Süddeutsche Zeitung

Festival:Der Wald im Oberstübchen

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Zum 18. Mal lockt das Medienkunstfestival "Lab 30" in das Augsburger Kulturhaus Abraxas. Zu sehen gibt es Projekte in der Entstehung, tourende Kunstwerke und allerhand kreative Kuriositäten

Von Bernadette Rauscher

Von allen Seiten ein Wummern und Surren, mechanisches Maschinenquietschen, irgendwo klackert eine Schreibmaschine. Ein Mann fährt auf einem weißen Gartenstuhl vorbei, große Kopfhörer auf den Ohren, sein Blick, konzentriert und ernst, verliert sich irgendwo im Nichts. Nebenan beschimpft die Stimme eines wütenden Donald Trump ein Glas Reis. Ja, es ist schon ein bisschen abgedreht, dieses "Lab 30".

Vor 16 Jahren nahm der Wunsch der örtlichen Kulturszene zum ersten Mal konkrete Formen an, in Augsburg einen Raum für experimentelle Kunst zu schaffen. Nun findet das Festival für Medienkunst bereits zum 18. Mal statt, wie stets im Kulturhaus Abraxas, und es soll vor allem eines: Brücken schlagen zwischen digitalen und analogen Medien und ausloten, was daraus an neuen Spielereien und Möglichkeiten entstehen kann. 100 Bewerbungen aus aller Welt hat es in diesem Jahr gegeben - 16 Exponate haben es in die Augsburger Ausstellung geschafft.

Der fahrende Gartenstuhl ist Teil des Werkes "The DIY-Experience". Der Künstler Alexander Buers sitzt lässig an seinem Laptop, er trägt ein gelbes T-Shirt und Turnschuhe, die braunen Locken zu einem Zopf gebunden. Die befahrbare Installation ist zugleich seine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Ein Werk, das man nur dann richtig begreifen kann, wenn man Teil davon wird: Der Gartenstuhl ist auf ein autonom fahrendes Gestell montiert, das ein bisschen aussieht wie ein Staubsaugerroboter. Mit Kopfhörern auf den Ohren kann die Reise beginnen, vorbei an einer sich um die eigene Achse drehenden Spüle, einer Modelleisenbahn oder einem mäßig aufgeblasenen, etwas traurig aussehenden Luftballon. Dazu gibt es Texte zu hören von Aristoteles bis Ulrike Schlüter rund um die großen Themen: Was ist Kunst? Und lohnt sich das Ganze überhaupt? "Gerade als freischaffender Künstler kommt man irgendwann nicht mehr an der Frage vorbei, inwiefern das eigene Schaffen eigentlich noch ökonomisch ist", erklärt Alexander Buers. Dabei hat der studierte Theaterwissenschaftler selbst seine Fragen und Gedanken in ein durchaus aufwendiges, humorvolles und selbstironisches Kunstwerk verpackt.

Man braucht schon ein gewisses Maß an Entdeckermut für diese Ausstellung, das weiß auch die Leiterin Barbara Friedrichs. Viele der Kunstwerke erschließen sich nicht unbedingt von selbst. Trotzdem bietet das "Lab 30" bewusst keine Führungen an. "Die Leute sollen sich die Werke selbst erarbeiten", sagt Friedrichs. Zu jedem Exponat gibt es einen kurzen Text als kleine Interpretationshilfe, sonst sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Und für Fragen aller Art stehen die Künstler während des Festivals persönlich bereit.

So auch Gor Margaryan. Eigentlich leitet der 36-Jährige die Medienwerkstatt der Muthesius Kunsthochschule in Kiel, heute ist er hier in Augsburg, im Dachboden, den er in einen "Medialen Wald" verwandelt hat. Ein Labyrinth aus Stoffvorhängen, auf die historische Aufnahmen eines Waldes in Schwarz-Weiß projiziert werden. In der Ecke: eine kleine Lichtung, ein Fuchsbaby liegt im Gras und gähnt. Pilze sprießen aus dem Boden. Die Luft ist frisch und feucht, man hört raschelndes Unterholz und Vogelzwitschern. Tonaufnahmen, Stoff und Beamer - mehr benötigt Gor Margaryan nicht, um unterm Dach des Kulturhauses einen mystischen Ort entstehen zu lassen, der den Besucher völlig zu verschlucken scheint. Einen kleinen Ort des Durchatmens über all den Eindrücken dieser vielseitigen Ausstellung. Das Besondere an diesem Exponat ist außerdem: Margaryan bewarb sich mit seinem Konzept, das Werk selbst entstand erst im Abraxas.

"Wir sind ein Experimentierraum", sagt Barbara Friedrichs. Ausprobieren, Ideen sammeln und weiterdenken, dabei vielleicht auch mal scheitern - für die Festivalleiterin macht gerade das den Charme des "Lab 30" aus. Einige der ausgestellten Projekte sind noch in der Entwicklungsphase, andere Exponate gingen bereits weltweit auf Tournee. Was allen Werken aber gemein ist: Die Künstler nutzen und reflektieren neue Medien - und greifen dabei stets auf analoge zurück.

Den "Lab 30 Award", den großen Preis des Festivals, wird schließlich Alexander Buers mit seiner "DIY-Experience" mit nach Hause nehmen. Und vielleicht liefert der Titel seiner Arbeit auch einen Hinweis auf die von ihm gestellten Fragen: Vielleicht findet Kunst ihren Ursprung auch einfach im Ausprobieren.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2019
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