Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:"Du, wir haben schon einen Schwarzen"

Für Schauspieler mit Migrationshintergrund bleiben in Film und Fernsehen oft nur Klischeerollen - warum? Eine beeindruckende Dokumentation fragt nach.

Von Kristian Meyer

Mal angenommen, dass deutsche Film- und Fernsehmacher vor allem in den Großstädten und Metropolen dieser Republik leben - was sehen sie, wenn sie sich in ihrer Lebenswirklichkeit umschauen? Sitzen da auch mal türkischstämmige Germanistik-Studentinnen auf den Holzbänken der Uni Heidelberg? Werden sie vielleicht von einer Ärztin mit iranischem Nachnamen behandelt im Hamburger Schanzenviertel? Berät sie mal ein Münchner Anwalt, dessen Eltern einst aus Bosnien in die bayrische Landeshauptstadt geflohen sind?

Beim Blick auf aktuelle deutsche Filme und Serien hat man aber auch im Jahr 2020 eher den Eindruck, dass es in der migrantischen Nachbarschaft der Filmschaffenden nur so wimmelt von Drogendealern und Gemüsehändlern. Oder von Kopftuchmädchen, die auf der Flucht sind, vor Krieg, Zwangsheirat oder sonstigen Widrigkeiten. Und in der Deutschen liebstem Krimi, dem Tatort, haben immer noch nur sieben von 47 Ermittlern einen sichtbaren Migrationshintergrund, bei einem Bevölkerungsanteil von rund 25 Prozent, in den Tatort-Großstädten oft sogar deutlich mehr. Darauf angesprochen verweist die ARD-Pressestelle auf die Redaktionen und deren Besetzungsentscheidungen.

Aber das Problem ist bei den Sendern bekannt. Das ZDF nennt eine ganze Reihe von Produktionen, in denen mittlerweile Menschen mit Migrationshintergrund in Rollen fernab von Klischees zu sehen sind. Darunter Minh-Khai Phan-Thi, deren Eltern aus Vietnam stammen, als Ermittlerin in Nachtschicht oder Renan Demirkan, die als Siebenjährige aus der Türkei nach Deutschland zog, als Professorin in Dr. Klein.

Im Theater geht, was in Film und Fernsehen noch eine Seltenheit ist

Gerade lief auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine erhellende Doku zum Thema: Kino Kanak. Warum der deutsche Film Migranten braucht. Also tut sich nicht doch etwas? "Seit Jahren höre ich das immer wieder: Es tut sich doch was." Beim letzten Satz wackelt Pierre Sanoussi-Bliss genervt mit dem Kopf und seine ohnehin schon raumfüllende Stimme wird noch lauter als üblich: "Gar nix tut sich. Das deutsche Fernsehen ist wie mit Persil gewaschen - rein weiß. Mit ein paar Farbtupfern vielleicht." Den meisten Menschen dürfte Sanoussi-Bliss als ehemaliger Sidekick des Alten ein Begriff sein. 18 Jahre lang ermittelte er an dessen Seite, bis er 2015 durch Stephanie Stumph ersetzt wurde, eine junge weiße Frau.

Für seine Rolle eines Münchner Ermittlers spielte die afrikanische Herkunft eines Elternteils keine Rolle. Und auch im Theater spielt er bisweilen Rollen, die so gar nicht schwarz konnotiert sind, in der Saison 2019 etwa den Götz von Berlichingen in Jagsthausen. Aber in Film und Fernsehen? Da sei er sonst leider ständig Rassismus begegnet. Einmal habe er eine Rolle nicht bekommen. "Du, wir haben schon einen Schwarzen", sei die Begründung gewesen, erzählt Sanoussi-Bliss. "Als ob man uns dann nicht auseinanderhalten könnte." Das andere Mal habe er, der gebürtige Berliner, für eine ZDF-Produktion mit irgendeinem exotisch klingenden Akzent sprechen sollen und sich geweigert.

Als Kompromiss sei ihm dann ein erklärender Satz ins Drehbuch geschrieben worden: Seine Figur habe in Deutschland Germanistik studiert. "Damit das Publikum auch versteht, warum der Schwarze so gut Deutsch spricht." Dabei ist Sanoussi-Bliss, der die Schauspielschule Ernst Busch absolvierte und mit Doris Dörrie arbeitete, aber nun seit mehr als fünf Jahren keinen Drehtag hatte, fest davon überzeugt, dass es eben nicht am Publikum liegt: "Das ist deutlich weiter als die Herrschaften am Mainzer Lerchenberg." Als Beispiel nennt er Ziemlich beste Freunde, den französischen Kinoerfolg um einen Rollstuhlfahrer und seinen schwarzen Pfleger, der auch in Deutschland Millionen Zuschauer anlockte. Der Blick über die Grenze indes zeigt: Mangelnde Diversität ist kein rein deutsches Problem. Bei den BAFTA-Verleihungen nutzte Joaquin Phoenix seine Preisrede als bester Darsteller und klagte über die weiße Auswahl der Nominierten. Auch bei den Oscars war in den Redebeiträgen in Dauerschleife der Refrain zu hören: mehr Frauen, mehr People of Color, mehr Diversität! Und die ehemalige Kolonialmacht Frankreich? Auch dort tat sich erst vergangenes Jahr ein Schauspielerkollektiv zusammen. Der Name: Noire n'est pas mon métier - Schwarz sein ist nicht mein Beruf.

Benita Sarah Bailey verwaltet mit anderen die Facebook-Gruppe "Schwarze Filmschaffende". Die deutsch-äthiopische Schauspielerin aus Rudolstadt in Thüringen berichtet von ähnlichen Problemen wie ihr Kollege Sanoussi-Bliss. Immer wieder würden sie für stereotype Rollen gecastet. "Oftmals sprechen wir in diesen Rollen gebrochenes Deutsch, Englisch oder irgendeine afrikanische Sprache." Und dieses Material fände sich dann auch in den "Showreels", den Bewerbungsvideos auf den Agenturseiten wieder. "Und dann werden wir wieder für genau die gleichen klischeehaften Rollen besetzt. Das ist ein Teufelskreis, aus dem gilt es auszubrechen."

Manchmal würde Sinem Süle einfach gerne eine junge Frau spielen

Es müsse sich dringend strukturell etwas verändern, auf allen Entscheiderebenen. Seien es Regisseure, Produzenten, Redakteure. Oder bei den Mitgliedern der Deutschen Filmakademie - sechs von 2000 hätten afrikanische Wurzeln. Immerhin, es gebe mittlerweile Bemühungen aus der Community, das Problem selbst anzugehen. Gerade erst hätten sie die Filmakademie darauf aufmerksam gemacht, dass die gesamte Vorauswahl-Jury für den Filmpreis weiß sei, und Gegenvorschläge gemacht. Darunter Tyron Ricketts, der mit seiner Produktionsfirma immer wieder versuche, People of Color ins Kino zu bringen. Nun soll es bald Gespräche geben.

"Klar tut sich etwas", sagt Sinem Süle. "Aber es geht so unendlich langsam." Die Deutschtürkin stammt "von der Insel", wie sie sagt, also von Sylt. Immer noch kämen von ihrer Agentur vor allem Angebote für muslimische Frauen, meist in der Opferrolle. "Klar kann ich das bedienen. Und kann mich auch damit identifizieren, weil es mir vertraut ist." Aber manchmal würde sie auch einfach gerne eine normale junge Frau spielen, ohne dass erklärt werden muss, warum sie so aussieht, was sie hierhergebracht hat. Vergangenes Jahr spielte sie in einem türkischen Agentenfilm mit. Ihre Rolle: Helga, die deutsche Frau eines Nazioffiziers. Wieder so ein Klischee. Süle ist Schauspielerin geworden, weil es ihr an migrantischen Vorbildern mangelte. Das Fernsehprogramm ihrer Kindheit? Darin habe sie sich einfach nicht wiedergefunden.

Die Doku Kino Kanak fragt auch: Wenn ein so hoher Anteil der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, warum werden die Bedürfnisse dieser Zuschauer nicht bedient? Zumal in Zeiten, in denen manche nicht-migrantische Jugendliche lieber das türkische "Çüş" nutzen statt "krass". Oder statt "Beeil dich!" oder "Pack mer's!" auch mal das arabische "Yalla!" verwenden? Amerikanische Netflix-Produktionen hätten dies für ihren Markt begriffen, so die Doku.

Der Schauspieler Mehmet Ateşçi zweifelt das für den deutschen Markt an. Im Streaming gebe es nach seiner Beobachtung zwei Schienen: Entweder historische Serien wie Babylon Berlin. Oder die Gangsterschiene wie in Skylines oder 4 Blocks. "Spätestens seit Fatih Akin gibt es einen Bereich, in dem man sich bewegen soll." Da greife dann das pure Klischee. Und wenn man diese Stereotype nicht erfülle, sei es schwierig mit den Rollenangeboten.

Dabei hatte der Hamburger Filmemacher in den Neunzigerjahren mit einigen anderen erstmals eine eigene migrantische Stimme auf den Markt gebracht. Aber nach der Fatih-Akin-Phase in den Neunzigern kamen erfolgreiche Komödien wie Türkisch für Anfänger auf den Markt. Seither scheint Klamauk der beliebteste Zugang zum Thema zu sein.

Die Soziologin Prof. Marianne Pieper von der Uni Hamburg hält wenig von solchen Zugängen: "Auch karikierende Darstellungen schreiben die Differenz immer wieder ein." Es gehe aber um das "Selbstverständlich-Werden". Ihrer Einschätzung nach werde immer noch nicht genug getan in der medialen Darstellung, und stereotype Darstellungen würden immer wieder reproduziert. Immerhin die "Farbtupfer", wie Pierre Sanoussi-Bliss sie nennt, würden peu à peu mehr. Und das Bewusstsein für das Thema wächst. Yalla, Deutschland!

Kino Kanak - Warum der deutsche Film Migranten braucht. Abrufbar bei 3sat.de

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4802057
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.