Süddeutsche Zeitung

Feature: Philip Seymour Hoffman:Typischer Dickengriff

Lesezeit: 4 min

Hab ich's hinter mir? Eine Begegnung mit dem mächtigen Schauspieler Philip Seymour Hoffman, bei dem es wieder mal nicht gelingt, ihm sein Geheimnis zu entlocken.

Dirk Peitz

Er ist der Letzte, der ins Rampenlicht tritt, vor die Front aus Fotografen und Kameraleuten in der Berliner Kulturbrauerei. Es ist Filmpremierenabend, Richard Curtis" "Radio Rock Revolution", exzentrische Briten wie Bill Nighy feiern die Piratensender der Sixties, die auf Schiffen vor der Küste funkten und die steifen Oberlippen der Engländer zum Tanzen brachten. Wie feiert man sowas? Man macht Faxen.

Schließlich aber kommt er, der Amerikaner, Oscar-Preisträger, Workaholic in Haupt- und Nebenrollen, ein Theatertier obendrein und jetzt auch noch Regisseur. Philip Seymour Hoffman, 41 Jahre alt und geschätzte 120 Kilo schwer, zieht seine zerbeulte schwarze Jeans hinten am Hosenbund hoch, typischer Dickengriff, schiebt die Ärmel seines Pullovers bis zu den Ellenbogen hoch, richtet noch mal die schwarze Hafenarbeitermütze auf seinem Kopf und knipst ein Lächeln an. Er wirkt desinteressiert, bestenfalls leicht belustigt. So als gehe es nicht darum, diesen Moment zu genießen oder zu verabscheuen wie andere Schauspieler, sondern einfach nur: hinter sich zu bringen.

Als sein Name fällt, ändert sich der Applaus, wechselt von höflich zu herzlich, dankbar, respektvoll. Wenn das ewige Freiheitsversprechen der Rock- und Popmusik in diesem Film funktioniert, dann wegen seiner Figur, die als einzige so etwas wie Tiefe besitzt. Als das Funkboot irgendwann sinkt, eine unvermeidliche Szene, ruft er mit dem Pathos des Untergehenden ins Mikrofon, dass auch Generationen später noch großartige Songs geschrieben würden; zugleich aber spielt er die Ahnung mit, das dies nun vielleicht schon die besten Tage seines Lebens waren, und auch die besten Tage des Rock"n"Roll.

In solchen Momenten bekommt "Radio Rock Revolution" so etwas wie eine Seele - aber wenn man Philip Seymour Hoffman am nächsten Tag fragt, wie er das macht, dass er den Filmen Seele schenkt, gähnt er erst einmal. Er trägt die gleichen Klamotten wie am Abend zuvor und scheint in der gleichen Stimmung. Auch das hier will erledigt sein.

Mister Hoffman, die Komplexität ihrer Figuren, die erstaunliche Empathie, mit der Sie die aufladen: den traurigen schwule Tonassistenten in "Boogie Nights", den obszönen Nachbar in "Happiness", den sanften Krankenpfleger in "Magnolia", selbst den Rockkritiker in "Almost Famous", der bloß vier, fünf Szenen hat, um zur moralischen Instanz des Films zu werden - wie kriegen Sie das hin? Und dann die Glanzrolle, der endgültige Durchbruch als Truman Capote im Film "Capote": So ein unsympathisches, marottenhaftes, egozentrisches, wehleidiges, rücksichtsloses Genie fassbar und menschlich zu machen, dass man begreift: Man schreibt so Schreckensdokument wie "Kaltblütig" nicht ohne ein Mindestmaß an Lug und Trug gegenüber den Menschen, der Welt, letztlich der Wahrheit selbst . . . Was ist der Trick?

Hoffman atmet hörbar aus. Recherche, Vorbereitung, Vorstellungskraft, das sei schon alles und doch sehr harte Arbeit, sagt er dann. Und dass sein mimisches Spiel nicht so herausragend sei, deshalb müsse er mehr aus seiner Körperlichkeit heraus agieren als andere.

Okay, Bescheidenheit beiseite: Ist dieser Körper dann der Schlüssel zum Verständnis zugleich der Wärme und der Tragik, die von eigentlich allen Hoffman-Charakteren ausgeht? Bedeutet dieser massige Körper nicht ein Ausschlusskriterium, im Leben wie im Beruf, hat also der Mensch und Schauspieler Philip Seymour Hoffman Erfahrungen gesammelt mit Ablehnung und führt uns deren Verarbeitung nun vor? Und stellt zugleich diese physische Präsenz allein nicht schon eine Nähe zum Zuschauer her, der sich in diesem Unvollkommenen eher wiedererkennt als in den perfekten Hollywoodkörpern anderer? Sind Sie der Dicke in uns allen, Mister Hoffman, der Außenseiter? Und wäre es dann vor allem eine Frage Ihrer Traute, sich wie in "Happiness" nackt vor eine Kamera zu stellen und offensichtlich das zu tun, was alle Menschen gelegentlich tun, bloß eben nicht öffentlich - zu masturbieren?

Hoffman lacht, und für einen kurzen Augenblick sieht es so aus, als überlege er, sich auf dieses Gespräch ernsthaft einzulassen. Dann aber bringt er doch nur eine Punchline, dafür aber eine gute: "Jack Nicholson hat mal gesagt: ,There"s only so many things I can do.""

Aber ist nicht gerade Nicholson die perfekte Antithese zu Ihnen, Mister Hoffman: Man sieht bei dem ja nicht nur, wie gut er ist, sondern auch, dass er es selbst weiß. Oder Daniel Day-Lewis: Trotz aller seltsamen Entrücktheit scheint der sich seiner darstellerischen Mittel doch sehr sicher zu sein. Bei Ihnen hingegen, Mister Hoffman, glaubt man den Zweifel zu erkennen, auch die Verzweiflung desjenigen, der seine Rollen bis zum Schluss durchleidet. Bin ich wirklich gut? Macht dieses Sich-selbst-Misstrauen nicht den Unterschied aus zwischen kalter Perfektion und warmer Inspiration?

"Ich bewundere die beiden", sagt Hoffman bloß. Und dass er halt ein anderer Typ sei, der sich nicht zurückziehe, jedenfalls noch nicht: "Wer mich treffen will, der braucht bloß in New York auf die Straße zu gehen." Aber er spielt keine Männer von der Straße, er ist auch kein Mann von der Straße.

Der Regisseur von "Glaubensfrage", John Patrick Shanley, hat etwas Aufschlussreiches über Hoffman gesagt. "Glaubensfrage" ist ja in mancher Hinsicht ein Duell zweier Schauspieler, Meryl Streep gegen Philip Seymour Hoffman, und Streep fällt ja auch eher in die Kategorie angsteinflößend gut. Shanley also hat über die gemeinsamen Dreharbeiten gesagt: "Meryl ist im Herzen eine Straßenkämpferin, sie zettelt als Schauspielerin immer etwas an - sie will die Szene gewinnen. Philip spielt da nicht mit. Er lässt sich nicht ein."

Hoffman lacht wieder, er kennt das Zitat, "und dann soll Meryl vor einer Szene laut gesagt haben, dass sie mir nun in den Arsch treten werde. Aber das hat sie nicht gesagt, und wenn doch, hat sie es nicht ernst gemeint."

Letzter Versuch, Mister Hoffman: Peter Sellars, der mit Ihnen in der Rolle des Jago in diesem Sommer den "Othello" in Wien und Bochum inszenieren wird, sagt über Sie: "Man findet einen derartig mächtigen, atemberaubenden Schauspieler mit einer so perversen Imagination in jeder Generation nur einmal."

Ein vorletzter Lacher: "Das hat Peter über mich gesagt?"

Hat er. Was ist also mit Jago?

"Tja, was ist mit Jago? Mit der Frage beschäftige ich mich ab nächster Woche." Letzter Lacher, dann ist die Zeit rum, der mächtige, atemberaubende Schauspieler Philip Seymour Hoffman hat sich auf nichts eingelassen, er hat sein Geheimnis ein weiteres Interview lang bewahrt. Draußen vor der Tür wartet schon der nächste, der es lüften will.

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Quelle:
Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.84, Samstag, den 11. April 2009
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