"Fenster zum Sommer" im Kino:Verzückt von der Magie des Gestern

Lesezeit: 3 Min.

Ist die finnische Mittsommerliebe oder die schale Langzeitbeziehung real? Hendrik Handloegtens "Fenster zum Sommer" katapultiert Nina Hoss um Monate zurück in die Vergangenheit. Sie bewegt sich zwischen Wachen und Träumen - und macht sich auf zur Reise zu einem besseren Menschen.

Anke Sterneborg

Das Kino ist ein naher Verwandter der Träume, es gaukelt etwas vor, was einen Wimpernschlag später verschwunden ist - Klappe, Schnitt. In Fenster zum Sommer, dem dritten Spielfilm von Hendrik Handloegten, wird das Kino zur Traummaschine, es produziert eine alternative Wirklichkeit. Auf eine Ferienidylle folgt da der somnambule Moment des Aufwachens, in dem eine junge Frau zwischen Schlaf und Bewusstsein, zwischen Hell und Dunkel um Orientierung ringt.

zoom - die Kinopremiere, "Fenster zum Sommer" (Video: sde)

Was vor dem Erwachen war, ist so intensiv gewesen, dass sie sich kaum davon lösen kann. Gerade war Juliane - gespielt von Nina Hoss - noch frisch verliebt mit August (Mark Waschke) im Sommerurlaub auf dem Weg nach Finnland, dann nickt sie in der wohligen Wärme seiner Umarmung ein. Und dann findet sie sich plötzlich im eisigen Berliner Winter wieder, in einer schal gewordenen Langzeitbeziehung mit Philipp (Lars Eidinger). Wie jeder Erwachende zweifelt sie an ihrer Wahrnehmung, sucht nach Halt in dieser Wirklichkeit - die einem dann doch irritierend trügerisch vorkommt. Nur sehr langsam kommt Juliane darauf, dass sie mehrere Monate in die Vergangenheit katapultiert wurde.

Im Kino kann man das Kontinuum von Stunden, Tagen und Wochen durchrütteln wie in einer Zeitmaschine und so die faszinierendsten Gedankenspiele anstellen. Was wäre, wenn man die Uhr zurückdrehen und alles anders machen könnte? So ging es Bill Murray in Und täglich grüßt das Murmeltier, der einen Tag immer wieder aufs Neue durchlaufen musste, bis er sich endlich zum besseren Menschen wandelt. Was wäre, wenn man durch eine Reise in die Vergangenheit die Weichen für die Gegenwart neu stellen könnte, wie die Helden von Zurück in die Zukunft oder Terminator? Oder wenn man, wie vor kurzem in Source Code, so oft in einen fahrenden Zug zurückkehren könnte, bis man genug Indizien gesammelt hätte, um die Pläne eines gefährlichen Terroristen aufzudecken?

Juliane macht eine subtilere Entwicklung durch, aber auch bei ihr geht es letztlich darum, zum besseren Menschen zu werden, reifer und verantwortungsvoller mit dem Leben, mit der Liebe und der Freundschaft umzugehen. Erschwert wird ihre Situation, weil der entscheidende Tag, an dem sie ihren neuen Freund traf, auch der Tag war, an dem ihre beste Freundin (Fritzi Haberlandt) auf der Straße tödlich verunglückte.

Wie lässt sich das eine verhindern, ohne das andere aufs Spiel zu setzen? Wie kann man im Winter den Blick durch das Fenster im Sommer am wirksamsten nutzen? Und wem kann man sich anvertrauen, ohne als völlig verrückt dazustehen? Den einzigen Vertrauten und Ratgeber findet Juliane im Jungen ihrer Freundin, denn seine kindliche Wahrnehmung macht ihn empfänglich für die Konstruktionspläne der Phantasie und die Regeln der Ungewissheit.

Im Laufe der Jahre ist Nina Hoss im deutschen Kino zur Spezialistin für das Limbo zwischen Wachen und Träumen, zwischen Leben und Tod, geworden. In Filmen wie Yella, Das Herz ist ein dunkler Wald oder Wir sind die Nacht wurde sie auf immer neue Weise zur Mittlerin zwischen den Welten, ätherisch und geheimnisvoll, eine Spur unterkühlt und spröde - eine wunderbare Projektionsfläche für Ungreifbares und Übersinnliches.

Diesen Sommer hat Juliane (Nina Hoss) schon einmal erlebt - da war sie gerade frisch verliebt mit August (Mark Waschke) im Sommerurlaub in Finnland. (Foto: dapd)

Nachdem sie diese transzendenten Zustände vor allem mit Christian Petzold ausgelotet hat, tut sie sich jetzt mit Hendrik Handloegten zusammen, der wiederum schon in seinem Spielfilmdebüt Paul is dead von einer alternativen Wirklichkeit erzählte. Damals wurde ein 13-jähriger Junge in den Sog einer Verschwörungstheorie um Paul McCartney gezogen - die These war, der echte Beatle sei 1966 ermordet und durch einen Doppelgänger ersetzt worden.

Das Science-Fiction-Szenario ist in Fenster zum Sommer ein bloßes Gedankenspiel - der größte Spezialeffekt ist das Wetter, das magische Licht der finnischen Mittsommernächte, und im Kontrast dazu das frostige Grau der Berliner Februartage, die diskret verwirrenden Sirenenklänge des Soundtracks von Timo Hietala beschwören dazu das Unerklärliche. Souverän jongliert Handloegten mit Rückblenden und Erinnerungen, mit verschiedenen Filmmaterialien und Lichtverhältnissen.

Zwischen Fakten und Ahnungen, zwischen brutaler Evidenz und fragiler Flüchtigkeit hält er seinen Film in der Schwebe, hier das Krachen eines Unfalls, der den Tod bringt, dort die flüchtige Berührung in einer überfüllten Trambahn, die der Anfang einer großen Liebe ist. Und dann muss Juliane begreifen, dass es auch für die richtige Liebe den falschen Moment geben kann: Vergeblich versucht sie den ahnungslosen Mann, von dem sie weiß, dass sie ihn liebt, auf sich aufmerksam zu machen. Wenn die Zeit nicht reif ist, dann können zwei Menschen hundert Mal unerkannt aneinander vorbeilaufen. Alles eine Frage der Magie des Augenblicks.

FENSTER ZUM SOMMER, D 2011 - Buch und Regie: Hendrik Handloegten. Kamera: Peter Przybylski. Mit: Nina Hoss, Mark Waschke, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt. Prokino, 96 Minuten.

© SZ vom 03.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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