Festival:Pilgerreise zu neuen Ufern

Orjazztra

Knüpft in einer Weltpremiere an die österreichische Big-Band-Tradition an: das Orjazztra Vienna.

(Foto: Lukas Beck)

Die 40. Ausgabe des Jazzfestivals Saalfelden lockt mit interessanten Spielorten und einem gewaltigen, teils kostenlosen Programm

Von Oliver Hochkeppel, München/Saalfelden

Ende August, wenn hierzulande die meisten schon lange im Urlaub sind, macht sich ein beachtliches Grüppchen auf ins nahe Salzburger Land, genauer gesagt nach Saalfelden. Gelockt werden sie vom dortigen Jazzfestival, und das schon seit geraumer Zeit: Die 40. Ausgabe feiert man dort heuer. Ein Drittel der Besucher (also eine vierstellige Zahl) kommen inzwischen aus Bayern, so die Erhebungen des Tourismusverbandes. Ein harter Kern davon stammt aus Dachau, und der beschloss seinerzeit, auf der Rückfahrt vom Festival 1999, zu Hause selbst einen Club zu gründen und Jazz zu veranstalten. Das war die Geburtsstunde des Dachauer Jazz e.V., heute eine überregionale Institution für Free Jazz und junge Avantgarde. Auch genießt kaum ein anderes ausländisches Festival in den Münchner Medien so viel Aufmerksamkeit wie das Saalfeldener. Das liegt neben der Sauren-Gurken-Zeit auch an der Nische, die sein Programm besetzt, kann man das Jazzfestival Saalfelden doch in zwei Epochen teilen: In das Zelt-Happening, bei dem vor allem die Heroen des Jazz-Mutterlandes USA präsentiert wurden, und in das 2006 im modernen Kongresszentrum neu gestartete Festival. Ersteres fand 2004 nämlich mit einem Finanzskandal ein krachendes Ende. Das neue, unter dem Intendanten Mario Steidl, einem gebürtiger Saalfeldener, setzt immer stärker auf das Innovative und Wilde aus Europa. So wurde es zu einem Leuchtturm, an dem sich inzwischen viele andere Festivals orientieren.

Auch beim Jubiläum geht Steidl weiter ins Risiko. Statt sich zur 40-Jahr-Feier mit Stars zu schmücken oder ein Best-of abzufeiern, holt er noch mehr exklusive Projekte und unbekannte Künstler. Dabei bringt er beides nicht nur verstärkt unters Fachpublikum, sondern auch unters Volk: Zu den gewohnten Spielorten - der Mainstage im "Congress", der "City Stage" daneben und dem Kunsthaus Nexus sowie einigen Almen, auf denen schon seit Längerem mit enormem Zuspruch musiziert wird - kommen heuer etliche neue: das alte Bezirksgericht, das Schlossmuseum, das Bildungszentrum, eine Buchbinderei, eine Buchhandlung, ein Restaurant und der Stadtpark. Es ist nicht nur der Versuch, aus dem Elfenbeinturm heraus- und in die Mitte der Bevölkerung hineinzukommen, sondern auch ein weiterer Schritt der Öffnung und Verjüngung: "In Zeiten der unbegrenzten digitalen Verfügbarkeit von Musik werden sich die Jüngeren sowie diejenigen, die sonst wenig Zugang zu Jazz und improvisierter Musik haben, auch kein vergünstigtes Ticket kaufen. Die können wir nur erreichen, wenn wir niederschwellige Angebote machen und in die Straßen, auf Plätze oder in außergewöhnliche Räume gehen", sagt Steidl.

Obendrein ergibt sich so die Möglichkeit, Projekte zu präsentieren, die schlecht auf die gewohnten Bühnen gepasst hätten. So ist das Programm gewaltig angewachsen, von bislang um die 40 auf über 70 Konzerte, davon 50 gratis. Zu sehen sind tatsächlich viele der "kreativen Protagonisten der aktuellen Szene", wie sie sich Steidl wünscht. Mit einem Schwerpunkt auf die Londoner Szene, was ebenfalls im Trend liegt: Von der Soul Queen Shirley Davis über das space-rockige Sextett Cykada oder das sich selbst als "Anti-Brexit-Punk-Jazz" beschreibende World Service Project bis zum neuen Duo des Saxofonisten Binker Golding mit dem Pianisten Elliot Galvin oder dem Debüt der Underground-Pianistin Sarah Tandy.

Auch andere vitale Szenen Europas sind vertreten, etwa mit dem französischen Geigen-Wirbelwind Theo Ceccaldi oder den slowenischen Jazz-Kabarettisten Grad Gori, und oft in internationalen Koalitionen: Zum Beispiel, wenn der deutsche Schlagzeuger Max Andrzejewski im französischen Trio Abacaxi oder sein Kollege Christian Lillinger im skandinavischen Quintett Koma Saxo spielt. Natürlich kommt wie gewohnt die boomende eigene, österreichische Szene nicht zu kurz. Von den Bass-Größen Lukas Kranzlbinder und Manu Mayr über den Trompeter Lorenz Raab, den Schlagzeuger Lukas König (sogar als artist in residence) oder die Sängerin Marina Zettl bis zu Christian Muthspiels 18-köpfigem, in die Fußstapfen des Vienna Art Orchestras tretendes Orjazztra Vienna ist enorm viel Vielseitiges am Start. Die wenigen großen Namen gehören lustigerweise Amerikanern: Neben der Flötistin Anna Webber sind das vor allem die Saxofonisten James Brandon Lewis und - das große Finale bestreitend - Joshua Redman. Alles freilich Vertreter der überschaubaren Spezies von US-Jazzern, deren Blick sich gerne nach Europa richtet. Zum Beispiel nach Saalfelden.

40. Jazzfestival Saalfelden, Donnerstag bis Sonntag, 22. bis 25. August, www.jazzsaalfelden.com

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