Fernando Aramburu: "Reise mit Clara durch Deutschland":Graues Land am Meer

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"Und dann, wirklich erst dann, richtete ich meinen Blick in die Tiefen des Abgrunds": Fernando Aramburus Erzähler reagiert stark und schwach auf das romantische Deutschland. (Foto: Thomas Koehler/imago/photothek)

An diesem Roman über eine Reise durch Deutschland hat der spanische Schriftsteller Fernando Aramburu seinen moralischen Kompass geeicht für ein größeres Werk.

Von Karin Janker

Klar kann man auch ein Buch über "die deutsche Seele" (Thea Dorn) schreiben oder eines über eine Wanderung durch den Harz (Heinrich Heine). Aber Deutschland auf diese Weise zu ergründen, ist auch wieder etwas sehr Deutsches. Dann gibt es da noch akribisch recherchierte Fachbücher über die bundesrepublikanische Gesellschaft oder Bücher, die Klischees über Deutschland zusammentragen und lustig sein wollen (ebenfalls ziemlich Deutsch). Nichts davon wird Deutschland so gerecht wie der gerade übersetzte Roman von Fernando Aramburu.

Der spanische Schriftsteller, der mittlerweile mehr Lebensjahre in Deutschland verbracht hat als in Spanien (und dann auch noch in Hannover), ist die Sache anders angegangen und hat eine "Reise mit Clara durch Deutschland" geschrieben. Wobei es eher eine Aneinanderreihung von Stippvisiten in Norddeutschland ist als die Grand Tour durch die Republik. Clara ist Lehrerin, die gerne Schriftstellerin wäre. Und "Maus", Ehemann und Ich-Erzähler, schaut der "Frau Schriftstellerin" auf ihrer gemeinsamen Recherchereise für ein neues Buch nun liebevoll spöttisch beim Versagen zu. Hier reisen Don Quijote und Sancho Panza durch Deutschland und sind dabei mindestens so sehr von der Literatur besessen wie der sinnreiche Junker aus der Mancha.

Dabei ist der Plot vermeintlich platt wie das Land, durch das die beiden fahren. Wer Aramburu als Autor des großen spanischen Gesellschaftsromans "Patria" kennengelernt hat, in dem er mit Wucht und Empathie für seine Protagonisten vom Nationalismus im Baskenland erzählt, wird sich die Augen reiben. Ist das derselbe Autor?

Fernando Aramburu, 1959 in San Sebastián geboren, lebt seit 1984 in Hannover und spricht fließend deutsch. (Foto: BERTRAND GUAY/AFP)

Ja, er ist es. Wobei "Reise mit Clara durch Deutschland" bereits sechs Jahre vor "Patria" verfasst wurde und wohl auch deshalb jetzt auf Deutsch erscheint, weil Aramburu sich mit seinem Großwerk in Deutschland einen Namen gemacht hat und der Verlag nun auslotet, welche seiner früheren Werke beim Publikum ankommen. Es ist nicht vermessen zu prognostizieren, dass "Reise mit Clara durch Deutschland" nicht dazugehören dürfte. Wobei das wiederum mindestens so sehr am Publikum liegt wie am Buch. Ein Hinweis an alle enttäuschten Fans: Rettung naht. Wer "Patria" mochte, wird sich an Aramburus neusten Roman eher erfreuen. "Los Vencejos" (zu Deutsch: Die Mauersegler) ist vergangenen August in Spanien erschienen und erzählerisch deutlich näher dran an "Patria", nur steht diesmal Madrid im Zentrum.

Doch wer Aramburu schätzt und verstehen will, mit welch verschmitztem und eben gar nicht moralisierendem Autor man es hier zu tun hat, dem sei auch die "Reise" ans Herz gelegt. Nicht, weil man hier etwas über Hass und gesellschaftliche Großkonflikte lernte (das tut man nebenbei auch), sondern weil Aramburu in dem Roman seinen moralischen Kompass eicht, der ihn "Patria" hat schreiben lassen, ohne sich im baskischen Konflikt auf eine Seite zu schlagen.

In seiner Jugend im Baskenland sei er Anarchist gewesen, erzählte Aramburu unlängst einem Reporter von El País. Eine destruktive Phase sei das gewesen und er einer von denen, die sich selbst Rebellen nannten, weil sie Dinge lächerlich machten, die andere erschaffen hatten. Erst seine Camus-Lektüre habe ihn geläutert und ihm gezeigt, was er und seine Kumpels damals wirklich waren: "Parasiten".

Fernando Aramburu: Reise mit Clara durch Deutschland. Roman. Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Rowohlt, Hamburg 2021. 592 Seiten, 25 Euro. (Foto: N/A)

In "Reise mit Clara durch Deutschland" flammt diese Anarchie wieder auf. Aramburus Ich-Erzähler lebt ziemlich parasitär neben der "Frau Schriftstellerin". Dieser Ungustl kann nicht anders, als alles ins Lächerliche zu ziehen, gerade die deutsche Nationalsymbolik. Auf den Kreidefelsen auf Rügen fällt "Mäuschen" nichts Besseres ein als seine Blase zu entleeren und dies mit romantischem Pathos zu kommentieren: "Und dann, wirklich erst dann, richtete ich meinen Blick in die Tiefen des Abgrunds und gewahrte durch das feine Geflecht der Umzäunung hindurch den erleichternden Strahl. In seinem Fall beschrieb er einen schimmernden Bogen, der mit Macht aus meinem Körper kam und sich in immer kleinere Tropfen auflöste, bis er zehn oder fünfzehn Meter unter mir in einem nicht mehr erkennbaren Tröpfchenregen zerstob, den die Meeresbrise nach Lust und Laune verwehte. Bevor ich ging, verbeugte ich mich vor dem Meer. Danke, Deutschland."

Dass "Maus" kein Sympathieträger ist und der Roman in eine zerklüftete Episodenhaftigkeit zerfällt, macht es den Lesern nun nicht gerade leicht. Doch immer wieder lohnt es sich dann doch, diesem oft ins Vulgäre kippenden Erzähler durch jenes "graue Land" mit seinen "grauen Leuten" zu folgen. Denn am Ende erhascht man durch die Augen dieses reinkarnierten Sancho Panza einen neuen Blick auf das Bereiste. Vielleicht nicht unbedingt auf die deutsche Seele, aber doch auf ein Land, dem diese ironische Liebeserklärung nur allzu gerecht wird. Denn ein Klischee bestätigt sich am Ende: In Sachen Ironie sind Spanier den Deutschen eben doch weit voraus.

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