Favoriten der Woche:Wie Meerjungfrauen brunzen

Das Geheimnis von Stefanie Sargnagels Cartoons, George Grosz' Frühwerk, ein klingender Ozean und Westernhelden auf der Flucht: fünf Empfehlungen.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Stefanie Sargnagels Cartoons

Favoriten der Woche: Meerjungfrau in ganz alltäglichen Nöten.

Meerjungfrau in ganz alltäglichen Nöten.

(Foto: Stefanie Sargnagel)

Schon mal drüber nachgedacht, wie eine Meerjungfrau pinkelt? Wie selbstbewusst Küken sind? Was Würste auf dem Grill denken? Antworten auf Fragen, die man sich nie gestellt hat, findet man bei Stefanie Sargnagel. Dass die österreichische Autorin sehr lustige Texte schreiben kann, ist bekannt. Weniger bekannt, aber nicht weniger lustig sind die Cartoons, die sie zeichnet. Glücklicherweise stellt Sargnagel ein paar davon auch auf Instagram, wo diese in ihrer Mischung aus böser Misanthropie und fröhlicher Buntheit urgute Laune machen, wie man in Wien sagen würde. Keine Kreatur, kein Ding ist für Sargnagel der näheren Betrachtung unwürdig. Sie widmet sich gern den Allerkleinsten, die nicht weniger unter Weltschmerz leiden und Debatten führen als wir. Bei ihr ist das Gemüse politisch frustriert, ist der Raupe die Mutter peinlich, zwickt dem Schmetterling der Hoden. Wie sie dabei stets das Niedliche mit dem Niederträchtigen paart - herrlich. Christiane Lutz

George Grosz-Museum in Berlin

Favoriten der Woche: Das kleine Grosz Museum in Berlin Schöneberg.

Das kleine Grosz Museum in Berlin Schöneberg.

(Foto: Jürgen Ritter/IMAGO)

"Das kleine Grosz Museum" in Berlin hat nicht nur einen hinreißenden Namen, es ist auch ein fast schon unglaublich schöner Ort, was bei der berühmten Fokussierung des Künstlers George Grosz auf die Nachtseiten und Fratzen dieser Stadt gleich doppelt überrascht. Erst hatte ein Berliner Galerist die alte Tankstelle aus den Fünfzigern an der Bülower Ecke Potsdamer zu einer versteckten Oase umgebaut, die mit ihrem Schilfgarten eher an etwas in Los Angeles oder São Paulo denken lässt. Und diesen Sommer hat da nun unter der Ägide von Ralph Jentsch, der den Nachlass von Grosz verwaltet, dieses Museum eröffnet, das sofort einen enormen Publikumserfolg hatte. Es hat aber auch noch nie eine Ausstellung gegeben, die in so einer Genauigkeit das Frühwerk ausbreitet, den "Gross vor Grosz".

Der Mann war ja 1893 als Georg Ehrenfried Gross in Berlin-Mitte zur Welt gekommen und im pommerschen Stolp aufgewachsen. Dort sind die ersten Zeichnungen entstanden, die hier zu sehen sind, da war er noch Schüler und übte sich erst mit dem Bleistift in naturalistischen Porträts und in Ritterburgen. Danach übte er sich mit der Feder in einem jugendstilhaft manierierten Karikaturenstil, mit dem er sich offenkundig für den Simplicissimus qualifizieren wollte. (Ein irres Gekringel, selbst die Gesichter sehen manchmal aus wie Fingerabdrücke). Und irgendwann muss er gar nicht mehr üben, dann kann er.

Die Ausstellung begleitet ihn von der Kunstakademie in Dresden - Fach Historienmalerei! - heim nach Berlin, wo Stück für Stück seine später typischen Großstadt-Sujets und der aggressive, wie mit dem Skalpell ins Blatt geritzte Strich dazukommen, wo 1912 aus Gross erst Grosz wird und später aus Protest gegen die Anglophobie im Ersten Weltkrieg aus dem Georg ein George. Die Eröffnungsschau endet also da, wo es bei den meisten mit dem politischen Künstler George Grosz erst anfängt. Und jetzt ist deshalb ein guter Moment, sich das anzuschauen, weil man kurz danach gleich wiederkommen kann: Als Nächstes folgt im Herbst eine Präsentation der Forschungen unter anderem des Willi-Münzenberg-Forums über die Reise, die Grosz 1922 nach Sowjet-Russland unternommen hat. Das dürfte auch aufschlussreich werden. Danach wollte Grosz jedenfalls kein Kommunist mehr sein. Peter Richter

Western "Die Unerbittlichen"

Favoriten der Woche: "Die Unerbittlichen": Audie Murphy und Felicia Farr auf der Flucht.

"Die Unerbittlichen": Audie Murphy und Felicia Farr auf der Flucht.

(Foto: Explosive Media)

Man sieht ein Paar auf dem Plakat, das sich dramatisch an eine Felswand klammert. Eine solche Szene gibt es nicht in dem Western "Die Unerbittlichen/Hell Bent for Leather", 1960, von George Sherman (DVD, Explosive Media). Das Plakat blufft, offenbar inspiriert vom Gehangel am Ende von "Der unsichtbare Dritte", das Hitchcock ein Jahr zuvor inszenierte. Audie Murphy, der immer wie ein Unschuldslamm ausschaut, wird wieder mal irrtümlich für einen Killer gehalten und von einem Stadtmob gehetzt, er packt eine - unbeteiligte - Frau und flieht in die unzugänglichen Berge. Dort gibt es eine Regennacht in einer Hütte und Stress mit drei Halsabschneidern. Ein schönes Beispiel amerikanischer Westerndämmerung - während sie sich in Europa für eine Handvoll Dollar rüsten. Die Frau ist Felicia Farr, tough und schön in ihrer Erschöpfung. Sie ist die Witwe von Jack Lemmon und steht nun kurz vor ihrem Neunzigsten. Fritz Göttler

Ralph Vaughan Williams - Englischer Großkomponist

Favoriten der Woche: Vaughan Williams - The New Collector's Edition.

Vaughan Williams - The New Collector's Edition.

(Foto: Warner)

Man mag sich wundern, dass eine Meeres-Sinfonie gleich mit Chorgesang beginnt und auch im Weiteren eine Mischung aus Orchester- und Stimmenklang favorisiert. Aber der englische Komponist Ralph Vaughan Williams (1872 - 1958) hatte anderes im Sinn als bildhafte Naturschilderung. Er schrieb eine Ode an die See und an die Seeleute - für ihn allesamt Helden der Wellen. Leider muss man sich den Text dieser "Sea Symphony" von Walt Whitman - neben der "Fantasia on a Theme by Thomas Tallis" eines der bekannteren Werke von Williams - im Netz zusammensuchen. Das dürftige Begleitheftchen dieser ansonsten großartigen "Collector's Edition" (Warner) hilft da nicht weiter.

Während Williams kontinentalen Musikliebhabern weniger bedeutend vorkommen muss als die gleichzeitig wirkenden französischen und deutschen Komponisten, ist er in England ein Nationalheld. Im Grunde ist er neben Edward Elgar, Gustav Holst, mit dem er eng befreundet war, und Havergal Brian einer der wenigen bedeutenden englischen Komponisten zwischen den älteren Thomas Tallis, John Blow, Henry Purcell, Georg Friedrich Händel und dem modernen Benjamin Britten, mit dem England erstmals wieder internationales Niveau erreicht. In England sieht man das nicht ganz so streng, gewichtet anders: Williams gab dem Empire auch jenseits der Kathedralmusik eine eigenständige Stimme, einen eigenen Sound, der sich von Elgar und eher kontinental geprägter Musik deutlich unterschied.

Es ist ein nationalromantischer Klang in vielschichtiger Ausprägung, der sich unter anderem, wie bei vielen Komponisten seit der Wiener Klassik, auch auf eine noch lebendige Volksmusikpraxis stützt, Melodien aufgreift, weiterspinnt, das Natürlich-Atmosphärische einzufangen sucht, die Intensität des Schlichten anvisiert. Der Gesang eines alten Hirten aus Essex hat ihn nachhaltig beeindruckt, aber vielleicht bestätigte ihn auch sein Zweitstudium bei Maurice Ravel darin, sich eine eigene Klangwelt zu schaffen. Dass er seine nationale Musik, wie er sie selber nannte, nicht als engstirnige Beschränkung kultivieren wollte, sondern als weltoffene Weiterentwicklung, war für ihn als praktizierenden Liberalen, der selbst die Ritterwürde ablehnte, selbstverständlich. Helmut Mauró

Maxim Lando und Tassilo Probst

Favoriten der Woche: Tassilo Probst, Violine, und Maxim Lando, Klavier, mit Violinsonaten von Bartók, Enescu und Achron.

Tassilo Probst, Violine, und Maxim Lando, Klavier, mit Violinsonaten von Bartók, Enescu und Achron.

(Foto: Berlin Classics)

Toll, wenn zwei junge Musiker ihr CD-Debüt nicht mit Bekanntem aus Klassik und Romantik füllen, sondern die fast unbekannte e-Moll-Sonate op. posth. von Béla Bartók,1903 geschrieben, und die virtuos-komplexe, farbenreiche 3. Sonate von George Enescu imponierend darbieten. Aber dass der glänzende New Yorker Pianist Maxim Lando und der nicht minder beeindruckende Münchner Geiger Tassilo Probst, beide Jahrgang 2002, als Weltersteinspielung die 2. Sonate des von Arnold Schönberg sehr geschätzten litauisch-amerikanischen Komponisten Joseph Achron (1886 - 1943) wagen, ist höchst lobenswert. Das Stück von 1918 lebt von heftigen Ausdrucksschüben, bissigem Witz und einer brennenden Intensität, von Lando und Probst mit Brillanz und Leidenschaft gespielt. (Berlin Classics). Harald Eggebrecht

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