Fernsehen und Digital:"Der publizistische Kern ist bedroht"

In der Diskussion um Fernsehen und Internet spricht ZDF-Intendant Markus Schächter über die digitale Zukunft und journalistische Verantwortung.

Interview: Christopher Keil

SZ: Herr Schächter, Sie sind gerade als Mitglied der Wirtschaftsdelegation von einer Indienreise mit der Bundeskanzlerin zurückgekehrt. Weiß Angela Merkel jetzt, was ein Public Value Test ist und wie man ihn anwendet?

Fernsehen und Digital: ZDF-Intendant Markus Schächter: "Die Privaten werden ihrer publizistischen Aufgabe immer weniger gerecht".

ZDF-Intendant Markus Schächter: "Die Privaten werden ihrer publizistischen Aufgabe immer weniger gerecht".

(Foto: Foto: ddp)

Markus Schächter: Wenn die Bundeskanzlerin über die deutsche Medienlandschaft sprechen will, sucht und findet sie Gelegenheit, das hier im Land zu tun.

SZ: Also, wofür braucht man den Public Value Test demnächst?

Schächter: Mit diesem Drei-Stufen-Test sollen neue digitale Programme und Online-Projekte auf ihren öffentlich-rechtlichen Charakter geprüft werden. Wir dürfen uns zwar im Netz entwickeln, müssen aber immer unserem Auftrag gerecht werden. In einen Wettbewerb mit denen, die sich ökonomisch bewähren müssen, treten wir deshalb nicht.

SZ: Die Vorbehalte kommerzieller Fernsehveranstalter haben konkret mit der Finanzkraft des gebührenfinanzierten Systems zu tun.

Schächter: Auch deshalb haben sich ARD und ZDF bereiterklärt, schon vor der Verabschiedung des 11. Rundfunkstaatsvertrages ein Verfahren zu etablieren, das neue digitale Projekte einer entsprechenden Überprüfung unterzieht.

SZ: Dabei handelt es sich um Vorgaben der EU-Kommission, in denen der Drei-Stufen-Test zentraler Bestandteil ist. Die Gremien sollen den Ausbau der öffentlich-rechtlichen Sender überwachen und einzelne Schritte genehmigen.

Schächter: Geprüft wird, ob neue Angebote dem Auftrag entsprechen, wie sie sich auf dem Markt verhalten, ob die Finanzierung sichergestellt ist. Auch Dritte werden die Möglichkeit erhalten, ihre Position darzustellen. All dies fließt in den Genehmigungsprozess ein.

SZ: Der VPRT, die Interessengemeinschaft Privater Rundfunkanbieter, fordert, dass ARD und ZDF ihre digitalen Angebote nicht über Gebühren finanzieren dürfen, außerdem seien die Privaten nicht ausreichend über den Ausbau der sogenannten Info-Kanäle von ARD und ZDF informiert worden.

Schächter: Der VPRT kann nicht die letzten 400 Jahre medienrechtlicher Selbstverständlichkeiten einer neuerlichen Überprüfung anheimstellen. ZDFinfo gibt es seit zehn Jahren. Seine Entwicklung ist mit den Gremien abgestimmt. Im Übrigen haben wir uns nicht an Wünschen des VPRT zu orientieren, sondern am Text des Kommissions-Briefes vom 26.April. Das Drei-Stufen-Verfahren wird im Moment in den Ausschüssen der Gremien diskutiert. In der Sitzung des ZDF-Fernsehrates am 7. Dezember soll es verabschiedet werden.

SZ: Sie wollen demnächst den Theater-Kanal ausbauen. Wie sähe an diesem Beispiel der Drei-Stufen-Test aus?

Schächter: Das wäre mir neu. Aber nehmen wir's ruhig mal als hypothetischen Fall. Das ZDF würde den Fernsehrat über eine Neuausrichtung des Kanals informieren und beschreiben, was geplant wäre. Der Fernsehrat würde sich damit befassen und feststellen, dass das Projekt ein Fall für das Drei-Stufen-Verfahren wäre. Er würde die Informationen darüber veröffentlichen, etwa im Internet, sodass Dritte, also auch andere Anbieter von Kulturkanälen, den Fall beurteilen können. Diese können Stellungnahmen einreichen, die Eingang in das Verfahren finden. Am Ende prüft und entscheidet der Fernsehrat.

SZ: Ist die öffentlich-rechtliche Gremienstruktur überhaupt in der Lage, so einen komplexen Prozess zu steuern?

Schächter: Der ZDF-Fernsehrat kann das. Er hat ein solches Verfahren in Bezug auf die digitalen Entwicklungen der vergangenen Jahre schon antizipiert. Er wird sich weiter professionalisieren.

Auf der nächsten Seite: Vorwürfe an die Privaten und ein Kompliment an die ARD.

"Der publizistische Kern ist bedroht"

SZ: Verstehen Sie die Ängste der Privaten vor den Milliarden der Öffentlich-Rechtlichen in einer sich rasant verändernden Medienwirtschaft?

Schächter: Nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk bedroht die Privaten, sondern die eigene neue Geschäftspolitik der Privaten. Wer seine Renditeerwartung von 20 auf 30 Prozent erhöht, der gefährdet den publizistischen Kern privater Medienunternehmen und will mit der Kritik an uns davon nur ablenken.

SZ: Sie beziehen sich auf den Rendite-Fall Pro Sieben Sat 1. Die Sendergruppe wurde im Sommer von Finanzinvestoren erworben. Ist RTL berechenbarer?

Schächter: RTL ist zur Zeit deutlich der kompetitivere Partner.

SZ: Gerät das duale System, das Miteinander von öffentlich-rechtlichem und kommerziellem Rundfunk, durch die Digitalisierung unter Druck?

Schächter: Die Privaten werden ihrer publizistischen Aufgabe immer weniger gerecht und sehen sich zunehmend nur noch als Werbezeitenvermarkter. Daraus ergibt sich im Leitmedium Fernsehen eine gestiegene Bedeutung der Öffentlich-Rechtlichen. Da hat es schon etwas, dass gerade in dieser Situation die Privaten nach einer Beteiligung an der Rundfunkgebühr rufen. Ich freue mich jetzt schon auf den Public-Value-Test für 9 Live. Die Globalisierung und Vernetzung machen die Welt komplizierter und unübersichtlicher. Journalistische Qualität, Vielfalt und Unabhängigkeit werden immer wichtiger. Ein Ausfall der Privaten wäre uns allerdings nicht recht.

SZ: Gehört Handy-TV zum öffentlich-rechtlichen Auftrag? ARD und ZDF werden jeweils zwei Kanäle im DVB-H-Standard (digitale terrestrische Verbreitung) zugewiesen bekommen.

Schächter: Handy-TV ist - wie der Name sagt - Fernsehen und damit natürlich unser Auftrag. Wir werden dort mit dem Hauptprogramm und mit unserem Info-Kanal dabei sein. Wir waren schon beim DMB-Start, der Pionier-Handy Plattform, pünktlich zur WM 2006 dabei. Im nächsten Jahr wird mit DVB-H ein weiterer Standard etabliert, mit mehr Kanälen und größerer Reichweite. Die EM 2008 wird dort live zu sehen sein und acht Wochen später die Olympischen Spiele, unverschlüsselt und kostenfrei.

SZ: Ihr Partner ARD ist auch Ihr Konkurrent. Während Sie mit Programmdirektor Thomas Bellut eine strukturelle Programmreform organisierten, betrieb die ARD eine Programmreform der Köpfe: Pocher, Schmidt, Anne Will, Frank Plasberg, bald mehr Pilawa, Delling und Schöneberger in Dritten Programmen. Ärgert Sie der finanzielle Vorsprung des Ersten, mit dem so Personal- und Quotenpolitik gemacht werden kann?

Schächter: Kompliment an die ARD. Aus der Not, der Absage von Sabine Christiansen, haben sie eine Tugend gemacht. Da wir kein Köpfe-Problem hatten, mussten wir keines lösen. Wir sind mit Claus Kleber, Maybrit Illner, Steffen Seibert, Theo Koll, Marietta Slomka, Johannes Kerner bestens aufgestellt.

SZ: Ein anderer Kopf, Leo Kirch, ist als Vermarkter nahezu aller TV-Rechte der Fußball-Bundesliga wieder aufgetaucht. Dagmar Brandenstein soll im Februar für Kirch und die Deutsche Fußball Liga (DFL) die Pakete ausschreiben. Brandenstein war bei der ARD/ZDF-Agentur SportA. Ihr Vertrag läuft bis Ende Mai 2008. Wird sie vorher freigestellt?

Schächter: Bis dato gilt das Votum des Aufsichtsratsvorsitzenden der SportA (BR-Intendant Thomas Gruber, d. Red.), der zu Protokoll gegeben hat, dass sie einen Wettbewerbsausschluss hat. Im Dezember gibt es die nächste Aufsichtsratssitzung, da können neue Anträge eingereicht werden.

SZ: Hoffen Sie eigentlich auf ein so attraktives Pay-TV-Angebot, dass die Free-TV-Ausstrahlung der Samstagspiele auf 22 Uhr zurückfällt, die ARD-Sportschau kippt und das ZDF-Sportstudio aufgewertet wird?

Schächter: Wir stehen an der Biegung des Flusses und schauen, was vorbei kommt. Ein 22-Uhr-Modell für die Bundesliga steht keineswegs oben auf meiner Liste. Es stehen im nächsten Jahr auch noch andere interessante Themen an - Länderspiele, Pokalspiele, Uefa-Pokal zum Beispiel.

Markus Schächter machte seit 1981 beim ZDF Karriere, ehe er 2002 zum Intendanten gewählt wurde. Inzwischen ist er vorzeitig bis 2012 im höchsten Manageramt des Senders bestätigt worden. Die ersten fünf Jahre habe er finanzielle Konsolidierung betrieben und eine offene interne Kommunikationskultur etabliert. Nun will er die Transformation in die digitale Programmwelt organisieren. Schächter glaubt, dass das ZDF als kleine Anstalt schneller als die anderen ins digitale Netz müsse - um Aufmerksamkeit zu bekommen. In die Online-Aktivitäten sollen dabei nicht mehr als 0,75 Prozent des ZDF-Gesamtetats von knapp zwei Milliarden Euro investiert werden. Die Mediathek allein kostet jährlich 4,5 Millionen.

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