Festival:Klangwolken über der Altstadt

Festival: Lichtgestalt aus Portugal: Der Schlagzeuger Pedro Melo Alves gehört zu den hoffnungsvollen Newcomern der Szene.

Lichtgestalt aus Portugal: Der Schlagzeuger Pedro Melo Alves gehört zu den hoffnungsvollen Newcomern der Szene.

(Foto: Joao Padua)

Lange war "Jazz & The City" ein lokales Ereignis. Unter der Leitung von Tina Heine hat sich die fünftägige Veranstaltung in Salzburg zu einem Treffen entwickelt, bei dem eifrig experimentiert wird - was auch die Münchner Szene schätzt

Von Oliver Hochkeppel

Es ist paradox: Noch nie gab es so viele hervorragende, den Genre-Begriff in alle Richtungen sprengende Jazzmusiker aus aller Welt, zugleich interessieren sich Markt und Medien immer weniger für sie. Jazzfestivals kommen so die Zugpferde abhanden. Umso mehr müssen sie ihre spezifischen Qualitäten hervorheben und thematisch arbeiten. Das "Jazz & The City"-Festival in Salzburg zeigt, wie es gehen könnte. In vier Jahren als Intendantin hat die Hamburgerin Tina Heine, die schon beim von ihr gegründeten "Elbjazz"-Festival den genius loci der Hafenstadt zum Alleinstellungsmerkmal machte, dem eher lokalen Ereignis in Salzburg großen Schwung verliehen und mehr und mehr Besucher auch aus dem nahen Bayern gelockt.

Heines Konzept ist es, "den Jazz dorthin zu bringen, wo die Menschen sind". Konsequent hat sie deshalb die Salzburger Altstadt zum Hauptdarsteller des Festivals gemacht, gibt es doch kaum eine Stadt, in der fußläufig so viele Orte für Live-Musik geeignet sind. Mehr als 50 Veranstaltungsorte, die meisten in einem Radius von ein paar hundert Metern, werden mit mehr als 100 Konzerten bespielt, von der "Szene" - dem eigentlichen Festivalzentrum - bis zum Mozarteum, oder dem Marmorsaal im Schloss Mirabell über das Café Tomaselli, die Kollegienkirche, das Afro Café (als Zentrum für afrikanische Interpreten) bis zu den Brauereigaststätten, Kinos, Galerien, Restaurants und Geschäften wie einer Schirmmanufaktur. Seit zwei Jahren ist auch der nicht in der Altstadt gelegene Jazzclub "Jazzit" dabei. Für Heine war es unvorstellbar, dass ausgerechnet die, die sich das ganze Jahr über um den Jazz kümmern, beim Festival außen vor bleiben. Heine will möglichst alle mit ins Boot holen, das Netzwerken samt entsprechender Konzepte war schon immer ihre Stärke.

Davon zeugt auch das 2017 eingeführte Rahmenprogramm "Out of the Box", bei dem sich Künstler und Fachleute aller Genres interdisziplinär mit dem Thema Stadt befassen. ",Jazz & The City' soll kein fünftägiges Jazz-Event sein, das kommt und dann wieder geht. Es soll auch Gedanken hinterlassen", sagt Heine. Den öffentlichen Raum erobern in diesem Geist auch zahlreiche "Blind Dates", bei denen die zumeist mehrere Tage anwesenden Musiker ad hoc zusammengespannt werden, Workshops, "Klangspaziergänge" und mobile Konzerte. Damit das alles auch das Publikum erreicht, hat "Jazz & The City" die derzeit wohl beste Festival-App entwickeln lassen, mit der jeder Besucher per Smartphone in Echtzeit informiert wird.

Last but not least braucht ein solches Festival auch die passenden Musiker. Heine verzichtet also auf das übliche Name-Dropping und setzt auf junge Abenteurer, auf unkonventionelle, zukunftsorientierte Jazzer. Davon gibt es, wie man bei "Jazz & The City" erleben kann, derzeit schon in Österreich selbst auffallend viele, der Pianist David Helbock, der Schlagzeug-Entertainer Lukas König, der Multiinstrumentalist Pepe Auer oder die Experimentalsängerin Maja Osojnik zum Beispiel, oder die Bands 5K HD, Hang Em High oder echo boomer. Dazu stoßen die besten jungen Wilden der europäischen Szene, aus Frankreich etwa der Geiger Theo Ceccaldi und der Schlagzeuger Edward Perraud, aus der Schweiz die Sängerinnen Elina Duni und Lucia Cadotsch, die Pianistin Marie Kruttli oder der Schlagzeuger Lukas Niggli, aus Portugal dessen neuer Jungstar Pedro Melo Alves, aus Skandinavien die Gitarristen Stian Westerhus und Jarmo Saari, aus Deutschland unter anderem Schlagzeuger Christopher Dell, die Saxofonisten Wanja Slavin und Daniel Erdmann, die Sängerin Almut Kühne und sogar das ehemalige Münchner Blues-Wunderkind Jesper Munk - fast alle spielen im Übrigen mit international besetzten Bands.

Die Fahne des Jazz-Mutterlandes USA schließlich halten unter anderen der neue Trompetenstar Theo Croker, Saxofonist James Brandon Lewis oder die Sängerinnen Somi und Mykia Jovan hoch. Für solche, die es traditioneller mögen, wird mit dem Klarinettisten Rolf Kühn dessen 90. Geburtstag gefeiert, mit Konzert und Dokumentarfilm. Und Opulenz bringt das belgische Groß-Ensemble Flat Earth Society ins Spiel, das - wie "Jazz & The City" selbst - auf sein 20-jähriges Bestehen zurückblickt.

So wird die ganze Salzburger Altstadt vom 16. bis zum 20. Oktober zur Klangwolke, Spielwiese und Begegnungsstätte. Die sonst Kultur eher auf "bewahrende Weise" (Heine) behandelnde Festspielstadt mutiert zum Soundlabor und Jazz-Zentrum auf Zeit, in dem Orte, Menschen und Musik zueinander finden.

20. Jazz & The City, Donnerstag bis Sonntag, 16. bis 20. Oktober, Salzburg, Altstadt, www.salzburg-altstadt.at

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