Festnahme der No-Angels-Sängerin:Maulkorb für den Staatsanwalt

Der Fall der No-Angels-Sängerin illustriert eine Wende in der amtlichen Informationspolitik: Anwälte sind sauer auf eine Staatsanwaltschaft, die zu viel redet.

H. Kerscher

An diesem Mittwoch war es fast unmöglich, nichts über die deutsche Mädchenband No Angels zu lesen. Auch Bild titelte in großen Zeilen. In den nächsten Tagen muss das Boulevard-Blatt wohl seine kleineren Buchstaben einsetzen, um das Intimleben einer angeblich infizierten, namentlich genannten, im Foto gezeigten Sängerin dieser Gruppe auszuleuchten. Das Beste für Bild (und andere) war ja: Als Quellen konnten Staatsanwälte zitiert werden. Doch die genannte und gezeigte Sängerin erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen Bild. Das Landgericht Berlin habe der Zeitung verboten, weiter über ein eingeleitetes "Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung und/oder den Gegenstand der Untersuchungshaft" zu berichten, teilte der Anwalt der Sängerin mit.

Ein Bild-Sprecher kündigte prompt Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung an. Die No Angels seien "die erfolgreichste deutsche Pop-Band der letzten Jahre", teilte Chefredakteur Kai Diekmann mit. Ihre Poster hingen "in tausenden Teenager-Zimmern". Angesichts dieser Vorbildfunktion und der Schwere der strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Sängerin sei das öffentliche Interesse an der Berichterstattung "nicht im Ansatz zu bestreiten". Ein Verbot, über die Verhaftung zu informieren, sei ein "schwerer Angriff auf die Pressefreiheit".

Der No-Angels-Fall illustriert eine Wende der amtlichen Informationspolitik. Noch vor 20 Jahren konstatierte der ARD-Journalist Joachim Wagner in seinem Buch "Strafprozessführung über Medien", Staatsanwälte hätten bei Journalisten einen schlechten Ruf, ihre Pressestellen würden wegen ihres geringen Mitteilungsbedürfnisses auch "Presseabwehrstellen" oder "Verhinderungsstellen für Publizität" genannt. Das hat sich geändert.

Den schlechten Ruf haben die Staatsanwaltschaften inzwischen bei Strafverteidigern. Anwälte wie Eberhard Kempf (Frankfurt) oder Christian-Alexander Neuling (Hamburg) fordern Maulkörbe für den Staatsanwalt. Sie beklagen eine "unheilige Allianz zwischen Medien und Vertretern des Strafverfolgungsapparates" (Kempf) oder "offensive, voreingenommene Auskünfte" im Ermittlungsverfahren (Neuling). Prompt wurde auf dem "Strafverteidigertag 2006" eine "justitielle Schweigepflicht" verlangt.

Für diese an sich erstaunliche Forderung einer sonst so pressefreundlichen Berufsgruppe gibt es ein paar gute Gründe. Insbesondere bei der "Verdachtsberichterstattung", also weit im Vorfeld einer Anklage oder gar einer Verurteilung, werden sowohl die Persönlichkeitsrechte von Beschuldigten als auch der Grundsatz der Unschuldsvermutung erheblich beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass die Perspektive der Ermittler die Berichterstattung und mithin das faire Verfahren beeinträchtigen kann.

"Justitielle Schweigepflicht"?

Es gibt aber in vielen Fällen auch legitime Gründe für eine Berichterstattung. Sie werden gemeinhin unter dem Sammelbegriff "Informationsinteresse der Öffentlichkeit" zusammengefasst. Das reicht von der nachvollziehbaren Neugier am Leben Prominenter über das Interesse an konkreten Straftaten und ihrer Verfolgung bis hin zum demokratiestaatlich begründeten Anspruch auf Transparenz der Gesellschaft. Ob und wie zulässig eine Berichterstattung ist, hängt deshalb von den Umständen des Einzelfalls ab. Die wiederum werden naturgemäß unterschiedlich beurteilt. So mag derselbe Verteidiger, der seit Jahr und Tag Journalisten mit Material versorgt, Hintergrundgespräche von Staatsanwälten mit Presseleuten verdammen.

Und was sagt das Recht dazu? Nicht allzu viel Klares. In den "Richtlinien für das Strafverfahren" werden die Staatsanwälte auf das Für und Wider hingewiesen. Es wird also sowohl vor einer unnötigen Bloßstellung von Beschuldigten als auch vor einer Vernachlässigung der Medien samt ihren besonderen Aufgaben gewarnt.

Im No-Angels-Fall werden die Staatsanwälte aber noch mehr als ihre Auskunftsbereitschaft erklären müssen, warum sie die Sängerin unbedingt spätabends in einem Club und vor einem Auftritt festnehmen mussten.

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