Festival:Polarkreis-Reggae trifft Afrika-Funk

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Zum Auftakt des Jazz Sommers im Bayerischen Hof präsentiert sich die Szene bunt und vielfältig

Von Oliver Hochkeppel

Wer sagt denn, dass man mit Jazz keinen Staat machen kann. Zum Auftakt des 25. Jazz Sommers platzte der Festsaal des Bayerischen Hofes aus allen Nähten. Schon vorher, bei der Eröffnung der Fotoausstellung, traf sich alles, was in der Szene Rang und Namen hat. Beim Konzert waren dann nicht nur eingefleischte Fans, sondern auch viele neugierige Musikinteressierte da. Gut, in Marcus Miller war ja auch ein idealer Stargast geladen, der mit funkiger Jazzrock-Fusion einen großen gemeinsamen Geschmacks-Nenner garantiert.

Miller wusste einerseits, was von ihm erwartet wurde: Natürlich spielte er "Jean Pierre" und "Tutu", die beiden Stücke aus seiner Zeit mit Miles Davis, die quasi seine Erkennungsmelodien geworden sind. Hier wie bei einigen anderen Passagen führte er die bewährte große Slapping-Show vor, diese geballte Ladung Funk-Bass-Klischees, die mit ihrer demonstrativen Virtuosität gerne zur Selbstdarstellung und einem musikalischen Anachronismus wird.

Andererseits nahm sein aktuelles Projekt "Afrodeezia" den gleichberechtigten anderen Teil des Repertoires ein, dessen Ausgangspunkt er eindrucksvoll schilderte: Vor einigen Jahren besichtigte er auf der senegalesischen Insel Gorée eine "Maison des Esclaves", also eine jener Unterkünfte, in denen die als Sklaven Eingefangenen vor ihrer Verschiffung zusammengepfercht wurden. Auch Millers Ahnen teilten dieses Schicksal, so übermannten ihn die Gefühle, und es reifte die Idee, die Sklavenroute musikalisch nachzureisen - von Westafrika über die Kapverden, Brasilien und die Karibik bis nach New Orleans und Detroit, letztere als Stadt des Motown-Sounds gewissermaßen der Endpunkt der Ausstrahlung afrikanischer Rhythmik.

Für das Album arbeiteten Miller und seine Band jeweils mit einheimischen Musikern zusammen, doch auch in der Stammbesetzung entfalteten die Stücke eine enorme Kraft. Vor allem "Gorée", der direkt aus der Senegal-Erfahrung entstandene Nucleus des Projekts, den er noch auf das "Renaissance"-Album packte: Vom Bass wieder einmal zur Bassklarinette wechselnd, zeigt er da eine ungewöhnt verhaltene, lyrische Seite, eine ganz andere Klangfarbe. Melancholisch und hoffnungsfroh hymnisch zugleich. Gelungen war auch die Kombination aus Millers Bass-Grooves mit westafrikanischen Highlife-Rhythmen ("Hylife") und vor allem seine dynamische Steigerungsversion von "Papa Was A Rolling Stone". Nicht zuletzt muss man Miller zugute halten, dass er sich seit einer gewissen Stagnationsphase mit herausragenden jungen Leuten wie dem Trompeter Russel Gunn oder dem Saxofonisten Alex Han umgeben hat, die ihn fordern und in ihm neues Feuer erweckt haben.

Eine Geschichtsstunde der anderen Art erwartete einen danach im nicht minder vollen Nightclub bei Robben Ford. Der Gitarrist war der erste Gast, der in diesem Festival-Rahmen spielte, damals 1992 nach dem Einstieg des Bayerischen Hofs beim Klavier Sommer. Grundsätzlich wird der Meister schon damals nicht anders geklungen haben als heute: Lässig und filigran gespielter Blues mit jazzigen Elementen und leicht maulfaulem Gesang, das ist genau seit dieser Zeit seine Sache, als er sich nach seinem Intermezzo mit Miles Davis auf die "Roots" besann.

Auf den Mann der ersten Stunde folgte am Dienstagabend ein lang Ersehnter, mit dem es zum Jubiläum das erste Mal klappte: der Trompeter Nils Petter Molvaer. Anders als Robben Ford repräsentiert er einen Neuerer, jedenfalls einen ehemaligen. Denn um den mit seinem Debütalbum "Khmer" 1997 gefundenen und geprägten Stil, eine elegisch-nordische Version des elektro-akustischen Jazz, kreist Molvaer seither. Im Quartett mit dem Lap-Steel-Exzentriker und Gitarristen Geir Sundstøl, dem Bassisten Jo Berger Myhre und dem Schlagzeuger Erland Dahlen, der sein Drumkit um Schiffsglocken und diverse andere Perkussionsgeräte erweitert hat, reicherte Molvaer seine sphärische Fjord-Fusion diesmal punktuell um Mittsommernachts-Country, Polarkreis-Reggae und Wikinger-Drum & Bass an. Trotzdem blieb so manches dramaturgische Loch. Vor allem aber ermüdet das übermäßige - mitunter auch nicht sauber intonierte - Trompeten-Pathos nach einiger Zeit.

So kann man den Jazz-Sommer-Start als Feierstunde des "Zweite Klassik"-Jazz charakterisieren: lauter sichere Sachen und festgefügte Œuvres. Man darf aber darauf hoffen, dass neben dieser "gesellschaftsfähigen" Seite auch noch die durchschimmern wird, die den Jazz zur aktuell lebendigsten und überraschendsten Kunstmusikform macht. Beim jungen Gitarristen Francesco Diodati an der Seite von Enrico Rava etwa, der unlängst beim Südtirol Jazzfestival in diversen Formationen für Furore sorgte. Und spätestens zum Schluss bei der französisch-japanischen Exzentrikerin Maïa Barouh.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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