Festival:Neues probieren

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Der junge Geiger Emmanuel Tjeknavorian spielt am 19. Juli im Seeforum Rottach-Egern. (Foto: Uwe Arens)

Das Internationale Musikfest Kreuth kombiniert prominente Künstler mit innovativen Klassikkonzepten

Von Michael Stallknecht

Das Konzert am Freitag begann mit leichter Verspätung beim Internationalen Musikfest Kreuth, weil sich die Heizung auf Gut Kaltenbrunn in Gmund selbständig eingeschaltet hatte. Es muss sich um die Fehlleistung eines intelligenten Systems handeln, denn obwohl die Luft draußen nur leicht verregnet war in der prachtvollen Landschaft hoch über dem Tegernsee, konnte es den Hörern drinnen doch frostig werden. Der Bariton Benjamin Appl ging mit Franz Schuberts "Winterreise" in die innere Vereisung, dazu las der Schauspieler Harald Krassnitzer Aufzeichnungen von Beteiligten der österreich-ungarischen Nordpolexpedition, die bald nach dem Aufbruch 1872 im äußeren Eis stecken blieb. Nach zwei langen Wintern ohne jeden Sonnenstrahl entschlossen sich die anfangs 24, nach einem Todesfall 23 Männer zu einem verzweifelten Ausbruchsversuch, bevor sie von zwei russischen Schiffen gerettet wurden.

Der Abend ist ein Beispiel für die "neuen Klassikkonzepte", mit denen Helge Augstein, seit 2013 Programmverantwortlicher, das Musikfest Kreuth bereichert, das mit der aktuellen Ausgabe ins dreißigste Jahr geht. Gegründet vom Geiger Oleg Kagan nur kurze Zeit vor dessen frühem Tod, führte es lange seine Frau, die Cellistin Natalja Gutman, weiter. Seit ihrem Abschied hat der Trägerverein das fast ausschließlich privat finanzierte Festival generalüberholt, auch die Spielorte haben sich geändert. Dabei finden natürlich weiterhin Solo- und Kammermusikabende mit prominenten Musikern statt, so waren in den vergangenen Tagen bereits die Klarinettistin Sabine Meyer, der Geiger Frank Peter Zimmermann und der Pianist Jan Lisiecki zu Gast.

Doch auch der innovative Umgang mit der "Winterreise" wird zu einem sehr stringenten Abend, sobald man sich an die Unterbrechung nach jedem Lied gewöhnt hat. Denn in Krassnitzers intelligenter Textauswahl entstehen zahlreiche Querbezüge zwischen den Expeditionsteilnehmern und Schuberts Winterreisendem, auch wenn die ersteren verzweifelt an gewohnten Ritualen festzuhalten suchen, während letzterer letztlich die Selbstauflösung sucht. Benjamin Appl verdeutlicht das mit einer detailreichen Textausdeutung und einer für den Liedgesang ungewohnt großen dynamischen Bandbreite. Die Farben reichen vom Sprechgesang über die subtil eingesetzte Mezza voce bis zur großen Kraftentladung, wobei Appls Bariton zugleich rund und in den Lagen ausgeglichen bleibt. Eine ähnliche Mischung aus plastischem Spiel und klanglicher Ausgewogenheit erzielt sein Pianist James Baillieu.

Noch bis zum 21. Juli kann man weitere Veranstaltungen besuchen, unter anderen mit dem jungen Geiger Emmanuel Tjeknavorian und Miloš Karadaglić, der den ersten Gitarrensoloabend beim Musikfest geben wird.

Internationales Musikfest Kreuth am Tegernsee , bis 21. Juli, Programminfos unter www.musikfest-kreuth.de

© SZ vom 15.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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