es ist eine mögliche Lösung." Krzysztof Warlikowski inszeniert "Die Gezeichneten" für die Festspielpremiere am 1. Juli. An der Bayerischen Staatsoper hat er bereits "Eugen Onegin" und "Frau ohne Schatten" inszeniert, er leitet das Nowy Teatr in Warschau und hat inzwischen reichlich Opernerfahrung gesammelt. Ein Gespräch mit ihm hat für sich schon einen hohen performativen Wert. Zwischen den Schwaden seiner Elektrozigarette blitzen die Augen, vor allem aber reden die Hände. Die sind permanent in Bewegung, und reicht diese Bewegung nicht mehr aus, springt er auf und läuft im Raum herum.

Für Warlikowski ist diese Oper kein Stück, das man einfach so herunterinszenieren kann

Das Gespräch mäandert, viel geht es um die Szene in Carlottas Atelier, um das Elysium, um die Bedeutung Schrekers in der Operngeschichte. In Polen, wo Krzysztof Warlikowski lebt und arbeitet, wenn er nicht gerade irgendwo anders inszeniert, in Brüssel oder Paris, kennt man Schreker nicht. Er lernte "Die Gezeichneten" kennen, als die Staatsoper ihn fragte. Jetzt weiß er alles, und überhaupt scheint dieses Stück genau das richtige für ihn zu sein. Oper ist für ihn die Absenz von Logik, diese Oper ist dies im Speziellen, dazu ist sie auch noch eine Künstleroper. Schreker fragt, was Kunst sei, er fragt auch, was Schönheit sei. Krzysztof Warlikowski: "Je mehr Schönheit es gibt, desto mehr Dunkel gibt es auch. Alviano glaubt an das Elysium, er ist wie Prospero in Shakespeares ,Sturm'". Und wäre er kein Monster, wer weiß, vielleicht würde er sich genauso verhalten wie jene Adeligen, die die Grotte zur verbrecherischen Befriedigung ihrer Lust missbrauchen.

Für Warlikowski ist diese Oper kein "piece well done", also kein musikalisches well-made-play, das man einfach so herunterinszenieren könne.Sie ist ein Vulkan, eine Vision des Untergangs. Hier verweist Schreker da auch auf sich selbst. Egal wie akzeptiert er war, er war Jude, er ahnte vielleicht sogar schon 1918 die Vernichtung der Menschen seines Glaubens. Viel später, 1930 schrieb er an seinen Freund Arnold Schönberg: "Also wieder zurück nach dem Hitler-Berlin. Vielleicht schmeißt man uns hinaus. Aber dann mit voller Pension." Schönberg, darauf verweist Warlikowski, wurde zwischenzeitlich Christ, mit dem Gedanken "vielleicht werde ich dann menschlich für euch". Das klappte nicht. Und auch das mit der Pension erfüllte sich bei Schreker nicht. In Monaco geboren, in Wien aufgewachsen avancierte er zu einem der meistgespielten Opernkomponisten, überholte Strauss, wurde 1920 zum Direktor der Musikhochschule Berlin ernannt, 1932 dazu noch Leiter der Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste. Er galt als Meisterlehrer. 1933 schmiss man ihn hinaus, ohne Pension. Er erlitt einen Herzinfarkt und starb 1934, zwei Tage vor seinem 56. Geburtstag.

"Die Welt heute scheint zu arm für dieses Stück. Aber wir kommen an den Punkt, an dem wir Schreker verstehen, mit unserem Luxus, unserer Egozentrik." Krzysztof Warlikowski sieht das aufregende Potenzial im Werk selbst. "Ein Skandal-Regisseur zu sein, ist leicht." Findet er komplett uninteressant. Ihn interessiert etwas anderes. Die Unabdingbarkeit, mit der Schreker genau diese Oper schreiben musste, nach seinem eigenen Text - nicht wie Richard Strauss, der Texte von Hofmannsthal vertonte und in der Klangsprache mit Schreker manchmal verwandt scheint, nur kommt bei Schreker noch etwas viel Überbordenderes hinzu, "wunderschöner Eklektizismus". "Die Gezeichneten" ist für Warlikowski das Stück, das Schreker schreiben musste, wie Schönberg "Moses und Aron", wie Alban Berg "Wozzeck"."Ich habe sehr viel Empathie für Schreker. Ich verstehe ihn."

Vielleicht auch, weil es in Polen unter der derzeitigen Regierung nicht immer sehr lustig sein dürfte, Kunst zu machen. Warlikowski, ein zarter Nervenmensch, braucht Freiheit, plädiert die Freiheit der Kunst, fordert für die Kunst den Schutz der Gesellschaft. Oder besser gesagt: Er erhofft sich eine Gesellschaft, die die Kunst in allem respektiert.

Die Gezeichneten , Sa./Di. /Fr. u. Di., 1./4./7. u. 11. Juli, je 19 Uhr, Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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