Gerd Krumeich: "Jeanne d'Arc":"Das ganze Licht ist nicht für euch allein da"

Gerd Krumeich: "Jeanne d'Arc": Heldin verschiedener Epochen: August Gustav Lasinskys "Johanna von Orléans in der Schlacht" aus dem 19. Jahrhundert.

Heldin verschiedener Epochen: August Gustav Lasinskys "Johanna von Orléans in der Schlacht" aus dem 19. Jahrhundert.

(Foto: Mauritius Images / Alamy / World Archive)

Johanna von Orléans bleibt ein Problem für die Geschichtsschreibung: Wie sich nicht von ihrem Charisma vereinnahmen lassen und trotzdem ihr Geheimnis ergründen? Gerd Krumeich versucht es mit einer Biografie.

Gastbeitrag von Felicitas Hoppe

Ihr Auftritt ist nach wie vor unschlagbar groß: Als "Seherin, Kriegerin, Heilige" - hoch zu Ross und mit jener blauen Fahne versehen, die ihr, eigenen Aussagen zufolge, "hundert mal lieber (war) als das Schwert" - wird Jeanne d'Arc auf dem Umschlag von Gerd Krumeichs jüngst erschienener Biografie nicht nur angekündigt, sondern buchstäblich beworben; übrigens zehn Jahre zu früh, denn ihren 600. Todestag feiert Johanna von Orléans erst am 30. Mai 2031.

Allerdings ist kaum davon auszugehen, dass bis dahin wesentlich Neues zu berichten sein wird: 1412 mitten im Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England im lothringischen Domrémy geboren, folgt die berühmt berüchtigte Jungfrau vom Land, genannt la Pucelle, ihren heiligen Stimmen, befreit Frankreich erstaunlich kriegskundig von englischer Vorherrschaft, verhilft dem vermeintlich schwachen König Karl VII. zur Krone, gerät in die Mühlen kirchlicher und staatlicher Machtpolitik und stirbt an besagtem 30. Mai in Rouen den Feuertod auf dem Scheiterhaufen.

Zur Person

Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe wurde 2012 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Buch "Fährmann hol über, oder wie man das Johannisevangelium pfeift" bei Herder.

Neben Theologen und Historikern beschäftigt Jeanne d'Arc heute auch den Front National

Ihr so kurzes wie faszinierendes Leben, das zu einem der bestdokumentierten des 15. Jahrhunderts zählt, beschäftigt bis heute - nach Theologen und Päpsten, die, reichlich zeitverschoben, damit beschäftigt waren, sie aus kirchenpolitischen Gründen heiligzusprechen - nicht nur die Magister der Geschichtsschreibung, der Literatur, der Kunst und des Films, sondern auch den französischen Front National, der seit den 1980er-Jahren versucht, die Pucelle zu seiner Patronin zu machen. Bei allen Wundern kein Wunder, denn die Jungfrau stellt eine Projektionsfläche dar, die in der Geschichte ihresgleichen sucht und bis heute zu Vereinnahmungen durch höchst unterschiedliche politische Lager einlädt.

Wie wenig man ihr tatsächlich auf die Spur kommen kann, beweist die reiche Panoramabiografie von Gerd Krumeich auf so anschauliche wie beeindruckende Weise. Kein Zufall, dass ein Zitat aus Claude Villarets "Histoire des France" (1783) seinem Vorwort voransteht: "Wir wollen nichts, außer die wirklich von den Quellen bestätigten Tatsachen darzustellen. (...) Zu starkes Räsonieren erstickt den Enthusiasmus. (...) Denn es geht nicht darum, was wir heute von den Erscheinungen halten, welche Jeanne d'Arc hatte, sondern um die Auffassung, die unsere Vorfahren davon hatten."

Am Ende bleiben wir zwar klüger, aber nicht weniger ratlos zurück

Womit sich der Biograf, räsonierend und enthusiastisch gleichermaßen, gegen jeden Versuch der Eingemeindung, Psychologisierung und Krankschreibung eines Phänomens wehrt, das sich bis heute unserem Verständnis entzieht. Dass er dabei an dieselben Grenzen stößt wie schon Johannas Zeitgenossen, macht seine Spurensuche umso interessanter, auch wenn sich dabei hin und wieder die Frage stellt, ob sich der Aufwand im Vergleich zum Ergebnis lohnt.

Denn am Ende bleiben wir zwar klüger, aber nicht weniger ratlos zurück als der Meister seines unerschöpflichen Quellenarchivs. Das Verdienst dieser großen Biografie besteht vor allem darin, dass sie an keiner Stelle recht haben will; sie will ihrem Gegenstand Rechnung tragen, ohne ihn auf das Streckbett eines vermeintlich historischen Fortschritts zu legen.

Gerd Krumeich hat, womöglich unfreiwillig, ein Fass aufgemacht, indem er weniger mit der Not der Jungfrau, als mit der Not seiner eigenen Zunft kämpft, mit der Ordnung und Interpretation von Geschichten durch die sie verwaltende Geschichtswissenschaft. Neben einer Fülle von Dokumenten, Briefen und Protokollen steht vor allem das Genre der Zeugenaussage im Zentrum, jene zweifelhafte Form des Botenberichts, mit dem sich nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Gerichtsbarkeit immer wieder herumschlägt. Chronik steht gegen Chronik, Aussage gegen Aussage, Partei gegen Partei. Enthusiasten gegen Entlarver, Vasallen und Knappen gegen Verschwörer und Verräter, fromme Verehrer gegen blasphemisch veranlagte Aufklärer und beflissene Ärzte. Doch es ist wie immer die analphabetische Jungfrau selbst, die aus ihrem Namen bestenfalls ein Kreuz basteln konnte, die jeder Diagnose bis heute mit der Signatur ihres Glaubens ein Schnippchen schlägt.

Wer auch immer jene Gerichtsschreiber waren, die ihre Aussagen hinter dem Vorhang der Inquisition in scheingerechte Sprache zu fassen versuchten - Johannas gutem Gedächtnis und ihrer charismatischen Wirkung konnten sie sich genauso wenig entziehen wie der Biograf selbst, der sie aus gutem Grund, nicht anders als ihre Protokollanten, nur in indirekter Sprache zu Wort kommen lässt. Wobei er uns en passant einige der schönsten und treffendsten Zweiwortporträts selbiger Jungfrau liefert: "schlagfertige Schlichtheit", "geistige Überlegenheit", "kommunikative Selbstsicherheit". Summa summarum: Jene Geistesgegenwart, die die Geschichtsschreibung bis heute nicht zu fassen bekommt.

Kein Mann und keine Erfindung, sondern Ritter und Jungfrau in einer Person

"Ich sah die Jungfrau ankommen in einem ärmlichen roten Kleid. (...) Ich redete sie an: ,Was macht ihr hier?' und die Jungfrau antworte mir: ,Ich bin in diese königliche Stadt gekommen, um Robert de Baudricourt zu sprechen, daß er geruhe, mich zum König zu führen.' (...) Ich fragte sie, wer ihr Herr sei; sie antwortete: ,Gott.'"

Ein Zitat aus dem Protokoll des Revisionsverfahrens, das knapp 20 Jahre nach ihrem Tod den Beginn einer Geschichte der Anmaßung und Selbstermächtigung rekapituliert, die angesichts der Widersprüchlichkeit ihrer Protagonistin bis heute nicht auserzählt ist. Denn es ist nicht Johannas katholischer Glaube, sondern die Erzählung ihrer Emanzipation davon, die den Mythos der Jungfrau bis heute befördert; und es ist nicht die Geschichtswissenschaft, sondern die Kunst (die nicht weniger hinter ihrem Original zurückbleibt), die uns darauf verweist, dass mit Johanna, wie George Bernhard Shaw behauptet, noch vor Luther die erste Protestantin die Bühne betritt, die ihr Gewissen über jeden kirchlichen Umweg stellt.

Gerd Krumeich: "Jeanne d'Arc": Gerd Krumeich: Jeanne d'Arc. Seherin, Kriegerin, Heilige. C.H. Beck, München 2021. 399 Seiten, 28 Euro.

Gerd Krumeich: Jeanne d'Arc. Seherin, Kriegerin, Heilige. C.H. Beck, München 2021. 399 Seiten, 28 Euro.

Bei Gerd Krumeich kommen zwischen Aufstieg und Abstieg alle gleichermaßen zu Wort: Freunde, Zweifler und Inquisitoren; und immer wieder jener anonyme Bürger von Paris, der aus der Ferne sie süffisant kommentierend nicht ohne Genugtuung den Gang der Dinge verfolgt. Doch je enger der Biograf das Netz seiner Stimmen knüpft, umso mehr entzieht sich Johanna unserer persönlichen Deutung: eine Jungfrau in einem ärmlichen roten Kleid, die behauptet, die Tochter Gottes zu sein.

Sicher ist nur: Sie war kein Mann und keine Erfindung, sondern Ritter und Jungfrau in einer Person, deren Lieblingsfarbe nicht Rot, sondern Blau war. Ein so frommes wie entsetzliches Mädchen, das Könige, Pferde und Fahnen liebte und seine Richter zum Schluss auf ein Buch verwies, "in dem kein Kleriker jemals gelesen hat." Was weniger uns als die Gelehrten bis heute nervt.

Nicht anders als Greta Thunberg, die sich, wie zahlreiche Bilder beweisen, ihre Ikonografie bei Johanna erfolgreich abgeschaut hat. Mit dem so kleinen wie feinen Unterschied, dass der Klimawandel kein Jenseits kennt. Wo Greta an der Rettung im Diesseits zweifelt, bleibt Johanna entschieden: Auf die Frage der Richter der Inquisition: "War da ein Licht?", lautet die in den Protokollen verbürgte Antwort bis heute: "Sicher, es war viel Licht, überall. So ziemt es sich auch. Das ganze Licht ist nicht für euch allein da."

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