Festival in Venedig:Endlich Eros

Eine Gala mit zwei Legenden ihres Metiers und Antonionis Kunst als Schatten ihrer selbst - vor der Preisverleihung bei der Mostra.

Von Rainer Gansera

Die berühmtesten, meistzitierten Szenen der Filmgeschichte? Der wehmütige Flughafen-Abschied in "Casablanca" zählt dazu, auch Marilyn Monroes koketter Kampf mit ihrem Kleid am Lüftungsschacht der New Yorker U-Bahn in "The Seven Year Itch", und natürlich die Titelnummer aus Stanley Donens Musical "Singin' in the Rain". Wenn Gene Kelly seinen Regenschirm aufspannt und über die Bordsteinkante tanzt, geht die Sonne auf; da entfaltet das amerikanische Kino seine Magie und evoziert die beschwingteste Leichtigkeit des Seins.

So stehen bei der Preisverleihungs-Gala am Samstagabend im frisch restaurierten Teatro La Fenice erst mal zwei legendäre alte - gleichwohl immer noch aktive - Filmemacher auf der Bühne, der 80-jährige Stanley Donen und der 95-jährige Manoel de Oliveira, von Festivaldirektor Marco Müller für ihr Lebenswerk geehrt. Donen und Oliveira, der Amerikaner und der Portugiese, der Meister des amerikanischen Genrekinos - Komödie und Musical - und die Ikone des europäischen Autorenkinos.

Spektakel und Wahrheitssuche

Auf der Mostra fühlte man sich beiden stets verpflichtet, und am fruchtbarsten war es, wenn sie sich ineinander spiegelten - das hingebungsvoll ausgeübte Handwerk und das persönliche Bekenntnis, Spektakel und Wahrheitssuche.

Im Wettbewerb war die Kartenverteilung dieses Jahr eher undurchsichtig. Hoch gehandelt und im Kritikerspiegel vorne war Mike Leighs "Vera Drake" - ein konventionelles, hölzernes Abtreibungsproblem-Drama, das seine Heldin als Opfer der britischen Klassenjustiz hinstellt, und sich in selbstgerechter Betroffenheitserzeugung ergeht. Bei der Berlinale hatte die Jury es gewagt, keinen der üblichen Verdächtigen aus der Riege der altgedienten Festivalpreisabsahner - zu der auch Mike Leigh zählt - zu küren, sondern mit Fatih Akin einen jüngeren Filmemacher auszuzeichnen.

Für die Mostra müsste einer wie Todd Solondz mit seinem "Palindromes" diesen Part übernehmen, denn das war der stärkste, modernste Film des Wettbewerbs. Die italienische Presse versuchte dagegen, für Gianni Amelios "Le chiavi di casa" zu trommeln - eine Ich-habe-ein-furchtbar-schlechtes-Gewissen-Story von einem Vater, der seinen behinderten Sohn jahrelang verleugnete, die enttäuscht durch prätentiöse Rührseligkeit.

Auf gleicher Linie bewegt sich das anrührende Sterbehilfe-Melo "Mare dentro" des Spaniers Alejandro Amenábar, und auch Wim Wenders wurde mit "Land of Plenty" wohlwollend aufgenommen - er hatte 1982 für "Stand der Dinge" den Goldenen Löwen bekommen. Den Stanley-Donen-Part unter den Wettbewerbsfilmen hatte das Animations-Märchen des Japaners Hayao Miyazaki, "Howl's Moving Castle", dessen Fabulierlust etwas von jener Leichtigkeit des Seins bescherte, nach der man in den Wettbewerbsfilmen, die sich doch vornehmlich in den höllischen Abgründen und düsteren Randzonen der Existenz bewegten, immer sehnlicher Ausschau hielt.

Auch die letzten Wettbewerbsfilme brachten da nicht die erhoffte Erlösung, aber immerhin kam in ihnen hochrangiges Autorenkino zum Zug. Hou Hsiao-Hsien, Galionsfigur der taiwanesischen Nouvelle Vague, widmet seinen Film "Kohi Jikou" dem japanischen Meisterregisseur Yasujiro Ozu, erzählt demonstrativ unspektakulär von einer junge Frau, die schwanger von einer Reise zurückkehrt und nach einem Neuanfang in ihrem Leben suchen muss. Eine Meditation über die Schönheit des alltäglichen Lebensflusses, in dem sich alle dramatischen Zuspitzungen wie selbstverständlich auflösen.

Schade, dass die französische Regisseurin Claire Denis in ihrem "L'intrus" die Geschichte von einem herzkranken, zwielichtigen Vater, der nach seinem Sohn sucht, weniger erzählen als traumdurchwirkt verrätseln will. Denn ihre Bilder sind von außerordentlicher Vergegenwärtigungskraft. Die Kamera tastet die Körper derart innig ab, dass man die Figuren nie unter moralischer Perspektive taxiert - wie das allzu viele Wettbewerbsfilme nahelegten -, sondern immer nur das erotisch akzentuierte Körpermysterium bestaunt.

Soderberghs Capriccio

Vom Eros ist in dem außer Konkurrenz vorgeführten filmischen Triptychon namens "Eros", zu dem Michelangelo Antonioni, Steven Soderbergh und Wong Kar-Wai Beiträge liefern, kaum etwas zu spüren. Antonionis Kunst, mit der er vormals Hitze und Entfremdungskälte ineinander zu blenden verstand, wird da zum traurigen Schatten ihrer selbst. Soderberghs Beitrag erweist sich als hübsches Capriccio, bei dem der Traum von einer nackten Frau auf die Psychiater-Couch gelegt wird. Immerhin macht Wong Kar-Wais Melo von der unbedingten Liebe eines Schneiders zur unerreichbaren Frau seiner Träume schon in den Farben Eros spürbar.

Eine andere Sondervorführung bescherte reines Vergnügen: das furiose Pixar-Animationsspektakel "Shark Tale". Ein Panorama der amerikanischen Unter(wasser)welt, in dem alle Figuren stimmlich hochkarätig besetzt sind, zum Beispiel mit Will Smith, Robert De Niro, Angelina Jolie. Ein Feuerwerk irrwitziger Komik und herrlich prägnanter Parodie, bei dem gleich zu Beginn ein vegetarischer Hai einen ängstlich zappelnden Wurm vom Angelhaken befreit.

Ein starkes Finale, das in starkem Kontrast steht zu den Bildern, die sich die Woche über eingeprägt haben: dem Panorama der 12-jährigen Mädchen in "Palindromes", das uns zuflüstert, dass Kinder dazu da sind, geliebt zu werden. Dem Gesicht von François Ozons Hauptdarstellerin Valeria Bruni-Tedeschi in "5x2", zwischen Mädchenhaftigkeit und Verzweiflung. Schließlich den urbanen Amerika-Bildern bei Wenders, in denen beides zugleich aufscheint: die Sehnsucht nach Weite und der Kontrapunkt aus Angst und Paranoia.

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