Süddeutsche Zeitung

Festival: Sonne, Mond und Sterne:Vor uns die Sintflut

Techno, Matsch und Boxenbruch statt Sonne, Mond und Sterne: Das große Elektro-Festival in Thüringen versank am Wochenende im Schlamm. Schön war's trotzdem.

Daniel Haneberg

Techno, Matsch und Boxenbruch statt Sonne, Mond und Sterne: Das große Elektro-Festival in Thüringen versank am Wochenende im Schlamm. Schön war's trotzdem. Die Bilder. Wer sich am Wochenende auf Sonne, Mond und Sterne gefreut hatte und dazu eigens nach Thüringen gereist war an die beschauliche Bleilochtalsperre bei Saalburg-Ebersdorf, der sollte dort eines besseren belehrt werden: Text: Ruth Schneeberger/Daniel Haneberg/sueddeutsche.de/lala Fotos (außer Bild 3 und Bild 21): Daniel Haneberg

Anstelle der geplanten Sommersause zu elektronischen Klängen am See, wie sie schon seit 1997 stattfindet und unter dem Namen "Sonne, Mond und Sterne" als größtes Elektro-Festival Thüringens und eins der größten Freiluft-Festivals Deutschlands bekannt ist, erwarteten die Angereisten diesmal vor allem zwei Dinge: erstens Matsch und zweitens Schlamm. Wo das Wasser des Sees am Festivalgelände anfing und wo der Matsch aufhörte, war am Freitag noch nicht so recht auszumachen, ...

... weil der Tag komplett ins Wasser fiel. Die Festivalbesucher waren vorher schon von den Veranstaltern gewarnt worden, dass es aufgrund größerer Niederschlagsmengen wohl ratsam sei, ...

... in Friesennerz und Gummistiefeln anzureisen, die nämlich im weiteren Umfeld des Festivalgeländes alsbald ausverkauft waren. Die meisten Partyjünger nahmen den Rat an, ...

... auch wenn sich die Regenrüstung manchmal mit den ursprünglich geplanten Partyoutfits kreuzte. Das heimliche Motto jedenfalls, ...

... dem sich die elektronische Partygemeinde diesmal optisch hingab, ...

... sowohl von Besucherseite als auch auf Seiten der Künstler, ...

... changierte auffällig zwischen Neon, Metallic und Pink. So auch bei Peaches. Die kanadische Elektroclash-Sängerin, die sich während ihrer Auftritte schon mal die Beine rasiert, rockte mit David-Bowie-Schminke und in Weltraumjacke die Bühne.

Auch die DJ´s Kruder und Dorfmeister tauchten sich und ihre Fans in pinkes Licht. Neben weiteren großen Namen der elektronischen Musikszene und des vereinzelten Pop und Rock wie Underworld, Faithless, Fanta 4, David Guetta, Sven Väth, Jan Delay, Boys Noize, Ellen Allien, Turntablerocker und Tiefschwarz waren viele Newcomer geladen, ...

... die sich ebenfalls nicht lumpen ließen: Ein DJ namens  F.O.R.N.I.X zeigte sich als knallpinkes Wesen mit Maske und Minimalbeats, ...

... und die Band Schluck den Druck, die im vergangenen Jahr hier den Newcomerpreis "Fresh'n'Sexy" gewonnen hat, präsentierte sich einmal mehr als Mischung aus pink-goldenem Rotkäppchen mit Gasmaske ...

... und großem bösen Maximalbeat-Wolf. Da mussten die Toningenieure glatt um ihre schönen Boxen bangen. Die Berliner Band hatte nicht nur ihre neuen Songs "Schwiegerhund" und "Kommerzbaron" im Gepäck, ...

... sondern auch jede Menge Fans aus der Heimat, die alle extra für diese Stunde knallharter Ohrenmassage angereist zu sein schienen. Trotz größtmöglichem Klangerlebnis und partyfeindlichstem Wetter ...

... blieb das dreitägige Festival heiter bis beschaulich. Nach der Loveparade, bei der im Juli bei einer Massenpanik 21 Menschen zu Tode gekommen waren, hatte Veranstalter Markus Ohm zusammen mit der Polizei das Sicherheitskonzept für das Sonne-Mond-Sterne-Festival überarbeitet und die Rettungswege deutlicher ausgeschildert. Ob es an der Angst vor einem Massenereignis oder am schlechten Wetter lag - während 2009 noch knapp 100 000 Musikfans anreisten, waren diesmal nur rund 30 000 tapfere Technojünger zu Gast.

Die aber sollten, so wollten es die Veranstalter, trockenen Fußes tanzen können - also wurden kurzerhand 600 Tonnen Rindenmulch verteilt und viereinhalb Kilometer Aluminium-Straßen verlegt. Vergebens. Die Mischung aus zu viel Wasser, Erde und Mulch erzeugte eine etwa 5 bis 10 Zentimeter tiefe Schicht aus braunem, ständig gut durchgestampftem Schlamm auf dem gesamten Festivalgelände, das eigentlich eine wunderbare Sommerparty garantiert hätte: mehrere Bühnen, Zelte - diese immerhin trocken - und Strand mit freiem Seezugang, samt Strandbars und sogar Palmen.

Ein schmuckes Partyschiff mit stündlich wechselnden Passagieren drehte seine Runden über den Bleiloch-Stausee, mit Tänzern dekoriert wie ein schwimmender Techno-Paraden-Truck. Kurzerhand wurde aus dem eigentlich als Sommerfest gedachten Festival ein Adventure Trip - und keiner war enttäuscht.

Die Stimmung unter den Elektrofreunden reichte von schmunzelnd fatalistisch bis großartig. In die trockene Welt da draußen wollte so schnell niemand zurück.

Gute Laune also, wohin man blickte - da man sowieso nirgendwo sitzen und sich ausruhen konnte, wurde eben umsomehr mehr getanzt, an trockenen und nicht so trockenen Orten.

Oder gekuschelt - aber immer schön neonfarben. Nach eineinhalb Tagen Dauerregen verliefen der Samstag und der Sonntag dann nahezu trocken, wenn auch extrem schlammhaltig. Trotzdem: Das Festival war solide und liebevoll organisiert und sogar unter diesen Bedingungen ein Erfolg. Wenn schon nicht unter "Sonne, Mond und Sternen", ...

... dann zumindest unter dem feucht-fröhlichen Motto "Vor uns die Sintflut".

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