Fernsehfilm: "Mogadischu":Eine Opfersicht

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Argument für Qualitätsfernsehen: Die ARD zeigt mit "Mogadischu" eine sehr gelungene fiktionale Umsetzung der Geschehnisse um die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut.

Christopher Keil

Anfang Oktober 1987 stand in der Süddeutschen Zeitung eine Buchkritik mit dem Titel: "Mit den Augen eines Terroropfers". Es ging um einen in sechs Sprachen übersetzten Bestseller, den Friedrich Christian Delius zehn Jahre nach der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut durch palästinensische Terroristen geschrieben hatte.

Flugzeug-Kapitän Schumann (Thomas Kretschmann) wird bedroht - und später von den Entführern ermordet. (Foto: Foto: ARD Degeto/Stephan Rabold)

Der in Rom lebende deutsche Schriftsteller lässt eine fiktive Figur - die junge Biologin Andrea Boländer, die auf ihrem Fensterplatz Reihe 10 im Zentrum der Erpressung sitzt - sich noch einmal an die kaum beschreibliche, fünftägige Quälerei von Passagieren und Besatzung erinnern. Sein Konzept war eine durch historische Fakten gestützte und zugespitzte Fiktion dessen, was die Opfer erlitten. Es war die Opfersicht.

Fiktionale Umsetzung

Nun, 21 Jahre später, 30 Jahre nach dem deutschen Herbst und elf Jahre nach dem sehenswerten Fernsehspiel "Todesspiel" von 1997 zeigt die ARD an diesem Sonntag "Mogadischu".

Nico Hofmann, 48, der das immer noch sehr gegenwärtige Stück Zeitgeschichte mit Gabriela Sperl und Jürgen Schuster produziert hat, sagt: "Mogadischu ist die erste rein fiktionale Umsetzung der Geschehnisse um die Entführung der Lufthansamaschine Landshut."

Das ist also, streng genommen, falsch. Aber Hofmann, der sich mit seinem Unternehmen Teamworx auf die Herstellung von Ereignisfilmen spezialisiert hat seit 1999 (Der Tunnel/Sat 1, Dresden/ZDF, Die Flucht/ARD), meinte natürlich die filmische Umsetzung.

"Todesspiel" war damals eines der ersten Biopics - eine gespielte Dokumentation. Heinrich Breloer fasste das die BRD und die Demokratie tief verunsichernde Terrorjahr 1977 zusammen mit seinem blutigen Ende: Befreiung der Landshut durch die GSG 9, Selbstmord der RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stammheim, Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.

Ein toter Held

Was sich die ARD jetzt ins Programm holt, könnte ihren Intendanten als Argument für Qualitätsfernsehen dienen - sofern sie eine Debatte über Qualität einmal ehrlich führen wollten. Mit "Mogadischu" schwingt sich das fiktionale Angebot von ARD und ZDF zu neuer Höhe auf. Die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems wird deshalb auch ein bisschen beeinflusst werden davon, ob das gebührenfinanzierte Fernsehspiel sich auf dieser Höhe etablieren kann.

"Mogadischu" ist ein handwerklich und schauspielerisch beeindruckender Film, ausnahmslos. Das liegt zunächst an der für eine Fiktion unschlagbaren dramaturgischen Konstellation.

Es gibt einen toten Helden, den von den Entführern liquidierten Kapitän Jürgen Schumann, dem "Mogadischu" gewidmet wurde. Es gibt lebende Helden, also im Grunde alle Überlebenden, angefangen beim Co-Piloten Jürgen Vietor und der Stewardess Gabi Dillmann bis zu den Passagieren an Bord. Es gibt ein klassisches Happy End, die erste geglückte Geiselbefreiung aus einem Linienjet, bei der ausschließlich Entführer getötet wurden.

Und mit den Tätern muss niemand Mitleid haben. Der Zuschauer hat während der 107 Minuten nicht nur das Glück, dass er den Verlauf kennt und damit einzuschätzen weiß, was ihn erwartet, er kann auch seine Gefühle eindeutig allen Personen zuweisen und gerät nie aus der Balance.

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Weil die Geschichte viel mehr Raum beansprucht, als ein normales Drehbuch füllen kann, geht es nebenbei auch um einen moralisch denkenden, in letzter Konsequenz immer zuerst den Staat schützenden Politiker: den von Christian Berkel mit einer passenden Mischung aus Nähe zur geschichtlichen Person und Distanz interpretierten SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Schmidt ist in seiner preußischen Tugendhaftigkeit, in seinem Gottvertrauen, seiner Selbstdisziplin und beklemmenden Machtlosigkeit die Verkörperung der bundesrepublikanischen Gesellschaft dieses Augenblicks.

Es wird entsetzlich viel geraucht in diesem Film, es sieht sehr nach 1977 aus. Und weil es ein ARD-Projekt ist, weil das ARD-Stammpublikum zwischen 45 und 80 Jahren die beispiellose Odyssee von Flug LH 181 in seinem kollektiven Gedächtnis verwahrt, weil ein "Tatort"-Sendeplatz zur Verfügung steht und weil der Regisseur Roland Suso Richter seine vielleicht beste Arbeit abgeliefert hat, wird "Mogadischu" sehr wahrscheinlich auch ein in Quoten messbarer Erfolg werden.

Verbrüderung mit der Biographie

Von einem Regisseur wird man nie hören, dass der aktuelle Film sein bester sei. Das schlösse die bisherigen Leistungen aus. Regisseure wie Suso Richter, die so analytisch über Film sprechen können, die so präzise das Zusammenwirken vager Faktoren wie Licht, Schatten, Bewegung deuten, sehen sich mit jeder Arbeit nur immer an einem bestimmten Punkt ihres Weges.

Für Suso Richter, 47, ist "Mogadischu" die Chance gewesen, sich mit der eigenen Biografie zu verbrüdern. Als 18-Jähriger hat er die Rasterfahndung und Polizisten mit Maschinenpistolen bei den Kontrollen erlebt. Seine Mutter war an der Universität Marburg tätig. Er ging - obwohl noch Schüler - 1977 in die Mensa zum Essen, hörte den Studenten zu.

Andererseits erkannte er in dem Projekt die seltene Möglichkeit einer überwiegend auf den Innenraum einer Röhre reduzierten strengen Inszenierung. "Die Leute bekommen mehr als ein Spiel", sagt er. So versuchte er es bei allen seinen historischen Stoffen, bei "Dresden", der "Bubi-Scholz-Story", im "Tunnel" und "Mogadischu".

Er ließ die 40 Jahre alte, originalgetreue Boing 737 während der Dreharbeiten in Casablanca nie lüften. Bald stank es, alle schwitzen, der Zigarettenqualm lag schwer in der dicken Luft. Die Komparsen für die Passagiere wussten nie, wann welche Szene gedreht wurde. "Niemand war sicher", sagt Suso Richter, "dass er nicht im nächsten Augenblick in etwas hineingezogen wird." So war es in der Landshut, in der die Palästinenser ständig mit Hinrichtung drohten. "Es ging mir um den Schrecken."

Ein Regisseursfilm

In "Dresden" wollte Suso Richter das apokalyptische Bombardement spürbar machen, in "Mogadischu" Todesangst in einer klaustrophobischen Situation.

Mogadischu" ist ein Regisseursfilm, der aber niemanden klein macht. Gedreht wurde ausschließlich mit Handkamera - viel Zoom, viele Schwenks, viele Richtungswechsel. Das Meiste spielt sich in der Halbtotalen ab, in den Gesichtern von Thomas Kretschmann (Schumann), Nadja Uhl (Dillmann), Simon Verhoeven (Vietor), allen anderen und im Gesicht des spektakulären Said Taghmaoui (Mahmut).

Suso Richter lenkt den Machtkampf zwischen Kapitän Schumann und Terroristenführer Mahmud mit Hilfe der Kunst und des Egos der Schauspieler, mit Hilfe seines Kameramanns Holly Fink und des Rhythmusgefühls seines Cutters Bernd Schlegel.

"Ich bin ein Jäger und Sammler", sagt Suso Richter, der verhinderte, dass die ARD die englischen und arabischen Dialoge und Kommandos synchronisierte. "Ich bin auf der Suche nach den richtigen Momenten." Dieses Mal hat er sie gefunden.

Mogadischu, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 28.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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