Furchtbar misshandelt ist die junge Frau, aber nicht gebrochen. Ihr Haar ringelt sich rebellisch, die Brauen über den rot geäderten Augen sind zornig zusammengezogen, ihr kleiner, voller Mund ist kämpferisch gespitzt. In die großen, lilafarbenen Flecken, die ihr aufgequollenes Gesicht weiter verunzieren, sind Schriftzüge eingetragen: "Gewalt gegen Frauen . . . übertrieben" steht da etwa, außerdem "Frauen und Männer sind nicht gleich" und "Hätten sie besser aufgepasst".
Ein Plädoyer gegen das, was Männer dem anderen Geschlecht gerne zufügen, überall auf der Welt? Gewiss, aber dieses Coverbild der türkischen Satirezeitschrift Uykusuz hat auch allegorischen Charakter.
Die verprügelte, vergewaltigte Frau erscheint in ihrem wütenden Trotz wie ein Sinnbild der Meinungs- und Pressefreiheit, um die, unter Umständen mit Gefahr für Leib und Leben, gerungen werden muss - wie etwa zur Zeit im Reich des neuen Sultans Erdogan.
Wie schon vor vier Jahren, als anlässlich der "Arabellion" Zeichnerinnen und Zeichner aus dem Nahen Osten zu Gast waren, näherte sich der nunmehr 17. Comic-Salon Erlangen am letzten Wochenende wieder entschlossen der politischen und sozialen Aktualität.
Die Ausstellung zu "Comics und Satire aus der Türkei" blickte zurück bis zu den Anfängen der Szene am Bosporus. Da die Türkei dem internationalen Abkommen zum Urheberschutz erst in den Achtzigern beitrat, erschienen zuvor zahlreiche Raubdrucke frankobelgischer Comic-Serien. Zum Teil waren diese skrupellos bearbeitet: So lagen statt 23 schließlich 34 "Tim und Struppi"-Abenteuer vor, da aus einzelnen Bildern einfach weitere Alben zusammengebastelt wurden.
Dank Raubdrucken: 34 statt 23 "Tim und Struppi"-Abenteuer in der Türkei
Die Produktionen heimischer Zeichner orientierten sich lange an Vorbildern wie dem amerikanischen "Mad" oder Größen wie Franquin, Möbius oder Regis Loisel.
Über die inhaltlichen Aspekte ließ sich für des Türkischen nicht mächtige Salon-Besucher leider nur mutmaßen, da die Seiten zumeist in der Originalsprache aushingen. Erstaunlich ist die erotische Freizügigkeit, die schon vor Jahrzehnten möglich war: Mehr sich nackt räkelnde Frauen gibt es auch in den damaligen europäischen Erwachsenencomics nicht.
Ein erheblicher Qualitätssprung ist dann, verbunden mit dem vermehrten Entstehen von Comics außerhalb von Zeitschriften, in den letzten knapp zwanzig Jahren festzustellen. Von der feministisch geprägten Ramize Erer etwa, verantwortlich für die Serie "Kötü Kiz" ("Das böse Mädchen"), würde man gerne etwas übersetzt sehen.
Indien überzeugt
Ebenso engagiert, aber künstlerisch noch überzeugender waren die Comics von Künstlerinnen und Künstlern aus Indien. Unter ihnen ragt Vishwajyoti Gosh hervor. In seiner Graphic Novel "Delhi Calm" (2010) thematisiert er die politischen Unruhen im Indien der Siebziger; zudem ist er Herausgeber der Anthologie "This Side, that Side: Restorying Partition" (2013), die sich mit der Entstehung Pakistans im Jahr 1947 beschäftigt.
Gosh versteht sich aber auch auf Camp und Humor: In Collagen mit dem Titel "Times New Roman & Countrymen" verbindet er kuriose Kleinanzeigen-Texte mit alten Fotos und Bollywood-Bildern.
Der Initiative des Goethe-Instituts in Delhi ist es zu verdanken, dass bei gleich zwei Anlässen junge deutsche und indische Zeichnerinnen zu Workshops zusammenkommen konnten.
Die Ergebnisse, die in dem Band "Drawing the Line" (2015) und in der 13. Ausgabe der jährlich erscheinenden Anthologie "Spring" zu finden sind, waren auf dem Salon ebenfalls zu betrachten.
Die brutale sexuelle Belästigung von Frauen, die systematische Benachteiligung von Mädchen, der Kult um bestimmte Schönheitsideale - all dies wird hier auf ernste oder humorvoll-ironische Weise verhandelt.
Bei einem Podiumsgespräch machten die Zeichnerinnen deutlich, dass sie, was das zügige Durchsetzen weiblicher Autonomie angehe, keine Illusionen hätten, aber allein das Aussprechen tabuisierter Themen sei ein wunderbarer, befreiender Akt.
Dass der Salon seinen Besuchern solche Ein- und Ausblicke erlaubt, ist hoch einzuschätzen. Während republikweit immer mehr kommerziell ausgerichtete Comic-Conventions aus dem Boden schießen, die vor allem Fans in ihren Neigungen bestätigen wollen, halten die Veranstalter in Erlangen daran fest, dass Comics eine künstlerische und intellektuelle Herausforderung sein können.
Mehr als je zeigten die diversen Ausstellungen - eine weitere große war dem Manga-Meister Jiro Taniguchi gewidmet - zudem, dass der Comic sich inzwischen, wie vor ihm die Literatur der Moderne und der Film, zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel entwickelt hat, das global verstanden wird und zugleich regional akzentuiert werden kann.
Komischer Höhepunkt war eine Zeichnung mit Wilhelm Buschs Lausbuben, Frauke Petry und Luz
Schwer hatten es auf dem Salon allenfalls die Traditionalisten unter den Besuchern: Klassische Comics aus Frankreich und Belgien spielten diesmal kaum eine Rolle. Immerhin gab es zum demnächst bevorstehenden 70. Geburtstag von "Lucky Luke" eine kleine, aber vorzüglich kuratierte Ausstellung.
Sie erlaubte es nicht nur, die künstlerische Entwicklung von Maurice de Bevere alias Morris, dem Schöpfer der Serie, nachzuvollziehen, sondern führte auch vor, wie virtuos dieser Zeichner, dem hartnäckig das Etikett des bloßen Handwerkers anhaftet, in Wirklichkeit ist.
Bei der Max und Moritz-Gala im Markgrafentheater erhielt die Coming of Age-Graphic Novel "Sommer am See" von Mariko und Jillian Tamaki den Preis für den besten internationalen Comic.
Spezialpreis für den früheren "Charlie Hebdo"-Zeichner Luz
Ebenso verdient war, dass Barbara Yelin, Zeichnerin und Autorin der viel gerühmten Graphic Novel "Irmina", als beste deutschsprachige Künstlerin ausgezeichnet wurde.
Von gleich drei Spezialpreisen ging einer an "Katharsis" von Luz. In diesem Werk verarbeitet der frühere Charlie Hebdo-Zeichner das Trauma des tödlichen Anschlags auf seine Redaktion, in der er am Morgen des 7. Januar 2015 nur durch Zufall nicht anwesend war.
Aus Sicherheitsgründen konnte Luz nicht erscheinen. Allerdings schickte er eine gezeichnete Botschaft, in der er sich selbst, Wilhelm Buschs Lausbuben sowie Frauke Petry auftreten ließ - es war ein Höhepunkt beißender, selbstironischer Komik, den diese Veranstaltung noch nie erlebt hatte.
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