Süddeutsche Zeitung

Festival:Alles jung macht der Mai

Der Jazz-Frühling Kempten ist kleiner und facettenreicher geworden

Von Oliver Hochkeppel, Kempten

Glück gehört auch dazu, zu einem erfolgreichen Festival. Hätte der Jazz-Frühling Kempten einen Tag früher begonnen, wären wohl nur ein paar Hartgesottene mit Skianzug auf dem malerischen Rathausplatz gestanden, um der Jazzspätzle Bigband und der französischen Fanfare Les Felins zu lauschen. Am Samstag freilich zeigte sich der Voralpenhimmel von seiner schönsten Seite, und so rekelte sich mancher im T-Shirt in der Menschenmenge. Mit Glück alleine kommt man freilich nicht ins 33. Jahr, dazu braucht es - zumindest im Jazz-Bereich - einen Stamm von Selbstausbeutern, die dahinter stehen.

In Kempten ist dies der Kleinkunstverein Klecks, den seinerzeit Hansjürg Hensler mit einigen Altersgenossen gegründet und dessen Kurs er Jahrzehnte lang bestimmt hat. Spätestens, als Hensler 2012 starb, musste man vieles auf den Prüfstand stellen. Zwar hatte Hensler selbst noch versucht, junge Kemptener Jazz-Musiker einzubinden, aber "als wir damals mit unserem Konzept ankamen, ist uns zunächst alles abgeschmettert worden", erzählt der Pianist Andreas Schütz, der inzwischen im Triumvirat mit Tiny Schmauch und Josef Ego das Programm gestaltet. Dementsprechend sieht sich der auch nicht mehr ganz junge Vereinsvorsitzende Gerhard Zipperlen eher als Mann des Übergangs und "den Abbau von Altlasten und die Verjüngung von Verein und Organisationsteam" als seine vorrangige Aufgabe. Es sei nicht einfach, junge Leute zur aktiven Mitarbeit zu bewegen, sagt die Kassiererin, Mädchen für alles und gute Seele des Jazz-Frühlings, Ursula Speiser: "Wir haben mehr als 400 Mitglieder, aber den Jazz-Frühling stemmen nur einige wenige."

Das Festival selbst freilich hat sich in den vergangenen Jahren bereits stark verjüngt. Wurde an dieser Stelle vor sechs Jahren noch festgestellt, der Kemptener Jazz-Frühling sei vom Engagement und der Atmosphäre her ein "kleines Burghausen", so gilt dies mittlerweile umso mehr für das Programm. Dem Programmchef Schütz geht es um die Vermittlung des zeitgemäßen Jazz, weniger um große Namen, "die wir uns sowieso nur punktuell leisten können." Von zeitweilig mehr als 100 Konzerten hat man auf gut 60 abgespeckt, diese dafür genrespezifisch und thematisch an den passenden Spielorten verdichtet.

Im Bluescafé im Stift laufen nun die dem Namen entsprechenden Acts (am kommenden Samstag zum Beispiel noch die Hamburger Blueslegende Abi Wallenstein mit Henry Heggen), im kleinen AÜW-Saal rein akustische "Jazz-Perlen" wie das grandiose neue Quartett Nautilus des Saxofonisten Hayden Chisholm. Seit drei Jahren hat man im Haus Hochland eine Reihe installiert, die aus den gängigen Jazz-Kategorien herausfällt. Die Soulsängerin Norisha Campbell zum Beispiel - bis 2016 noch Profi-Volleyballerin - gab dort am Sonntag mit ihrem vom Bassisten Harald Scharf komponierten Projekt ihr überzeugendes - und ausverkauftes - Debüt.

Relativ neu sind auch die "Klecks-Nights" mit Jam Sessions und Spätkonzerten im Künstlerhaus, zu denen jeder Besucher eines Konzerttickets vom selben Abend freien Eintritt hat. Seit vier Jahren gibt es die - ganz ähnlich wie der Burghauser Samstag mit "Jazz in der Altstadt" gelagerte - Jazz-Nacht, diesmal mit neun Konzerten an neun Spielstätten. Ebenso lange ist der Jazz-Frühling jetzt auch Austragungsort für den Nachwuchspreis der Landesarbeitsgemeinschaft Jazz (LAG), der sinnigerweise Hansjürg-Hensler-Preis heißt: Von den vier aus 21 ausgewählten Bands setzte sich am Ende der Münchner Trompeter Vincent Eberle mit seinem modernen Bebop-Quintett durch, nicht zuletzt dank seiner furiosen Rhythmusgruppe, die als Leo Betzl Trio bereits die erste Auflage des Preises gewonnen hatte.

Das Stadttheater mit dem wunderschönen großen Saal und dem kleinen "Theater oben", wo auch der Wettbewerb stattfand, hat endgültig das Kornhaus als Festivalmittelpunkt abgelöst. Erfreulich, dass nicht nur, aber eben auch dort die Konzerte gut angenommen wurden. So schon das Eröffnungskonzert mit dem kubanischen Holzblas-Star und launigen Conferencier Paquito D'Rivera, bei dem aber die franco-karibische Band Sakésho die Sensation war: Der New Yorker Andy Narrell spielt da Steel Drums wie ein Vibrafon - er hat das erfunden und ist immer noch einzigartig in der bunten Jazz-Szene. Eine Art Abschlusskonzert (auch wenn es am Sonntag noch zwei Matineen geben wird) und sicher ein Höhepunkt des Jazz-Frühlings dürfte dort am kommenden Samstag der Auftritt des inzwischen weltbekannten Allgäuer Trompeters und Jazz-Wilden Matthias Schriefl mit dem indischen Karnataka College of Percussion werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3490608
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.05.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.