Fernsehforschung:Seid ihr noch alle da?

TV-Serien werden nach dem Zuschauergeschmack korrigiert und Marktforschungslabore entscheiden, was uns gefällt. Was aber ist mit der Qualität?

Senta Krasser

In Lauf bei Nürnberg wird in diesen Tagen sehr genau hingeschaut, was vom Mainzer Lerchenberg aus täglich zur Kaffeezeit um Viertel nach vier ausgestrahlt wird. Seit Anfang März läuft im ZDF die neue Telenovela Alisa. Aber die Zuschauer lassen sich auf die romantische Verabredung am Nachmittag noch nicht so euphorisch ein, wie sie es beim Vorgängerformat taten. Dass der schwache Quotenstand nicht so bleibt, dazu könnte in Lauf das Marktforschungsinstitut Psyma beitragen.

Fernsehforschung: Lassen die Zuschauer Jeanette Biedermann in "Anna und die Liebe" in ihr Herz (und ihr Wohnzimmer)?

Lassen die Zuschauer Jeanette Biedermann in "Anna und die Liebe" in ihr Herz (und ihr Wohnzimmer)?

(Foto: Foto: dpa)

Psyma hat sich darauf spezialisiert zu erforschen, was Telenovela-Fans wollen. Das ZDF ist guter Psyma-Kunde, aber auch die anderen Telenovela-Verbreiter ARD (Sturm der Liebe) und Sat 1 (Anna und die Liebe).

Regelmäßig lassen die Sender ein Probepublikum befragen, sie greifen Kritik und Wünsche auf, erfahren, ob die Zuschauer das neue Liebespaar und die Hindernisse, die es nicht zueinander kommen lassen, faszinieren oder langweilen. Denn Handlung und Figuren in Telenovelas und TV-Serien lassen sich relativ kurzfristig nach dem Zuschauergeschmack korrigieren. Ein "Paradegenre" für Forscher nennt das Thomas Kolbeck, der bei Psyma das Fernsehen analysiert. Heike Hempel, die Alisa-verantwortliche ZDF-Hauptredakteurin, sagt: "Marktforschung ist für uns eine Möglichkeit der Qualitätssicherung, um zu erfahren: Sind die Zuschauer noch zufrieden?"

Vielleicht wird hier zwar Erfolg mit Qualität verwechselt, aber Kolbecks Arbeit und die anderer Forscher ist jedenfalls für die Fernsehmacher wichtig. Und sie ist mit der wachsenden Zahl von Sendern wichtiger geworden - als Stütze, um die eigenen Zuschauer zu halten und im besten Fall neue zu gewinnen.

Was in Amerika seit Jahrzehnten üblich ist, hat sich in Deutschland erst allmählich durchgesetzt: Es wird nicht mehr auf Verdacht drauflos gesendet. Kaum eine Talkshow, Telenovela, Doku-Soap, kaum ein Nachrichten- oder Boulevardmagazin geht heute auf Sendung, ohne dass sich große Sender und Nischenkanäle Zuschaueranalysen bei hoch spezialisierten Dienstleistern abholen.

Ein bis zwei Prozent der Produktionskosten für eine wöchentliche Serie mit 12 bis 14 Folgen stecken die Auftraggeber in einen Pilottest. An die 400 Institute bedienen Medien mit ausführlichen Umfrageergebnissen. Doch nur ein halbes Dutzend der Zahlenfabriken, darunter die Institute in Monheim am Rhein und in Lauf bei Nürnberg, hat sich derart auf die qualitative Medienforschung spezialisiert, dass ihre Expertise Gewicht hat.

Qualitativ forschen heißt: Redakteure und Programmchefs wollen nicht wissen, dass drei Prozent der Zuschauer die Hosenfarbe des Moderators nicht mochten - sondern warum. Kam der Moderator nicht sympathisch genug rüber? Wäre ein anderer geeigneter für das Format? Und warum schaut der Akademiker Dr. Müller nicht begeistert das neue Boulevardmagazin?

Alles Fragen, auf die das in deutschen Fußgängerzonen aufgeklaubte Probepublikum - Fans, Flanierer und Fernsehverweigerer - in Testlabors antworten soll. Im statistischen Sinn sind die Einlassungen nicht bevölkerungsrepräsentativ, doch für Psychologen sind die Antworten höchst interessant, weil sie auch den Zeitgeist wiedergeben. Sagten vor 15 Jahren noch die meisten Testerinnen Nein zu Boulevardmagazinen, geben sie heute zu: Ja, das brauche ich. Und wird eine Nachrichtensendung getestet, dann führen die Forscher Einzelgespräche ohnehin mit größter Vorsicht: Manche Eigeneinschätzung der Probanden ("Ohne News kann ich nicht leben") verliere im weiteren Frageverlauf schnell an Substanz, weiß Wolfgang Schlünzen vom Monheimer Institut.

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Wohin sich die Pupillen bewegen

Schlünzen und seine Konkurrenten kombinieren verfeinerte Fragenkataloge mit biometrischen Messungen; Goldmedia hat zum Beispiel den "Mental-Workload-Analyzer" entwickelt: Wohin sich Pupillen bewegen und wie schnell der Puls rast, kann Aufschluss geben über die emotionale und mentale Wirkung etwa von Kussszenen. Ob in einer Serie dann mehr geküsst wird, entscheidet trotzdem die verantwortliche Redaktion.

Bei all diesen Möglichkeiten genügt die pure Quote allein nicht mehr als tägliche Erfolgskontrolle. Zumal die Messmethoden des Monopolisten GfK in Nürnberg den Anforderungen der Realität hinterherhinken. Bei RTL in Köln zum Beispiel ärgert man sich, dass die Gesellschaft für Konsumforschung nicht erfasst, wie viele Menschen Deutschland sucht den Superstar außerhalb der TV-Ausstrahlung auch im Internet verfolgen.

Allein oder mit Freunden

Erfreut ist der Sender dagegen über die zusätzlichen Knöpfe, mit denen die GfK bis zum Juli die Fernbedienungen ihrer 5640 Panel-Haushalte ergänzen will. Über sie soll, was in England oder den USA längst Praxis ist, die "Gästenutzung" gemessen werden; dann wird offenbar, ob der Durchschnittszuschauer die RTL-Comedyserie Doctor's Diary lieber allein oder mit Freunden sieht.

Der Privatkanal am Rhein vertraut primär den Marktforschungsdiensten des Instituts Mediascore. Vor neun Jahren hat sich Christian Geyer, der einst die Medienforschungsabteilung bei RTL aufbaute, zusammen mit dem Kölner Universitätsprofessor Gary Bente selbständig gemacht - an ihrer Firma Mediascore ist die RTL Television GmbH allerdings zu 75 Prozent beteiligt; kein anderer Sender leistet sich ein eigenes Marktforschungsinstitut, was einiges aussagt über die Bedeutung, die RTL regelmäßigen Zuschaueranalysen beimisst.

Über seine Arbeit öffentlich sprechen mag Mediascore-Geschäftsführer Geyer nicht - Medienforschung ist exklusive Auftragsarbeit im Verborgenen, die keinem Konkurrenten nutzen soll. Mediascore ist eine ziemlich isolierte Insel der Bertelsmann-Gruppe, auch wenn sie nach außen gerne "Neutralität" betont. Dabei könnte Christian Geyer sicher sehr kompetent erzählen, wie das damals war, als RTL nach Abklingen der Tuttifrutti-Allesnichtsoder-Euphorie als einer der ersten TV-Sender in die qualitative Medienforschung investierte. Als der experimentierfreudige Privatsender zum Beispiel dem Monheimer Institut nur ein Wort hinwarf: "Frauengefängnis", und aus dem folgenden Gedankenaustausch zwischen Durchschnittssehern, Redakteuren und Produzenten schließlich die Knastserie Hinter Gittern entstand, die den Kölnern eine Dekade lang ordentliche Marktanteile garantierte.

Lust auf Humor

Medienforschung, erklärt RTL-Sprecher Christian Körner, könne helfen, die Stimmung der Zuschauer zu treffen: "Tests von Doctor's Diary hatten vorab ergeben, dass die Zuschauer Lust haben auf den Humor, der der Serie ihre besondere Farbe gibt." Die Krankenhausgeschichten um Gretchen Haase kamen denn auch bei Kritik wie Publikum hervorragend an.

Den Erfolg eines Formats exakt vorherzusehen, vermögen solche Vorabtests indes sicher nicht. Der Wettbewerb durch zeitgleich ausgestrahlte Programme auf anderen Sendern kann nicht simuliert werden. Und weil die Interviewten, wie Heike Hempel vom ZDF glaubt, nur einen Teil ihrer Zuschauerbedürfnisse preisgeben.

So kommt es, dass auch durchgetestete Formate spektakulär scheitern. Die auf acht Folgen begrenzte RTL-Serie Die Anwälte (die schließlich bei der ARD landete, wo sie noch schlechter lief) war so ein Beispiel. Gegen die Sat-1-Hochglanzkrimireihe Blackout gab es bereits in der Marktforschung Bedenken. Der frühere Sat-1-Chef Roger Schawinski beschreibt in seiner Abrechnung Die TV-Falle, wie ernüchternd Resultate aus Zuschauerinterviews für ein kreativ betriebenes Projekt sein können. Am ernüchterndsten war wohl, dass die Marktforschung am Ende recht behielt: Blackout - von der Kritik hochgelobt - floppte.

Forscher Schlünzen aus Monheim ist davon überzeugt, dass seine Arbeit die Flopgefahr minimieren kann. Aber ist risikoloses Programm auch gutes Programm? Ja, behauptet Schlünzen: "Würden sich die Sender mehr an uns orientieren, dann wäre das in Summe dienlich, das eine oder andere Problemchen zu beheben."

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