Festnahme von Roman Polanski:Am Ende aller Taten

Die Schweiz hätte sich nicht vor den Karren der rachsüchtigen US-Justiz spannen lassen dürfen. Denn nach Schweizer Recht sind die Taten des Regisseurs Roman Polanski verjährt.

Heribert Prantl

Wolfgang Schomburg ist ein erfahrener internationaler Richter. Er war der erste deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Er war Richter am Internationalen Gerichtshof für Ruanda in Arusha. Er kennt die Verbrechen und die Verbrecher, er kennt auch das Elend der internationalen Strafverfolgung, in der Praxis und in der Theorie.

Festnahme von Roman Polanski: Vor 32 Jahren wurde die Straftat Roman Polanskis im Rahmen eines "Deals" nicht als Vergewaltigung bewertet.

Vor 32 Jahren wurde die Straftat Roman Polanskis im Rahmen eines "Deals" nicht als Vergewaltigung bewertet.

(Foto: Foto: Reuters)

Er kennt zwar nicht Roman Polanski, aber er ist Herausgeber des Kommentars "Internationale Rechtshilfe in Strafsachen", der das Auslieferungsrecht für den gesamten deutschsprachigen Raum, auch für die Schweiz, erläutert. Schomburg ist keiner, der schnell die Augen zudrückt, nicht bei prominenten und nicht bei unbekannten Zeitgenossen. Im Gegenteil. Aber er ist "erstaunt" über die Verhaftung des Regisseurs Polanski in der Schweiz und über die geplante Auslieferung an die USA.

Besondere Umstände drängen sich auf

Sie verstößt, so sagt er, gegen den "ordre public". Ordre public nennt man den Bestand der internationalen Grundregeln: Dazu gehört vor einer Freiheitsentziehung die Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht und die Prüfung von Verjährung.

In Deutschland sind diese Grundsätze im IRG ausdrücklich formuliert, im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Dort heißt es etwa in Paragraph 10 Absatz 2: "Geben besondere Umstände des Falles Anlass zur Prüfung, ob der Verfolgte der ihm zur Last gelegten Tat hinreichend verdächtig ist, so ist die Auslieferung nur zulässig, wenn eine Darstellung der Tatsachen vorgelegt worden ist, aus denen sich der hinreichende Tatverdacht ergibt". Solche besonderen Umstände, meint Schomburg, drängen sich im Fall Polanski auf.

Was sind nun die besonderen Umstände, die die Auslieferung problematisch machen? Vor 32 Jahren wurde die Straftat Polanskis in einem "Deal", in dessen Rahmen er sich als schuldig bekannt hat, nicht als Vergewaltigung bewertet. Die Schweiz könne, so Schomburg, der Auslieferung also nicht eine Vergewaltigung zugrunde legen. Auch bei der Prüfung der Verjährung dürfe die Schweiz nicht von Vergewaltigung ausgehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum internationale Rechtshilfe nicht bedenkenlos geleistet werden sollte.

Der Kerngedanke von Verjährung

Für die Frage, ob die Tat verjährt sei, gelte nach den Regeln des "ordre public" das Recht des ersuchten Landes - also der Schweiz. Eine nach Schweizer Recht einmal eingetretene Verjährung könne nicht durch neue Verjährungsregelungen und Auslieferungsabkommen mit den USA aufgehoben werden. Die Schweizer müssten der Beurteilung des Falls Polanski ihr Recht zum Zeitpunkt der Tat zugrunde legen.

Die Schweizer Regierung beurteilt das anders. Sie bezieht sich auf das Abkommen mit den USA, in dem sie die Anwendung von US-Recht vereinbart habe. Schomburg verweist im Übrigen auf den Kerngedanken von Verjährung: Irgendwann muss Schluss sein - außer bei Mord und Völkermord. Im Interesse des Rechtsfriedens müsse dann der staatliche Strafanspruch zurücktreten.

Die US-Justiz gilt in Fluchtfällen als rachsüchtig. Schomburg warnt davor, dass sich immer mehr Staaten vor den Karren exzessiver Strafverfolgung spannen lassen. Wenn Polanski wegen seiner 32 Jahre alten Tat in der Schweiz nicht mehr bestraft werden könnte, dann dürfe er auch nicht ausgeliefert werden. Schomburg warnt vor Rechtspraktiken, die dazu führen, dass der verhaftende Staat einfach auf das von ihm nicht zu prüfende Begehren des anderen Staats verweist.

Ein internationaler Haftbefehl ist kein Freibrief für jedwede Verhaftung. Er ist kein Gottesurteil, an dem nicht zu rütteln ist. Er ist ein nationaler Haftbefehl, der in die internationale Fahndung gegeben wurde. Das internationale Rechtshilfesystem beruht zwar darauf, dass man diesen Verhaftungsbegehren grundsätzlich trauen kann. Es beruht aber auch darauf, dass der Haftbefehl der Kontrolle zugänglich ist - und dass willkürliche Verhaftungen tunlichst verhindert werden müssen.

Rechtshilfe ist kein Pontius-Pilatus-Spiel: Die Schweizer können nicht sagen, dass es ihnen egal ist, was die Amerikaner mit einem Menschen machen, den sie von ihnen verhaften lassen.

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