Theater:Wem das Leben gehört

Lesezeit: 3 Min.

Am Münchner Residenztheater verhilft Max Fäberböck Ferdinand von Schirachs Stück "Gott" zu mehr theatralischer Wucht.

Von Egbert Tholl

Kurz vor Ende der laufenden Saison erreicht der Ferdinand-von-Schirach-Hype doch noch München. Am Residenztheater inszeniert Max Färberböck, Schöpfer zutiefst menschlicher Filmerzählungen, "Gott"; das Publikum ist begeistert, der Autor anwesend. Ursprünglich war die Premiere im November geplant gewesen, doch dann kam der zweite Lockdown - und den interessierten Zuschauern blieb erst einmal nur die Verfilmung des Stoffes im Fernsehen, ein grandios hölzernes, bocksteifes Erlebnis.

Solches Erleben jedoch ist dem System Schirach immanent, der Mann will belehren und diskutieren lassen, beides gelingt ihm, und in Letzterem liegt auch die (einzige) Stärke seiner Stücke. Vor knapp sechs Jahren kam sein erstes, "Terror", zeitgleich in Frankfurt und Berlin heraus, mehr als hundert Theater spielten es weltweit nach, ins Fernsehen kam es auch und da am Ende das Publikum abstimmen soll, konnte man im Internet verfolgen, wie auf der Welt diese Abstimmung ausging.

In "Terror" ging es um die Frage, ob ein Bundeswehrsoldat richtig handelte, als er ein Passagierflugzeug abschoss, das Terroristen entführten und in die vollbesetzte Allianz-Arena in München steuern wollten. In "Gott" geht es um Sterbehilfe, doch die Parameter sind exakt dieselben. Im September vergangenen Jahres gab es eine Doppeluraufführung in Düsseldorf und Berlin, es kam ins Fernsehen und wäre vermutlich eines der meistgespielten Stücke der zu Ende gehenden Saison geworden, wäre nicht der Lockdown dazwischengekommen. Und, ach, abgestimmt wird auch.

Schirachs Stück war fertig, bevor das Verfassungsgericht sein Urteil fällte

Im Februar 2020 kassierte das Bundesverfassungsgericht den Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches, der seit 2015 die "geschäftsmäßige Förderung" von Suizid verbot. Damit wurde die ärztliche Beihilfe zum Suizid erlaubt, was bedeutet, ein Arzt darf ein Gift besorgen, kann dies auch ablehnen, auf jeden Fall muss es der Sterbewillige selbst einnehmen. Aktive Sterbehilfe bleibt verboten. Doch Gesundheitsminister Jens Spahn weigert sich bislang, eine dafür notwendige gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen.

Schirachs Stück war fertig, bevor das Verfassungsgericht sein Urteil fällte. Mühselig friemelte er es dann noch hinein, aber sein Gebäude der ethischen Diskussion geriet juristisch ins Wanken. Schirachs Konstrukt: Herr Gärtner, 78 Jahre alt, geistig und körperlich vollkommen gesund, will nach eigenem Entschluss sterben, weil er nach dem Tod seiner Frau keine Freude mehr am Leben hat. Er will sich nicht vor einen Zug werfen, er will in Würde abtreten, doch niemand gibt ihm in Deutschland Natrium-Pentobarbital. In der Publikumsabstimmung, lapidar mit farbigen Kärtchen, geht es um die Frage, ob Herr Gärtner das Mittel erhalten darf, eine Frage, die das Verfassungsgericht längst entschieden hat. Mithin stimmt man für oder gegen ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts.

Auf die Vorderbühne im Residenztheater hat Volker Thiele einen grauen Kasten gestellt, den man sich umtost von Realität vorstellen mag und der akustisch die Darstellenden aufs Beste unterstützt. Man ist bei einer Sitzung des sogenannten Ethikrats, das Publikum ist als Teil von diesem zu denken. Oben Experten und Herr Gärtner, der hier wie schon bei der Uraufführung in Berlin Frau Gärtner ist, gespielt von der betörend klaren Charlotte Schwab. Eine Juristin, Juliane Köhler, erklärt die Sachlage, ein Arzt, Robert Dölle, hat schwere Bedenken, ein Bischof, Michael Goldberg, erst recht.

Aber: Schirach handelt hier, anders als in "Terror", tendenziös. Färberböck hat zusammen mit dem Dramaturgen Michael Billemkamp den Text geschickt gekürzt und zu ein bisschen mehr theatralischem Leben verholfen. Er legt größten Wert auf in sich äußerst ernst vorgetragene Positionen, das ist gut und wird auch gut gespielt. Aber Schirach schrieb sich quasi selbst mit hinein, als Anwalt von Frau Gärtner, natürlich brillant, sogar im Kirchenrecht zu Hause und von Michael Wächter flamboyant gespielt. Er zerlegt den Bischof, der abgeleitet von der Erbsünde den Sinn des Lebens im Leid sieht, eines Lebens, das letztlich Gott gehöre und nicht dem, der er lebt. Frau Gärtner wischt mit der Wahrheit menschlicher Erfahrung den Arzt, der von den Wundern der Palliativmedizin träumt, beiseite.

Es bleibt eine Frage übrig: Bräche ein Damm, wenn selbstbestimmtes Sterben in Würde möglich würde, die Alten sanft abtreten könnten und in Folge, implizit so gedacht, als nutzloser Ballast dazu gedrängt werden könnten? Nun, in Ländern wie der Schweiz, wo Sterbehilfe praktiziert wird, ist nichts bekannt von einem rasanten Anstieg von Erbfällen. Ebenso wenig ist es auch in der Schweiz kaum möglich, als Jugendlicher mit Liebeskummer sein Heil bei "Exit" zu suchen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Salzburger Festspiele
:Jeder Tusch ein Treffer

Im neuen "Jedermann" haben die Frauen die Hosen und Lars Eidinger die Unterhosen an. Eine runde Sache ist die Inszenierung aber nicht.

Von Christian Mayer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: