FBI-Akte Norman Mailer:In bekannt obszönem Stil geschrieben

Chronik einer geheimdienstlichen Obsession: Ein neues Dossier belegt, dass das FBI den Schriftsteller Norman Mailer jahrelang überwachen ließ.

Willi Winkler

Hitler-Vergleiche sind verboten, aber wie wäre es mit Stalin? "J. Edgar Hoover hat die Phantasie dieses Landes auf eine Weise gelähmt, wie es Josef Stalin nie fertiggebracht hat." Als Norman Mailer diese schöne Beobachtung vor 45 Jahren in die Welt setzte, war Stalin bereits mehrere Jahre tot, während Hoover noch immer nicht ans Ende seiner fast fünfzig Jahre währenden Regentschaft gelangt war.

FBI-Akte Norman Mailer: Gewitzter "Staatsfeind": Autor Norman Mailer veröffentlichte selbst die schönsten Stellen seiner FBI-Akte.

Gewitzter "Staatsfeind": Autor Norman Mailer veröffentlichte selbst die schönsten Stellen seiner FBI-Akte.

(Foto: Foto: ap)

Als Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI) ließ er Millionen von Dossiers über seine Landsleute anlegen. Darin wurde mit einer Akribie, die den Stasi-Ruheständlern in Potsdam-Eiche Tränen in die Augen treiben müsste, liebevoll aufgezeichnet, womit sich der Verdächtigte beschäftigt hatte. Seine Briefe wurden gelesen, seine Nachbarn verhört, seine Kneipenbekanntschaften ausgehorcht, seine Zeitungen ausgewertet.

Im amerikanischen Volk galt Hoover dennoch als Held, weil er in den zwanziger Jahren erfolgreich das Gangsterunwesen bekämpft hatte. Seit dem Zweiten Weltkrieg interessierte sich Hoover immer mehr für den Groß-Gangster Stalin und nährte die paranoide Vorstellung, die USA könnten über Nacht von Stalins fünfter, sechster und siebter Kolonne unterwandert werden.

Mit einer Leidenschaft, wie sie sonst nur noch unser Erich Mielke im Genossenkreise zeigte, wurde auch John F. Kennedy ausgespäht, sein oberster Dienstherr, ebenso wie Robert Kennedy, dessen Justizministerium Hoover eigentlich zuarbeiten sollte. Als klassischer Rassist sammelte er Material, mit dem Martin Luther King als kommunistischer Ehebrecher entlarvt und zur Strecke gebracht werden sollte; ein Attentäter machte in diesem Ermittlungsverfahren dann kurzen Prozess.

FBI-Feindbild

Aber niemanden hasste Hoover mehr als den Schriftsteller Norman Mailer, diesen "Linken", diesen "Krypto-Kommunisten". Der verkehrte mit den "Negern", soff für drei, vögelte wild herum, prügelte sich mit seiner Frau, vor allem aber redete er schlecht über das FBI.

Mailer trat im Fernsehen auf und erklärte frech, dass die USA zwar keine Konzentrationslager hätten, aber einen "subtilen Totalitarismus". Es gebe keine "Geheimpolizei", aber dafür das FBI, eine "der beiden verbliebenen Religionen in Amerika" (die andere sei der Glaube an die medizinische Wissenschaft).

Unverschämt, wie er war, plädierte Mailer dafür, das FBI aufzulösen: "Die Öffentlichkeit und nicht das FBI sollte entscheiden, was gut für sie ist." Und weil er nicht nur ein großer Schriftsteller, sondern auch ein gewitzter Medienarbeiter war, veröffentlichte er später die schönsten Stellen aus seinem FBI-Dossier.

Der Washington Post ist es jetzt gelungen, ein Jahr nach Mailers Tod mit Berufung auf den "Freedom of Information Act" ein weiteres FBI-Dossier freizubekommen. Es steht wenig Neues auf den 171 Blättern, von denen immerhin noch sechs geschwärzt sind, aber dafür sind sie komisch.

Banalitäten-Protokoll

Das Dossier ist ein seltener Triumph nicht des Totalitarismus, sondern seiner westlichen Spielart, des Bürokratismus. Eines Tages, es ist der Sommer 1962, liest Hoover in der Zeitung, dass Mailer über die Präsidentengattin Jacqueline geschrieben hat. Sofort macht er sich eine Notiz: "Gebt mir Material zu Norman Mailer."

Die Unterlinge parieren und schwärmen aus. Sie fingern in Mailers Briefkasten und fühlen, wie dick die Sendungen sind, sie notieren, wem er Weihnachtsgrüße schickt oder was er einkauft. Ein Undercover-Agent schmeichelt sich bei Mailers Vater ein. Dem kann er tatsächlich Mailers Adresse entlocken und die grundstürzende Neuigkeit ins investigierende Büro apportieren, dass dieser Mailer ein "freier Schriftsteller" ist, der "zu Hause arbeitet".

Als wäre er ein Literaturkritiker, beugt sich ein anderer Agent über Mailers berühmte Reportage "Nixon in Miami oder die Belagerung von Chicago" (1969). Seitenlang weist der Rezensent nach, dass das Buch "in seinem bekannten obszönen und bitteren Stil geschrieben" ist und "wenig freundliche Äußerungen" gegen das FBI und seinen Chef enthält. Aber was kann man schon von einem Subjekt erwarten, das unter der Rubrik "Subv. Control" (Unterwanderungsüberwachung) geführt wird?

Auch Klatsch wird gern genommen, zum Beispiel, dass Marilyn Monroe, über die Mailer ein Buch schrieb, kurz vor ihrem Tod Robert Kennedy angerufen haben soll. Ts, ts, ts.

So gründlich das FBI auch vorging, es konnte Mailer nicht daran hindern, weiterhin schlecht über das FBI zu reden und in seinem gewohnten bitteren Stil weiterzuschreiben. Das FBI, diese gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, war immer dabei, sammelte, notierte, wertete aus. Wohl dem Land, dessen Schriftsteller so genaue Leser finden.

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